Alle Schularten unter einem Dach gibt es im Bildungszentrum Alpirsbach. Foto: Dyba

Was kann das neue Schulsystem wirklich leisten? Die Meinungen dazu sind unterschiedlich.

Alpirsbach/Loßburg - Die Botschaft ist nicht zu überhören: An der Gemeinschaftsschule sollen alle Bildungsniveaus des dreigliedrigen Schulsystems angeboten werden. Im Prinzip, so wird sie angepriesen, sei sie einem Progymnasium gleichgestellt. Doch so manchem fehlt der Glaube.

In Loßburg geht die Gemeinschaftsschule im September mit viel Anschubenergie an den Start. Thomas Gisonni, Leiter der Loßburger Real- und der künftigen Gemeinschaftsschule, verglich Letztere bei einer Informationsveranstaltung direkt mit dem Progymnasium: "Mit den entsprechenden Leistungen und der Belegung des Fachs Französisch wird es zukünftig möglich sein, direkt in die Kursstufe eines allgemeinbildenden Gymnasiums zu wechseln." Eine Realschulprüfung für die Zehntklässler, die auf ein Gymnasium wechseln, sei nicht vorgesehen, sagte Gisonni auf Nachfrage unserer Zeitung.

Dass die Gemeinschaftsschule in einem Atemzug mit der eigenen Schulart genannt wird, hört man im Progymnasium Alpirsbach natürlich nicht gern. Für dessen Leiter Herbert Ade ist die Gemeinschaftsschule "eine Realschule mit unvollständiger Pädagogik". Wahrheit und Wahrhaftigkeit gebieten es laut Ade, "nicht zu verkünden, dass man zum Beispiel über die Realschule das gleiche Abitur erlangen kann wie auf dem Gymnasium". Die Realschule führe primär zur Berufsausbildung, während im Gymnasium die Persönlichkeitsbildung im Vordergrund stehe. Überhaupt warnt Ade davor, dass sich die Schulbildung immer mehr auf eine "rein zweckorientierte Ausbildung" beschränkt. Das Gymnasium sei eine "kreative, keine reproduktive Schule". Schulleiter Herbert Ade, Matthias Heinz vom Leitungsteam des Progymnasiums und Bernd Gentner, der sich mit Frieder Alius den Vorsitz des Elternbeirats teilt, geht es in einem Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten denn auch vor allem darum, zwischen den Schularten zu differenzieren.

Die Eltern, die vor der Wahl der weiterführenden Schule für ihr Kind stehen, kommen mit Ängsten zu den Informationsveranstaltungen, sagt Bernd Gentner aus Erfahrung, und diese Ängste würden durch die teilweise massive Werbung verstärkt. So kämen manche Eltern aus Vorsicht zu dem Schluss, ihr Kind erst mal auf die Realschule zu schicken, auch wenn es eine Gymnasialempfehlung habe. Im Landkreis Freudenstadt gebe es ohnehin schon immer den Sonderfall, ergänzt Ade, dass ein Großteil der Schüler mit Gymnasialempfehlung auf die Realschule wechsle.

Bei der Werbung um Fünftklässler gehen die weiterführenden Schulen in diesen Tagen vor der Anmeldung der potenziellen Neuzugänge in die Offensive – auch über Gemeindegrenzen hinweg. Wie die John-Bühler-Realschule Dornhan. Sie sollte auch Gemeinschaftsschule werden, der Antrag wurde jedoch im Gegensatz zu dem aus Loßburg abgelehnt. Nun warb das Lehrerkollegium im Mitteilungsblatt der Gemeinde Loßburg für einen Schnuppernachmittag in der Dornhaner Stadthalle, bei dem sich die Schule präsentierte. Gerne wurden dabei auch, wie angekündigt wurde, "Fragen zum Schulübergang beantwortet".

Zwar sei jede Schule dazu gezwungen, um Schüler zu kämpfen, räumt Herbert Ade ein, aber man sollte dabei "nichts verkaufen, was nicht drin ist". Die Vertreter des Progymnasiums bezweifeln vor allem, ob die hehren Ideen der Gemeinschaftsschule auch in die Praxis umgesetzt werden können. Das pädagogische Konzept der Gemeinschaftsschule mit mehr individuellem Lernen hält Ade durchaus für gut. Für ihn steht aber auch fest, dass die Gemeinschaftsschule zumindest derzeit "nicht dem Anspruch an eine gymnasiale Bildung genügen kann". Dies liege auch an dem "absoluten Mangel an Lehrkräften". Denn es ist ohnehin schon schwer, Gymnasiallehrer in den ländlichen Raum zu bekommen. Es mag laut Ade zwar einzelne geben, die aus Überzeugung an einer Gemeinschaftsschule arbeiten wollen, aber in der Regel bestehe für einen Gymnasiallehrer wohl "kein großer Anreiz, an einer Gemeinschaftsschule zu arbeiten". Zumal er an der Gemeinschaftsschule mehr Stunden geben muss.

Fachpädagogisch bleiben Gemeinschaftsschulen nach Meinung Ades auf der Stufe der Realschule stehen, weil das "pädagogische Credo" der Gemeinschaftsschule, "die Starken lernen von den Schwachen", mangels Gymnasialschülern nicht 100-prozentig umgesetzt werden könne. Nur mit einem erheblich höheren Mittel- und Personaleinsatz wäre das System der Gemeinschaftsschule erfolgreich, meint er. Matthias Heinz warnt vor dem "unglaublich großen Spagat", der beim gleichzeitigen Unterrichten von leistungsschwachen, -stärkeren und -starken Schülern vollzogen werden müsse. Die Lehrer seien ja bisher froh gewesen, wenn die Kinder nach der Grundschule in der jeweiligen Schulart gemäß ihrem jeweiligen Leistungsniveau unterrichtet werden könnten. Und nun mache man den Spagat in der Gemeinschaftsschule wieder auf.

Aus dem Kultusministerium heißt es, dass der Unterricht auf Gymnasialniveau an Gemeinschaftsschulen gesichert sei. Und Thomas Gisonni erwartet dies auch: Schon im neuen Schuljahr komme ein Gymnasiallehrer an die Gemeinschaftsschule in Loßburg, und in jedem Jahr werde es einer mehr. Wenn dann die ersten Schüler der Gemeinschaftsschule in die zehnte Klasse kommen, seien sechs Gymnasiallehrer an der Schule. Mehr würden noch in dem Fall eingestellt, dass es auch eine gymnasiale Oberstufe gebe. Dies hält Gisonni in Loßburg wegen der Schülerzahlen allerdings nicht für realistisch.

"Es gibt keine komplett neue Schule", entgegnet der Schulleiter den Vorbehalten mancher Eltern, "sie wird einfach weiterentwickelt." Gisonni ist zuversichtlich, dass die neue Schulart angenommen wird. Schließlich schätzten es die Loßburger, eine eigene Schule zu haben. Es gebe aber durchaus auch Anfragen von außerhalb der Gemeinde. Mindestens 40 Schüler müssen für die fünfte Klassenstufe angemeldet werden, damit die erforderlichen zwei Eingangsklassen gebildet werden können.

(cw). Der demografische Wandel wirkt sich langsam, aber stetig aus: Kleine Schulen haben es im ländlichen Raum besonders schwer zu überleben. Auch die Schullandschaft im oberen Kinzigtal wird sich in den nächsten Jahren wohl verändern.

Für Schulleiter Herber Ade und Matthias Heinz vom Leitungsteam des Alpirsbacher Progymnasiums bedeutet das, für Kooperationen offen zu sein. "Wir müssen vom Schüler aus denken", fordert Heinz. Stattdessen werde oft nur um Schulstandorte gekämpft. Für die Schullandschaft im Kinzigtal von Loßburg bis Schiltach sollte laut Ade ein tragfähiges Konzept erarbeitet werden. Das bedeute ein "Abschied von Strukturen, sonst werden die Strukturen uns verabschieden".

Im Alpirsbacher Bildungszentrum sei das Progymnasium "auf Gedeih und Verderb in einem Boot mit der Realschule". Aber darüber hinaus müsse über interkommunale Schulträgerschaft nachgedacht werden.

Zwar möchte Ade eine Zusammenarbeit mit der Gemeinschaftsschule in Loßburg nicht ausschließen, aber sein Blick geht eindeutig talabwärts, nach Schenkenzell und Schiltach. Ein klares schulpolitisches Bekenntnis des Alpirsbacher Gemeinderats zu diesen beiden Kommunen vermisst der Schulleiter jedoch bisher. Loßburg, ist sich Ade sicher, werde als Schulstandort "allein überleben".

Bei Schulverbünden geht es Ade nicht um möglichst große Einheiten. Denn die Größe einer Schule sei nur bedingt ein Indikator für Qualität. Der Grad der Zuwendung zu dem einzelnen Schüler sei heute das pädagogische Maß.