Michael Härle, der den Kneipenführer mitgeschrieben hat, mitsamt seinem „Kärrele“ im Restaurant Brunnerz in der Stuttgarter Innenstadt. Foto: Michele Danze

Arbeiten, ausgehen, verreisen – einfach am Leben teilhaben: Körperbehinderte stehen dabei vor vielen Hürden. Schon der Besuch einer Kneipe kann Probleme mit sich bringen. Ein alternativer Kneipenführer soll die Suche nach der richtigen Adresse erleichtern.

Stuttgart - Michael Härle (51) liebt asiatische Küche. „Wir könnten doch mal wieder essen gehen“, schlägt er vor. Einverstanden. Wie viele kommen mit, welches Lokal ist das richtige? Kathrin Labusga weiß Bescheid: Sie hat das Restaurant Asia-World in Fellbach schon ausprobiert, ruft dort an und bestellt Plätze: „Ich komme mit zehn Rollstuhlfahrern.“ Kathrin Labusga leitet die Interessengruppe Kunst und Kreativ (KuK) im Alex-Club, dem Jugendclub im Körperbehinderten-Verein Stuttgart. Der Besuch im Lokal Asia-World wird ein Erfolg.

„Das Nebenzimmer war schon für unsere Bedürfnisse hergerichtet, alle Mitarbeiter waren zuvorkommend und hilfsbereit“, lobt Kathrin Labusga. Weil der Zugang barrierefrei ist, die Toiletten behindertengerecht sind und es obendrein allen geschmeckt hat, bekommt das „von außen eher unscheinbar wirkende“ Lokal im Alternativen Kneipenführer die Spitzenbewertung – Note „Eins“.

„Mein Kärrele“ nennt Michael Härle sein Elektromobil, das ihm trotz schwerer Gehbehinderung die nötige Beweglichkeit verschafft. Damit macht er sich von seiner betreuten Wohngemeinschaft auf zu Bussen und Bahnen, zu seinem Arbeitsplatz in einer Behindertenwerkstatt in Feuerbach, und er kommt damit auch zum Alex-Club, zu dessen Gründern 1968 seine Mutter gehörte.

Gekiester Boden erschwert Schieben der Rollstühle

In diesem Club und in der KuK entstand die Idee zum Alternativen Kneipenführer. „Es ging uns dabei nicht nur um die baulichen und barrierefreien Voraussetzungen“, sagt Alexander Schell vom Stadtjugendring, der federführend am Projekt mitgewirkt hat. Wichtig seien vor allem „weiche Faktoren“ gewesen: Wie geht das Personal mit einer Gruppe behinderter Menschen um? Wie reagieren die anderen Gäste? Fühlt man sich als Mensch mit Einschränkung wohl?

Dafür haben 20 Mitglieder vom Alex-Club – viele davon jugendlich – in und um Stuttgart Kneipen streng getestet und die Ergebnisse in besagtem Kneipenführer zusammengetragen. „Wir sind der Stadt dankbar, dass sie unser Projekt finanziell ermöglicht hat“, sagt Kathrin Labusga.

Bei der Tour durch die Gastroszene machten die Tester Erfahrungen, an die Nichtbehinderte womöglich gar nicht denken. Zum Beispiel im Biergarten im Schlossgarten. Kein Problem, könnte man meinen. Es gibt reichlich Platz im Freien, man genießt dort die Sonnentage. Behinderten offenbaren sich die Hürden jedoch sofort: Der gekieste Boden erschwert das Schieben der Rollstühle, und die Toilette befindet sich eine Treppe tiefer, erklärt Härle. Auf der sicheren Seite sind die Rollis, wie sich Rollstuhlfahrer selbst salopp nennen, als Restaurantbesucher im Mineralbad Leuze: Hilfe werde jederzeit geleistet, und auch das Essen schmecke. Der Ufa-Palast wird nicht nur für den Kinobesuch, sondern auch für den Snack hinterher empfohlen. Und das Wichtel auf dem Roser-Areal ist nicht nur deshalb Michael Härles Lieblingsadresse, weil es nahe bei seinem Arbeitsplatz liegt.

19 Adressen wurden zunächst getestet und in den Führer aufgenommen: Banco Bar, Suite 212, Schocken, Pils Bar Alt Stuttgart (Bars), Brunnerz, Ruben’s (Bistros), Graf Eberhard, Scholz (Cafés ), der Jazzclub Bix, Il Pomodoro, Punto Fisso (Italiener) und auch der Szene-Treff Palast der Republik (Urteil: für Behinderte nur im Sommer geeignet).

Das Brunnerz ist Stuttgart ist längst behindertenfreundlich

Die Positiv-Liste darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, dass keine schlechten Erfahrungen gemacht worden seien. Über die harsche Unfreundlichkeit in einem Bistro im Schlossgarten sei sie „echt schockiert“ gewesen, erinnert sich Kathrin Labusga.

Da verhallten offenbar die Appelle des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands. „Der Verband engagiert sich seit Jahren zu diesem Thema“, so Sandra Warden vom Dehoga-Bundesverband in Berlin. 2005 wurden mit den fünf großen deutschen Behindertenorganisationen die Standards besprochen, Infokampagnen und Schulungen bringen Gastronomen und Hoteliers immer wieder auf den neuen Stand. Mittelfristig soll es entsprechende Zielvereinbarungen für den gesamten touristischen Bereich geben. Dass trotzdem viele gastronomische Einrichtungen allein schon durch die baulichen Gegebenheiten unzugänglich bleiben, sei nicht zu leugnen: „Für Neubauten sind barrierefreie Zugänge Vorschrift, aber für ältere Betriebe wären oft hohe Investitionen nötig, die ein Pächter oder Mieter nicht leisten kann oder will. Darum gilt hier der Bestandsschutz.“

Für die Gastronomen-Familie Brunner, Betreiber des Brunnerz, und Geschäftsführerin Alexandra Schulz ist es keine Frage, dass Gäste mit Behinderung ebenso freundlich behandelt werden wie alle anderen. „Wir haben schon beim Neubau und bei der Einrichtung auf barrierefreie Zugänge geachtet“, sagt Alexandra Schulz, bei der sich regelmäßig ein Rolli-Stammtisch trifft.

Hier wie auch in anderen Lokalen liegt der Alternative Kneipenführer aus: „Viele Be-triebe waren kooperativ“, lobt Labusga. Im nächsten Jahr soll es weitere Tests geben: „Dann nehmen wir uns die Stadtteile vor.“