Der 34-Jährige Pole wurde vom Tübinger Landgericht zu sechs Jahren Haft verurteilt. Foto: Benrklau

Versuchter Totschlag an Saisonarbeiter-Kollegen. Landgericht ordnet für Angeklagten eine Alkoholtherapie an.

Altensteig-Walddorf/Tübingen - Der Angeklagte bedankte sich für das Urteil. Sechs Jahre Haft verhängte die Strafkammer am Tübinger Landgericht gegen den Polen wegen versuchten Totschlags an einem Saisonarbeiter-Kollegen im Walddorfer Containerdorf.

Die Strafe ist ganz genau abgemessen. Denn der 34-jährige Mann will seine schwere Trunksucht in einer dreijährigen Entzugstherapie angehen. Ein Jahr soll er zuvor in Haft, anschließend in eine geschlossene Klinik. Dann wären zwei Drittel der Strafe verbüßt. Der Rest könnte zur Bewährung ausgesetzt werden.

Die Psychiatrische Gutachterin Dagmar Jourdan hatte diese Perspektive für den Angeklagten aufgezeigt. Für den als versuchten Totschlag angeklagten Messerangriff auf den Kollegen mit wohl an die drei Promille Alkohol im Blut hatte sie dem von Jugend auf gewohnheitsmäßig schweren Trinker nur eine gewisse Minderung von Schuld und Steuerungsfähigkeit zugebilligt. Sie sprach von einem "für ihn mittelschweren Rausch". Das Gericht folgte dem.

Angeklater war während der Tag betrunken

Staatsanwältin Rosemarie Zug hatte die Umstände zwar ähnlich gesehen, in ihrem Plädoyer aber eine Haftstrafe von acht Jahren beantragt. Dass der klaffende Schnitt am Hals, den der Pole seinem Landsmann vergangenen Oktober nach einem Streit im Containerdorf von Altensteig-Walddorf zugefügt hatte, als versuchter Totschlag zu werten sei, stand für die Anklägerin fest. Vor allem ein zweiter Angriffsversuch unter wüsten Beschimpfungen und Todesdrohungen gegen den 27-Jährigen galt ihr als erwiesener Tötungsvorsatz.

Während sich der Nebenklagevertreter dieser Sicht anschloss, plädierte Verteidiger Markus Weiß-Latzko genau andersherum. Gerade die späteren Todesdrohungen könnten darauf hinweisen, dass der Pole beim ersten Angriff auf der Außentreppe seinen Landsmann nicht habe töten wollen. Dass der klaffende Schnitt entlang des rechten Unterkiefers auch beim gemeinsamen Sturz der Streithähne entstanden sein könnte, ließe sich – auch anhand des unscharfen Handy-Videos von der Attacke – nicht völlig ausschließen.

Der Verteidiger wies darauf hin, dass der Rausch des Angeklagten bei der Tat fast an der Grenze zu drei Promille lag, bei dem man "selbst bei einem geübten Trinker" von absoluter Schuldunfähigkeit ausgehen könne. Er hielt daher nur eine gefährliche Körperverletzung für gegeben, "hilfsweise einen minderschweren Fall von versuchtem Totschlag" wegen stark eingeschränkter Steuerungs- und Schuldfähigkeit. Ein Strafmaß von zwei Jahren plus Anordnung einer Entzugstherapie sei angemessen. Acht Jahre Haft würden "meinen Mandanten vollends zerstören".

Pole entschuldigt sich

Dass die langjährige schwere Sucht noch keine endgültigen körperlichen und geistigen Schäden verursacht habe, schlossen Staatsanwältin, Verteidiger und in seiner Urteilsbegründung auch der Kammervorsitzende Ulrich Polachowski aus dem Gutachten. Der 34-Jährige hatte – "zwangsweise aufs Trockene gesetzt", so die Psychiaterin aus Zwiefalten – seine vielen Haftstrafen in Polen und Deutschland offenbar weitgehend ohne schwere Entzugssymptome hinter sich gebracht.

Der Pole hatte sich bei seinem Landsmann, der die Attacke bis auf die Narbe ohne bleibende Schäden überstanden hat, nach dessen Aussage entschuldigt. In seinem Schlusswort hatte er über die Dolmetscherin eine "verdiente Strafe" als "letzte Glocke" bezeichnet, sein Leben in den Griff zu bekommen.