Kinzigtalsperre und Wasserwerke: Der Stausee ist und bleibt ein Trinkwasserspeicher. Foto: Loßburginformation

Die 1980er-Jahre: Eine einzige Stimme mehr bei der entscheidenden Abstimmung und die Trinkwassertalsperre Kleine Kinzig wäre zweckentfremdet worden. Ihr Wasser sollte in den Neckar geleitet werden, um das Atomkraftwerk Neckarwestheim zu kühlen. Ein Zeitzeuge erinnert sich zurück.

Alpirsbach/Loßburg - Hornbach war gerade Mitte 30 und engagiert in Sachen Umweltschutz, als es los ging mit den Protesten. Und er war mittendrin, ebenso wie andere Mitglieder der heutigen Mahnwache für den Atomausstieg Freudenstadt, die inzwischen zwar "etwas ergraut" seien, wie Hornbach es ausdrückt, sich aber nach wie vor für ihr Anliegen einsetzen.

Per Tunnel Richtung Leinstetten, über die Glatt in den Neckar?

1987 sollte Trinkwasser aus der Talsperre Kleine Kinzig in den Neckar geleitet werden, um so Kühlwasser für das 135 Kilometer entfernte Kernkraftwerk Neckarwestheim zu liefern. Und nicht nur dafür, sondern auch für Steinkohle-Kraftwerke in Altbach, Stuttgart und Heilbronn sowie für einen riesigen Müllverbrennungsbetrieb bei Stuttgart-Münster, erinnert sich das heutige Loßburger Gemeinderatsmitglied.

"1971 gründete sich der Planungsverband, aber es sind noch einige Jahre bis zur Inbetriebnahme des Stausees Kleine Kinzig vergangen." Ab 1985 lieferte er für die umliegenden Gemeinden sauberes Trinkwasser. Seine Zukunft war jedoch zeitweise ungewiss. Ein heftiger politischer Streit entfachte in den damit beschäftigten Verbänden und Räten um seine Nutzung.

In den 70er Jahren gab es nämlich Probleme mit der Genehmigung des zweiten Blocks des Kernkraftwerks Neckarwestheim, erklärt Hornbach. "Das Problem war das Niedrigwasser im Sommer. Die Frage lautete: Wie bekommt man genug Wasser in den Neckar, um die Kraftwerke zu versorgen?" Die Gefahr habe bestanden, dass nicht genügend Kühlwasser entnommen werden könnte. Daraufhin seien die Energiebehörden und die damalige CDU-Alleinregierung auf die Idee gekommen, Wasser aus dem Trinkwasserspeicher Kleine Kinzig unterirdisch in den Neckar zu führen und so die notwendige Wassermenge für die Kühlung der flussabwärts gelegenen Industrieanlagen zu gewährleisten. "Bei Block II des AKW Neckarwestheim, so war zu befürchten, hätte das Wasser bei niedrigerem Pegelstand erst recht nicht mehr gereicht."

Um diese Gefahr zu bannen, sollte durch einen unterirdischen Tunnel von neun Kilometern Länge das Kinzigwasser vom Stausee aus zum Heimbach, Richtung Leinstetten, geleitet werden und von da aus dann über die Glatt in den Neckar. Dieser Plan, so Hornbach, habe Gegenwehr hervorgerufen. "Zum einen von Bürgern aus Alpirsbach und Reinerzau und der näheren und weiteren Umgebung, zum anderen zumindest zum Teil von den beteiligten Gemeinden, die ihr kostbares Wasser nicht vergeudet wissen wollten."

Man müsse Bedenken, welche Arbeit nötig war, um die Trinkwassertalsperre überhaupt zu errichten. "Das Bauprojekt bedeutete eine große Belastung für das Reinerzauer Tal. Material für die Staumauer wurde aus dem Steinbruch gewonnen, in dem dann der Silbersee angelegt wurde." Die Lastwagen hätten sich durch das schmale Tal gewälzt, es habe reichlich Lärm und Dreck gegeben. "Und dann sollte die Stadt das mühsam gewonnene Trinkwasser in den Neckar leiten?" Der Grund, dass die Politik überhaupt auf die Kleine Kinzig aufmerksam wurde, sei ihr Alleinstellungsmerkmal als die einzige Trinkwassertalsperre in Baden-Württemberg gewesen. Jahrelang waren die Energieunternehmen auf der Suche nach einer Quelle für den Neckar, doch alle Pläne zum Anlegen von Speicherseen scheiterten am Widerstand von Kommunen und Naturschützern. "Und die Kleine Kinzig war eben schon da", erklärt Hornbach.

Umweltschützer trauen den Gutachten und Versprechungen nicht

"Von der Politik wurde vertreten, dass der Bau des Tunnels und die Entnahme des Wassers absolut umweltverträglich vonstattengehen würden. Etliche Gutachten wurden aufgefahren", erinnert er sich. Aber die Naturschutzverbände seien nicht zu überzeugen gewesen. Den Gutachtern warfen sie eine "einseitige Betrachtungsweise" vor.

"Es gab aber noch einen anderen Grund, der dafür sprach, den Stausee anzuzapfen. Wäre es so gekommen, hätten die betroffenen Kommunen eine ordentliche Entschädigung bekommen. Die Frage war also: Will man lieber das Geld oder sauberes Trinkwasser?" Das sei eine sehr zwiespältige Sache gewesen. Und die Politiker haben sich "auch nicht nur mit Ruhm bekleckert". Der damalige Ministerpräsident Hans Karl Filbinger habe bei der Neckarwestheim-Diskussion einmal gesagt: "Nur dumme Fische sterben in verschmutzten Flüssen". Das, so Hornbach, sei überliefert.

Es bildeten sich Protestbewegungen, die sich zu Demonstrationen zusammenfanden, beispielsweise im September 1988 auf dem Schlossplatz in Stuttgart. "Wir haben die Proteste organisiert, obwohl wir nicht wirklich daran glaubten, dass da noch etwas zu verhindern wäre", gesteht Hornbach. Man habe es zumindest versuchen wollen. Mit Schildern und Protestsprüchen sei man losgezogen und es haben sich überraschend große Gruppen formiert. "Das war auch die Geburtsstunde der Alpirsbacher BUND-Gruppe. Und einige der damals Aktiven sind auch noch heute in der Freudenstädter Mahnwache für den Atomausstieg engagiert." Die Alpirsbacher BUND-Gruppe gebe es aber in der Form heute nicht mehr. "Es gab in den 90ern einen Zusammenschluss der Loßburger- und Alpirsbacher BUND-Mitglieder. Und die Umbenennung in BUND Oberes Kinzigtal."

Trotz aller  Proteste gegen die Zweckentfremdung der Trinkwassertalsperre sei das Ergebnis der Abstimmung damals  überraschend gewesen. Viele der beteiligten Gemeindevertreter haben sich einen finanziellen Vorteil von der Umsetzung des Vorhabens versprochen. "Der Antrag auf Einleitung des Planungsverfahrens für den Tunnel wurde am 5. Oktober 1988 in der Sitzung des Zweckverbands Kleine Kinzig abgelehnt", sagt Hornbach. "Aber sehr knapp. Zünglein an der Waage war hier die Stadt Schramberg. Zwei Tage zuvor hatte die CDU-Fraktion im Schramberger Gemeinderat eine Sondersitzung einberufen, nachdem der Gemeinderat am 22. September 1988 noch beschlossen hatte, die Entscheidung zu vertagen und den Wasserzweckverband aufgefordert hatte, auch sein Votum zu verschieben. Bei den übrigen Verbandsgemeinden selbst, die alle vor Schramberg abgestimmt hatten, hatte  sich langsam eine ablehnende Haltung gegen das Millionenprojekt herauskristallisiert.

Die eigens beantragte Sondersitzung sorgte dafür, dass alleinig der Ausgang der Schramberger Abstimmung darüber entschied, ob die Überleitung kommt oder nicht. Würde die CDU-Mehrheit im Gemeinderat für eine Überleitung stimmen, käme diese zustande. Schramberg hatte nach Freudenstadt aufgrund der zweithöchsten Wasserbezugsrechte auch die zweitmeisten Stimmen im Verbandsgremium. Doch einer macht bei dem Plan der damaligen Energieversorgung Schwaben (EVS) und der CDU-Landesregierung  nicht mit: CDU-Gemeinderat Hans Faißt aus Waldmössingen.

Er, so erinnert er sich heute, habe im Vorfeld sogar noch drei weitere Mitstreiter in der Fraktion gehabt, die zuvor ebenfalls gegen die Überleitung gewesen seien. Nachdem diese aber umgestimmt worden seien, so erinnert sich ein anderes Ratsmitglied, sei die CDU-Fraktion noch "guten Mutes" in die selbst beantragte Abstimmung gegangen. Aber zumindest Faißt beugte sich keiner Fraktionsdisziplin und stimmte mit SPD, Freien Wählern und Buntspecht gegen die Schwarzwaldwasser-Nutzung für das Atomkraftwerk. Da half auch die Anwesenheit des damaligen Umweltstaatssekretärs bei der Sitzung im Schramberger Rathaus nicht. Es kam zum politischen Patt, das dafür sorgte, dass sich Schrambergs damaliger Oberbürgermeister Bernd Reichert bei der Verbandsversammlung enthalten musste – und die Gegner der Überleitung in der Mehrheit blieben.

Mehrfach habe er sich zuvor auch schon in den Fraktionssitzungen gegen die Wasserableitung ausgesprochen gehabt – und zwar aus mehrerlei Gründen. So habe er es immer so gesehen, dass zum Überleben »Wasser wichtiger ist als Strom. Hinzugekommen sei, dass er die Wassermenge in trockeneren Jahren als zu knapp erachtet habe für ein solches Projekt. Und eine höhere Aufstauung des Winterwasssers als Reserve sei aufgrund der Dammkonstruktion nicht möglich gewesen. Zudem, so Faißt, hätte eine Abnahme solcher Wassermengen in kürzester Zeit für eine Trübung des verbleibenden Trinkwassers gesorgt, die aufwändig und kostspielig wieder hätte beseitigt werden müssen. Ob dann unterm Strich überhaupt noch ein Ertrag für die Gemeinden übrig geblieben wäre, das habe er bezweifelt, so Faißt im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten.

Zu der Sitzung selbst war übrigens auch die nationale Presse im Schramberger Rathaus aufgefahren, um zu berichten. Die Wochenzeitung "Die Zeit" hatte die Entscheidung damals mit "Kein Wasser fürs AKW, ein CDU-Stadtrat besiegt die Atomlobby" überschrieben.

Heute ist Block I des AKW Neckarwestheim stillgelegt, Block II folgt 2022. "Und die Zeit der Kohlekraftwerke dürfte nach dem jüngsten Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz auch Geschichte sein", überlegt der heutige Grünen-Kommunalpolitiker Hornbach. "Und die Bedeutung der Trinkwasserversorgung hat zugenommen, in diesen trockenen Sommern ist jeder Tropfen wichtig."