Der Mühlen-Laden in Neuhengstett existiert weiter, die Getreideannahmestelle ist jedoch geschlossen. Foto: Fritsch Foto: Schwarzwälder Bote

Nur Laden existiert weiter. Getreideannahme geschlossen. Landwirte weichen aus.

Althengstett-Neuhengstett/Renningen - Die Renninger Mühle zum Jahresende aufzugeben, ist Chef Martin Sessler nicht leicht gefallen: "Mein ganzes Leben steckt da drin". Die Entscheidung hat auch Auswirkungen auf den Neuhengstetter Standort beziehungsweise Landwirte und Bäckereien aus der Region.

Vor mehr als 21 Jahren hat Sessler den Traditionsbetrieb übernommen, der sich seit 1938 im Besitz der Familie befand. Was er seither angepackt hat, wurde zum Erfolg. Ein echter Verkaufsschlager ist beispielsweise die Heckengäulinse geworden, ein äußerst beliebtes regionales Produkt. Für die heimische Linse war Sessler gemeinsam mit Landwirt Andreas Kindler ein Mann der ersten Stunde. Mit der ersten Ernte war Sessler gefragt worden, ob er die traditionellen Le Puy-Linsen, deren Anbau hierzulande schon fast in Vergessenheit geraten war, mit ins Sortiment nehmen würde.

Eines Abends kam Kindler mit einem riesigen Sack unausgelesener Linsen in die Mühle. Die beiden machten die Hülsenfrüchte kurzerhand verkaufsfertig und landeten damit einen Hit. Nach kurzer Zeit waren die Tüten ausverkauft.

Mittlerweile hatten viele Supermärkte das beliebte Produkt ins Sortiment aufgenommen. Damit ist bald Schluss. "Die Linsen gibt es dann nur noch im Mühlen-Laden in Neuhengstett", sagt Sessler im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten.

Seinen Schritt begründet Sessler mit schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen. Er könne den Betrieb so nicht weiterführen. Seit er von seiner Erkrankung wisse, habe er fieberhaft überlegt, wie es mit dem Betrieb weitergehen könne. Die Familie Sessler betriebt Mühlen in Althengstett, Renningen und Reutlingen-Oferdingen. Für alle drei Standorte seien zufriedenstellende Lösungen gefunden worden, so Sessler. In Oferdingen wurde der Betrieb an eine Bio-Erzeugergemeinschaft verpachtet.

Am Standort Althengstett wird der Mühlen-Laden weiterbetrieben. Dort wird allerdings keine Getreide mehr angenommen. Die größte Veränderung wird es am Hauptsitz in Renningen geben: "Das Gelände ist bereits verkauft", bestätigt Sessler im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten. Das Gebäude wird abgerissen, und es gibt bereits einen Investor, der dort eine Anlage für Betreutes Wohnen bauen will.

Bäckereien brauchen neuen Lieferanten

"Das war alles nicht einfach", erzählt Sessler. Stück für Stück habe er nach Lösungen gesucht, damit alles am Laufen bleibe und alle Beteiligten und Betroffenen eine Perspektive hätten. Er habe wie die vergangenen zwei Jahrzehnte auch nach seinem wichtigsten Grundsatz gehandelt: "Entweder mache ich etwas ganz oder gar nicht!".

Derweil müssen sich die Bäckereien, die bislang mit Sessler zusammenarbeiten, nach einem neuen Lieferanten umsehen. Und auch die Landwirte rund um die Neuhengstetter Mühle, die derzeit vollauf mit der Ernte beschäftigt sind, müssen sich umstellen. "Viele liefern jetzt in Renningen an", sagt Sessler. So wie es bislang Landwirte von Stuttgart-Möhringen bis Böblingen getan haben. Deren Getreide wurde gemahlen und dann ohne Zwischenhändler an die sieben Bäckereien geliefert. Eine Anlieferungsstelle will Sessler künftig nur noch für Weizen in Renningen betreiben. Die dortigen Mitarbeiter werden von der Frießinger Mühle in Bad Wimpfen im Kreis Heilbronn, der größten privaten Industriemühle in Baden-Württemberg, übernommen. Dorthin wird auch der in Renningen gesammelte Weizen geliefert.

Der ein oder andere Landwirt muss künftig weitere Wege in Kauf nehmen, zum Beispiel zur BayWa-Anlieferungsstelle in Weil der Stadt. "Dort wird das Getreide derzeit von den Landwirten aus dem Kreis Calw hauptsächlich gebracht", sagt Anja Härtel, Pressesprecherin des Landratsamt, auf Anfrage.

Martin Sessler hat seinen Betrieb in mehr als 20 Jahren mit Leidenschaft sowie großem Ideenreichtum betrieben und viel Geld investiert. Mit seiner Entscheidung, die Renninger Mühle zu schließen, geht eine insgesamt 300-jährige Tradition zu Ende.