Dort, wo sonst Autos und Busse fahren, wurde am Montagnachmittag Hockey gespielt. Foto: Fotos: Fritsch

Mobilität: Minister begeistert von Althengstetter Modellvorhaben / Bürgermeister kritisiert veraltete Straßenverkehrsordnung

 
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Familienzentrum, Zukunftsdialog, Klimaschutzkonzept oder Arbeitskreis Energie – in Althengstett wird Bürgerengagement und -beteiligung groß geschrieben. Davon konnte sich Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann bei seiner Stippvisite überzeugen.

Althengstett. "Baden-Württemberg geht beim Klimaschutz voran und wir sind vorne mit dabei", sagte Bürgermeister Clemens Götz am Montag in der Aula des Schulzentrums, nachdem Hermann sich den Verkehrsversuch in der Schulstraße angeschaut hatte (wir berichteten). In Zukunft soll nicht nur diese, sondern der gesamte innerörtliche Bereich verkehrsberuhigt werden; der motorisierte Individualverkehr zugunsten des ÖPNV zurückgedrängt und nach Möglichkeit viel mit dem Rad oder zu Fuß erledigt werden. Dabei wird die Zuwegung zum künftigen Halt der Hermann-Hesse-Bahn eine wichtige Rolle spielen, wie der Althengstetter Rathauschef berichtete. "Plötzlich Undenkbares ist denkbar", sagte er mit Blick auf das Verkehrsexperiment in der Schulstraße, das noch bis 27. läuft. Es gehe nicht darum, das Auto abzuschaffen – "wir leben schließlich von Daimler, Porsche und Bosch", sondern zu zeigen, dass es auch anders gehe. Für den Klimaschutz und um sich ein Stück öffentlichen Raum zurückzuerobern – "das ist unser aller Lebensraum". Wichtig sei es, die Bürger stets mitzunehmen. Götz verwies auf die Althengstetter Mobilitätstage 2021, die in einem großen Kontext zu sehen seien, denn Klimaschutz sei auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene sowie weltweit ein Thema.

Nicht gerade einfach

"Wir brauchen mehr Beinfreiheit bei Genehmigungen", gab der Bürgermeister dem Verkehrsminister mit auf den Weg. Die Sperrung der Schulstraße für das genannte Experiment genehmigt zu bekommen, sei wegen der geltenden Vorschriften alles andere als einfach gewesen. Bei der Planung von Radwegen könne es zudem nicht sein, dass Einzelinteressen mehr Gewicht als dem allgemeinen Interesse gegeben werde, so Götz, und spielte damit auf eine Verbindung Richtung Mühle in Neuhengstett an.

"Es ist wunderschön zu sehen, wie öffentlicher Raum von den Menschen zurückerobert wird", sagte der Verkehrsminister nach einem Rundgang über das "Versuchsgelände" Schulstraße, wo durch die Sperrung zum Beispiel Hockey mitten auf der Straße gespielt werden konnte. Es sei wichtig, Kindern dabei zu helfen, "sich sicher und selbstbewusst im Verkehr zu bewegen", betonte Hermann. Elterntaxis seien da wenig hilfreich. Das Aufzeigen von Alternativen zum Hol- und Bringdienst der Eltern am Hengstetter Schulzentrum nannte Hermann als einen Grund, warum Althengstett neben 14 weiteren wie Heidelberg und Karlsruhe als Modellkommune "KlimaMobil" ausgewählt wurde: "Ihre Ideen, Konzepte und Vorstellungen überzeugen", sagte er zum Modellprojekt.

Die derzeit geltende Straßenverkehrsordnung sei 50 Jahre und älter und auf das Auto ausgerichtet, ging der Minister auf Götz’ Kritik ein. Sie sei hinderlich, wenn es darum, gehe, gute Ideen in die Tat umzusetzen. "Wir brauchen eine moderne, am Menschen und Klima ausgerichtete Straßenverkehrsordnung, egal, wer künftig im Bund regiert", so Hermann. An der klimafreundlichen Initiative Althengstetts jedenfalls fand der Besucher aus Stuttgart großen Gefallen.