ALS verändert Heike Hirts Leben grundlegend. Zum Welttag der Krankheit erzählt uns die Rottweilerin, wie sie trotz schwerer Diagnose ihren Weg weitergeht.
Am 21. Juni ist Welttag der Amyotrophen Lateralsklerose, kurz ALS. Aus diesem Anlass berichtet Heike Hirt aus Rottweil, die selbst an ALS erkrankt ist, von ihrem Weg zur Diagnose und davon, wie sie seither die Herausforderungen des Lebens mit der Krankheit bewältigt.
Amyotrophe Lateralsklerose ist eine schwere unheilbare motorische Nervenkrankheit. Die motorischen Nervenzellen, die für die willkürliche Steuerung der Muskulatur zuständig sind, verlieren im Verlauf von ALS ihre Funktion, erfahren wir von der Ambulanz für ALS der Charité.
Es folgen Kraftminderung und Muskelschwäche, Muskelschwund oder Steifigkeit im gesamten Körper. Im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf kann es zur vollständigen Lähmung der Skelettmuskulatur kommen.
ALS ist wieder aus der Öffentlichkeit verschwunden
„Die Atmung betrifft es durch den Muskel Zwerchfell und das Schlucken von Nahrung und Getränke wird mit der Zeit unmöglich“, fügt Heike Hirt unseren Recherchen hinzu. Sprechen kann Hirt durch ihr Leiden allerdings nicht mehr, die Kommunikation mit unserer Redaktion verläuft daher nur schriftlich.
Bekanntheit erlangte die Krankheit durch den Physiker Stephen Hawking und die weltweit in Social Media verbreitete Ice Bucket Challenge 2014. „Hier haben sich Menschen Eiswasser über den Kopf geleert, um für wenige Sekunden das lähmende Gefühl zu spüren, mit dem ALS Patienten Tag täglich leben müssen“, erklärt uns Hirt.
„Inzwischen ist die ALS leider aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit wieder verschwunden“, meint die 64-Jährige – und möchte das mit ihrer Geschichte ändern.
2020 begann der körperliche Abbau
2018 ist Hirt an ALS erkrankt. „Ich habe gemerkt, dass mit meiner Zunge etwas nicht stimmte“, schreibt sie uns. Es folgte ein MRT, um einen Schlaganfall auszuschließen und anschließend eine Kur. Doch das Problem mit der Zunge sei noch immer vorhanden gewesen.
„Ein Neurologe äußerte im Sommer 2019 zum ersten Mal den Verdacht auf ALS und schickte mich in die ALS Ambulanz nach Ulm“, so Hirt. 2019 sei dort die lebensverändernde Diagnose gestellt worden.
Hirt erinnert sich: „Ich konnte Mitte 2020 überhaupt nicht mehr sprechen und dann erst begann der körperliche Abbau.“ Mit einer Sprach-App auf dem Handy und dem Tablet habe sie sich dann verständlich gemacht, führt sie aus.
Es folgt eine schwere Entscheidung
„Gleichzeitig begannen die Schluckprobleme. Ich konnte nur noch alles püriert essen und die Getränke mussten angedickt werden, damit ich mich nicht verschlucke. Nachdem ich 35 Kilo in kurzer Zeit abgenommen habe, habe ich eine Magensonde bekommen. Mit einer flüssigen Spezialnahrung über die Sonde konnte das Gewicht halten.“
Seit 2021 sei sie auf einen Rollstuhl angewiesen. „Der körperliche Abbau verlief jedoch so rasant, dass die Ambulanz Ulm mir Mitte 2022 bereits einen elektrischen Rollstuhl verordnet hat“, so Hirt. „Als die Atmung auch schwächer wurde kam der Zeitpunkt, wo ich mich entscheiden musste, beatmen lassen oder sterben.“
„Ich kann es gar nicht beschreiben, welche Achterbahnen der Gefühle ich jetzt erlebt habe“, meint die 64-Jährige. „Der Verstand sagt bei dieser Krankheit sterben. Das Herz möchte weiterleben.“
Gefangen im eigenen Körper
Nach langem Überlegen und Absprache mit der Familie sei sie jedoch zu der Entscheidung gekommen weiterzukämpfen. „Es ging wieder nach Ulm, um eine Trachealkanüle legen zu lassen. Gleichzeitig bekam ich einen Augen gesteuerten PC, um weiter kommunizieren zu können“, erklärt sie uns und hebt die Vorteile dieses Computers hervor, der es ihr nicht nur möglich macht, uns ihre Geschichte zu erzählen, sondern mit dem sie auch ihren Rollstuhl steuern kann.
„Man ist gefangen im eigenen Körper, ist auf fremde Hilfe und viele Hilfsmittel angewiesen und dabei ist der Geist noch voll fit“, fasst die ehemalige Angestellte des Finanzamts Rottweils ihr Leben mit ALS zusammen.
Aber: „Ich habe mich zum Weiterkämpfen entschieden, also verstecke ich mich nicht zu Hause“, meint die vormals ehrenamtliche Kassiererin des TSV Göllsdorf und möchte diesen Optimismus auch mit anderen ALS-Erkrankten teilen.
Hoffnungen und Wünsche
Von der Politik würde sie sich wünschen mehr Geld in die Forschung und das Gesundheitswesen zu investieren. „Je schneller die Ursachen von Krankheiten wie ALS gefunden werden, umso schneller können viele Kosten bei den Krankenkassen gesenkt werden“, gibt Hirt zu bedenken.
Von der Bevölkerung erhofft sich Heike Hirt mehr Mut und Offenheit im Umgang mit Menschen im Rollstuhl. „Ich muss immer über die kleinen Kinder lachen. Die kommen direkt auf mich zu und fragen, was ich habe“, erzählt sie. Ihrer Ansicht nach ist genau das der richtige Weg, um den Umgang mit behinderten Menschen zu lernen.
Trotz aller Einschränkungen möchte Heike Hirt mit ihrer Geschichte ein Zeichen setzen: für mehr Sichtbarkeit der Krankheit – und für den Mut als ALS-Betroffener weiterzukämpfen.