Am Landgericht Tübingen wurde ein 55-jähriger Maschinenarbeiter, der seinen Vorgesetzten erstechen wollte, zu sechs Jahren Haft verurteilt. Foto: Archiv-Foto: Bernklau

Schwurgericht sieht in Bluttat gegen Vorgesetzten niedere Beweggründe erfüllt. War der Angriff zu verhindern?

Altensteig/Tübingen - Der 55-jährige Maschinenarbeiter, der im September vergangenen Jahres versucht hat, seinen Vorgesetzten zu erstechen (wir berichteten), soll dafür sechs Jahre ins Gefängnis. Der Angeklagte nahm das Urteil der Großen Strafkammer am Tübinger Landgericht, das ihm versuchten Mord vorwarf, ohne jegliche Gefühlsregung entgegen.

Hätte diese Bluttat verhindert werden können? "Im Nachhinein ist man ja immer schlauer", meinte der Vorsitzende Richter Ralf Peters in seiner ausführlichen, anderthalb Stunden währenden Urteilsbegründung. Fest steht, dass der Angeklagte lange vor der Tat, nämlich schon im Mai 2012, seinem Vorgesetzten mit dem Tod bedroht hatte, weil er ihn für die fristlose Kündigung seines Arbeitsplatzes und damit für seinen sozialen Absturz verantwortlich gemacht hatte. Wegen dieser Todesdrohung wurde er zwar vom Nagolder Amtsgericht verurteilt, selbst ein Haftbefehl wurde erwogen, um den Vorgesetzten und seine Familie zu schützen. Aber der Angeklagte zog noch rechtzeitig den Kopf aus der Schlinge mit der Beteuerung, diese Androhungen seien nicht so ernst gemeint gewesen.

Der Haftbefehl wurde zurückgenommen – und der Gekündigte, der sich als Opfer fühlte, konnte weiter ungestört seinen Rachegedanken für die vermeintlich ungerechte Kündigung nachgehen.

Das Gericht sah in diesen Motiven die niederen Beweggründe erfüllt, um den 55-Jährigen wegen versuchten Mordes zu verurteilen: "Er hat in ein internes Schuldbuch eingetragen, in dem aber nie gestrichen wird", erklärte der Richter. Und der Angeklagte habe genau gewusst, was passieren könne, wenn er – wie geschehen – seinem Vorgesetzten nachts nach der Spätschicht mit einem Klappmesser und Kabelbindern in der Garage auflauert: "Das hätte ein Blutbad werden können, das war dem Angeklagten klar", resümierte Peters.

Als weiterer niederer Beweggrund käme hinzu, dass der Angeklagte genau gewusst habe, dass sein Vorgesetzter für die Kündigung nicht verantwortlich gewesen sei. Zwei Mal hatte der Angreifer seinem Opfer das Messer in den Oberbauch gerammt. Dass diese Stiche hätten lebensgefährlich sein können, sei dem Angreifer, so meint das Gericht, "egal gewesen".

Strafmildernd wertete das Schwurgericht das Teilgeständnis. Nicht alles, was der Angeklagte vor Gericht beteuerte, entsprach indes der Wahrheit, wie die mehrtägige Beweisaufnahme ergab. So wurde von einem Rechtsmediziner die These des Angeklagten wiederlegt, dass ihm sein Vorgesetzter bei der Bluttat ins Messer gelaufen sei. Auch die Einlassungen des Angeklagten, er sei am Arbeitsplatz gemobbt wurden, hielten den Zeugenausgaben von Kollegen nicht Stand. Die hohe Strafempfindlichkeit des Angeklagten, der "im Gefängnis keinen leichten Stand haben wird", wertete das Gericht ebenso strafmildernd wie die freiwillig angekündigte Zahlung von 5000 Schmerzensgeld an das Opfer.

Dem 55-Jährigen legte der Vorsitzende Richter abschließend mit großem Nachdruck ans Herz, im Strafvollzug seine Tat therapeutisch aufzuarbeiten: "Ich sehe sonst die ganz große Gefahr, dass sich bei Ihnen durch den Vollzug nichts ändert." Und Peters wurde noch deutlicher: "Die Kammer ist zur Überzeugung gelangt, dass es in Ihnen weiterhin nagt und rumort und dass nicht gesagt werden kann, dass die Familie (des Opfers) sich keine Sorgen mehr machen muss."

Ob die Verteidigung gegen das aus ihrer Sicht "sehr harte Urteil" Revision einlegt, stand gestern noch nicht fest.

Das 48-jährige Opfer will indes nur eines: Abstand zu dieser Tat gewinnen und, so weit es überhaupt geht, endlich wieder den Weg zurück in ein normales, angstfreies Leben finden.