Im Mühlengebäude ist heute ein Biomarkt untergebracht, der Anbau rechts entstand 2013. Foto: Tröger

Jubiläum: Vor 100 Jahren gegründete Getreidemühle hat eine wechselvolle Geschichte / 1966 bis 1986 die erfolgreichsten Jahre

Heute trennt die Mühle nur die viel befahrene Ortsumgehung von der Bebauung, bei ihrer Gründung lag dieser Standort am "Grambog", dem Wald in Richtung Simmozheim, noch deutlich außerhalb des kleinen Waldenserdorfes Neuhengstett: Die genossenschaftliche Getreidemühle Althengstett blickt auf eine 100-jährige Geschichte zurück.

Althengstett-Neuhengstett. Die Landwirte der Umgebung waren in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg mit den Mahlergebnissen und den aus ihrer Sicht überhöhten Mahllöhnen so unzufrieden, dass sie sich 1921 entschlossen, eine eigene, gerecht geführte Mühle zu gründen. Bauern aus Althengstett, Neuhengstett, Ottenbronn, Simmozheim, Möttlingen, Unterhaugstett und etwas später auch aus Monakam riefen im Frühjahr 1921 im Gasthaus Rössle die "Getreidemühle Genossenschaft Althengstett" ins Leben und bauten ihre, die eigene, Mühle. Der Standort in Neuhengstett an der Straße nach Möttlingen war aus den beteiligten Gemeinden gut zu erreichen.

Der Start war allesandere als leicht

Es war kein leichter Start, wie ein Mühlenprotokoll aus dem Jahr 1923 vermerkt. Die damalige galoppierende Inflation und die damit verbundene Geldentwertung waren eine große Herausforderung. Als Mahllohn für einen Zentner Getreide hatte ein Genossenschaftsmitglied laut diesem Protokoll am 17. April 1923 2000 Mark zu bezahlen, ein Nichtmitglied 3500 Mark. Der monatliche Lohn für den Müller stieg von einem auf den anderen Tag von 100 000 Mark auf 160 000 Mark. Und bald schon rechnete man in Millionen und Billionen. Außerdem waren die Genossen mit den ersten beiden Obermüllern nicht zufrieden, ihnen musste schon nach kurzer Zeit gekündigt werden.

Das änderte sich, als am 20. Juni 1924 Ernst Fessler seinen Dienst antrat. Er war 27 Jahre lang bis zu seinem Ruhestand 1951 der Obermüller, unter dessen Regie sich die Getreidemühle sehr gut entwickelte. Im Jahr 1926 gehörten der Genossenschaft bereits 580 Mitglieder an. Pro Mahltag wurden damals 40 Zentner Getreide gemahlen, im Jahr rund 13 000 Zentner. 1933 wurde die Mühle so erweitert, dass es möglich war, das Mehl in einem Arbeitsgang und für jeden Kunden gesondert zu mahlen. Die Müllerfamilie Fessler, die im Obergeschoss der Mühle kostenfrei wie alle Müller wohnte, war in Neuhengstett eine Institution und keine der nachfolgenden Müllerfamilien war auch nur annähernd so lange im Welschdorf.

Im Zweiten Weltkrieg und der anschließenden Besatzungszeit stand die Mühle unter Zwangsbewirtschaftung. Damals herrschte große Not, manches Mal kamen Stadtleute zum Betteln in die Mühle. Erst mit der Währungsreform 1948 wurde es langsam besser, die Zwangsbewirtschaftung der Mühle endete erst 1950.

In den 1950er-Jahren erlebte die Mühle wieder einen Aufschwung, die Zahl der Genossen erhöhte sich auf 600. Es wurde ein Lastwagen angeschafft, so konnte das Getreide bei den Bauern abgeholt und das fertige Mehl dorthin geliefert werden.

Eine pneumatische Förderanlage wurde installiert, was die Arbeit der Müller erheblich erleichterte. Der Handel mit Futtermitteln wurde ins Portfolio aufgenommen und 1958 investierte die Genossenschaft in ein Getreidesilo mit Trocknungsanlage. So konnten die Landwirte ihr Getreide direkt vom Feld zur Mühle fahren.

Der Neuhengstetter Bäckermeister und Lammwirt Egon Luz war, wie zahlreiche andere Bäcker der Umgebung, Abnehmer des in der Genossenschaftsmühle erzeugten Mehls. Er beschreibt die Jahre von 1966 bis 1986 als die erfolgreichsten der Neuhengstetter Mühle, die in dieser Zeit immer wieder modernisiert worden war. Mit ihren Walzenstühlen den Plansichtern und Förderbändern war sie technisch auf dem neuesten Stand.

Viele Neuhengstetter dürften sich noch an den Geruch nach Getreide und Mehl erinnern, denn an der Mühle war über die Jahrzehnte auch die Haltestelle für die Busse nach Calw und Weil der Stadt, die Rampe der Mühle diente oft als Sitzplatz.

Die landwirtschaftlichen Betriebe in den umliegenden Gemeinden wurden im Lauf der Jahre immer weniger. Deshalb blieb auch die Genossenschaftsmühle nicht vom landesweiten Mühlensterben verschont. Der Mahlbetrieb wurde Ende der 1980er-Jahre eingestellt und das Mühlengebäude 1995 an die Müllerfamilie Sessler aus Renningen verkauft. Erhalten blieben bis heute das prägende Mühlengebäude mit den Silos, in denen noch bis zur Aufgabe des Mühlenbetriebs Sessler in Renningen 2019 Getreide von den verbliebenen Landwirten gesammelt wurde.

Müllermeister Otto Sessler baute die Neuhengstetter Einrichtung zu einem Mühlen-, Bauern- und Biomarkt aus. Seit 2013 führt seine Tochter Stephanie Sessler den Laden. Der Schwerpunkt liegt auf regionalen und biologisch erzeugten Waren. 2013 wurde ein Anbau erstellt, eine Café-Ecke und die Terrasse bieten Platz für eine Kaffeepause nach dem Einkauf.