Wolfgang Schuster genießt es seit seinem Abschied aus dem OB-Amt in Stuttgart, weniger Termindruck zu haben Foto: Leif Piechowski

Das Stuttgarter Rathaus hat der Jurist Wolfgang Schuster vor fast zwei Jahren verlassen. Einige Themen, die ihm wichtig waren, beschäftigten den Ex-OB in seiner neuen Funktion als Berater aber weiterhin stark. Jetzt hat er sein 65. Lebensjahr vollendet.

Stuttgart - Wer das stressige Amt mal los ist, lebt plötzlich auf. Dann kann es passieren, dass man einen befreiten Menschen sichtet, wie man ihn vorher nie erlebte: Wolfgang Schuster im Straßencafé, in Lektüre vertieft, des Schuhwerks entledigt, die Füße auf dem Stuhl vis-a-vis. Ganz anders, als man ihn als OB von Stuttgart kannte: als Krawattenträger im Terminstress, ständig auf dem Sprung und in Habachtstellung, weil Kritik von den Medien und Anwürfe von Stuttgart-21-Gegnern dräuen.

An diesem Freitag wird Schuster 65. Womit er im normalen Ruhestandsalter ist. Oberbürgermeister allerdings müssen erst zwingend mit 68 aus dem Amt scheiden. Womit Schuster also noch drei Jahre amtieren könnte, wäre er 2012 erneut gewählt worden. Doch der Jurist mit CDU-Parteibuch hat das ja nicht mehr angestrebt und Ende 2012 das Rathaus verlassen, in dem er nach dem Urteil seines Vorgängers Manfred Rommel eine bessere Erfolgsbilanz erwarb als er.

Seit dem Abschied ist Schuster entschleunigt. Morgens steigt er von der Gänsheide herab und geht zu Fuß zum Alten Waisenhaus, wo er sein Büro hat. Abends fährt er meist mit der Stadtbahn heim. Einen Dienstwagen oder ein eigenes Auto wie seine Frau hat er nicht. Ein Elektro-Mietauto für manche Stadtfahrten passt auch besser zu ihm. Schließlich wollte Schuster schon als OB ein Modernisierer sein. Einer, der die Hand am Puls der Zeit und der Gesellschaft hat. Wegweiser und Wegbereiter. Und jetzt, da er in Stuttgart das von ihm gegründete Institut für Nachhaltige Stadtentwicklung betreibt, passt das Elektromobil auch gut.

Mit seinem Institut fand Schuster Unterschlupf im Alten Waisenhaus. Er berät Städte, Verbände, Organisationen und Unternehmen in Fragen der Kommunalpolitik und der Stadt- und Standortentwicklung. Zunehmend kümmert er sich um Konzepte gegen die Jugendarbeitslosigkeit, die in Südeuropa zu einem gesellschaftlichen Kardinalproblem geworden ist. Dafür hat er jetzt mit dem Kolping-Bildungswerk die Foundation of Education gegründet. Sein Rezept gegen Jugendarbeitslosigkeit, deren Quote in Griechenland schon bei 60 Prozent liege: mit Bildung die Arbeitsplatzchancen erhöhen, das Bildungssystem durch duale Systeme und Wirtschaftsnähe verbessern. Dafür will er in den betroffenen Ländern die nötigen Beteiligten an einen Tisch bringen. Netzwerke knüpfen, sagte Schuster schon in seiner Zeit als OB gern zu solchen Bestrebungen. Da ist er in seinem Element.

Heute ist er dabei meistens sein eigener Herr. Auf vertraglicher Grundlage arbeitet er befristet mit anderen zusammen. Reich werde man damit nicht, sagt er. Heute kann er aber auch mal nein sagen, wenn er will.

Ganz ohne Termine und Reisen geht es natürlich nicht. Auch am Vortag des 65. Geburtstags nicht. Da hielt er sich geschäftlich in Berlin auf. Bis zu seinem Siebzigsten möchte er so arbeiten, wenn er gesundheitlich so fit bleibt wie bisher. Denn die Taktung und die Themen liegen ihm, sagt er. Die Arbeit sei nicht mehr Stress, sondern Anregung. In ein Loch gefallen sei er nach der OB-Zeit nicht, sagt Schuster. Er sei sehr zufrieden mit seinem Leben. Er nimmt sich auch Zeit für seine vier Enkel, mit denen er durch Wälder streift – und sicher auch durch das weite Feld der Bildungslandschaft.

Derweil tritt die Erinnerung an die Anwürfe immer mehr in den Hintergrund, die bei seinem Rückzug stark mitspielten. Der Ärger um S 21, das mit dem Namen Schuster verbunden war. Jetzt kann er ruhig auch mal im Café beim Alten Waisenhaus sitzen.