Pianist Amadeus Wiesensee versetzte durch sein Vorspiel das Publikum in Staunen. Foto: Kosowska-Németh Foto: Schwarzwälder Bote

Konzert: Amadeus Wiesensee beim Meisterkonzert

Altensteig. Das jüngste Meisterkonzert rief ein gewaltiges Publikumsecho hervor. Viele Konzertbesucher hatten noch den allerersten Auftritt des Pianisten Amadeus Wiesensee (Jahrgang 1993) in Altensteig vor drei Jahren im Gedächtnis, nun gab der Ausnahmekünstler wieder ein Recital im Bürgerhaussaal und versetzte sein Auditorium abermals ins Staunen.

Durch die Musikfachwelt in höchsten Tönen als "Kulturstern des Jahres" (Münchner Abendzeitung) gelobt und auf "Weltklasseniveau" (Süddeutsche Zeitung) erhoben, geht Wiesensee konsequent seinen musikalisch-philosophisch abgesteckten Weg und entwickelt sich zu einer herausragenden künstlerischen Persönlichkeit von ungeahntem Ausmaß.

Bei der Einführung in sein Konzertprogramm gab sich der Pianist überaus allürenfrei und sein Einblick in die weit ausgelegte, zum Teil intellektuell geprägte Kunstauffassung der Musik ließ die Zuhörer in die Tiefen der emotionellen Vorstellungskraft reisen.

Neue interpretatorische Impulse

In den vier späten zweisätzigen Sonaten von Domenico Scarlatti setzte Wiesensee eine sachliche und intensive, doch keineswegs lapidare Anschlagsart ein und fand in dem reich verzierten musikalischen Stoff stets neue interpretatorische Impulse für die Wiederbeleuchtung des barocken Glanzes. Die motorischen Teile verrieten keine Spur von Hektik, in ruhigen Sätzen folgte der Pianist seinem unergründeten und verwinkelten, doch fesselnden Gedankenablauf.

Dann versank der Tonkünstler in die expressive Welt der Klaviersonate von Alban Berg und erkundete die unterschwelligen Schichten ihrer Emotionalität. Dicht an dicht zwischen Realität und Fantasie, in schlafwandlerischer Symbiose des Geistes und der Tasten erwuchsen aus der irrealen Lyrik kontrastierende Wellen der Dramatik, und diese trafen die Zuhörer bis ins Innerste mit Wucht der Ausdruckskraft.

Die späte Sonate As-Dur von Ludwig van Beethoven, voller Reflexionen und Gegensätze erschien in einem tief menschlichen Licht, wo sich Furcht und Unruhe, Freude und Resignation auch in der Milde oder Macht des Anschlags ausdrückten, da jeder Ton ein Eigengewicht besaß und eigenes Wort sprach.

Frederic Chopin sei der Favorit von Wiesensee, doch wie der Pianist zugab, dauerte es eine Weile, bis er den Schlüssel zum Kern der romantischen Pianistik in den Händen hielt. Und nun erklangen Barcarolle Fis-Dur und Mazurka h-moll wie eine ätherische Essenz der Chopinschen Musik, wie ein Freiflug der Sehnsüchte und nostalgischer Intimität in unzähligen Schattierungen – von kapriziöser, virtuoser Eleganz bis zur fieberhaften Nervosität, bis zum Vergessen des eigenen Selbst.

Das enorme stilistische Spektrum und die musikalische Dichterkunst von Wiesensee erblühten noch einmal in voller Pracht in "Miroirs" von Maurice Ravel auf. In der Vielfalt der Naturimpressionen, irgendwo zwischen leise flüsternden Wasserspielen und perlenden Klangkaskaden, zwischen Schönheit der Nacht und fernen Glocken-Echos klang auch die Unendlichkeit der Zeit nach. Ein geradezu berauschendes Erlebnis angesichts des ergreifend schlichten Erscheinungsbildes des Künstlers, der die Sentenz Friedrich Schillers als ein wegweisendes Credo tief im Herzen trägt – "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."

Nach den lang andauernden Ovationen erlebten die Konzertbesucher noch zwei erlesene Zugaben von Chopin und György Ligeti.