Das MTV-Team macht in Potsdam mit seinem schwer erkrankten Trainer Tore Aleksandersen die Meisterschaft perfekt – und hat danach noch genügend Energie für eine lange Feiernacht. In der nächsten Saison wird der Druck nicht kleiner.
Auch am Ende einer harten, zehrenden Saison fehlte es den Stuttgarter Volleyballerinnen nicht an der nötigen Energie. Am späten Samstagabend brachen sie in Potsdam auf, um im Berliner Nachtleben voller Vitalität die Meisterschaft zu feiern. Zurück im Kongresshotel am Templiner See blieb die Trophäe, für die das Team so viel Kraft gelassen hatte. Die erstaunlich schwere Schale bekam in der Bar der Mannschaftsunterkunft einen eigenen Sessel, wurde von den Zurückgebliebenen immer wieder angeschaut, berührt, fotografiert. Wie eine lieb gewonnene Freundin, die man nie wieder verlieren möchte.
Der Grund für diese Zuneigung lag auf der Hand: Einen Titel zu verteidigen ist viel schwieriger, als ihn zu holen. „Das Team hat dem Druck standgehalten, am Ende war es sogar so gut, dass es kaum mehr zu bezwingen war“, sagte Aurel Irion, der Geschäftsführer des Meisters von 2022 und 2023, nach der mit 3:1 Spielen gewonnenen Finalserie gegen den SC Potsdam. „Das macht uns alle sehr, sehr glücklich.“ Schließlich sind die vergangenen Monate nicht einfach gewesen.
Die Reise von Tore Aleksandersen nach Potsdam ist ein wichtiges Signal
Die Stuttgarterinnen waren von Beginn an die Gejagten. Sie spielten zwar in der Champions League herausragend und kamen ins Viertelfinale, doch sie vergaben im Supercup und im Pokal-Halbfinale ihre beiden ersten Titelchancen. „Die Erwartungshaltung in Stuttgart ist immer groß und auch deutlich zu spüren“, erklärte Aurel Irion, „nach diesen beiden Enttäuschungen war der Druck noch höher.“ Und die Ausgangslage wurde immer schwieriger.
Denn Mitte März verschlechterte sich die gesundheitliche Situation des schwer an Krebs erkrankten Tore Aleksandersen. Der Trainer konnte seinen Job nicht mehr so machen, wie er es gerne getan hätte. Dass er am Samstag erstmals in den Play-offs zu einem Auswärtsspiel mitgereist war, wirkte deshalb wie ein Signal. „Diese Saison war harte Arbeit, vor allem auch mental“, sagte Libera Roosa Koskelo, nachdem ihr Team das vierte Finalduell mit 20:25, 25:12, 25:19 und 27:25 gewonnen hatte, „Tore hat uns immer gesagt, dass wir uns auf die Dinge fokussieren sollen, die wir beeinflussen können. Dass er hier dabei war, ist enorm wichtig für uns gewesen.“
Aurel Irion: „Wir sind ein Stuttgarter Aushängeschild“
Die Erleichterung, das große Ziel erreicht zu haben, drückte sich in einer ausgelassenen, fröhlichen, emotionalen Feier aus – berauscht von dem Moment und sich selbst. Erst in der Halle, später im Hotel, dann in Berliner Nachtclubs. Tore Aleksandersen war da schon lange nicht mehr dabei. Der Coach genoss die Momente bei der Siegerehrung sichtlich, zog sich dann aber früh auf sein Zimmer zurück. „Es ist nicht wichtig, wie es mir geht“, hatte er zuvor noch gesagt, „wichtig ist dieser Titel, auf den nicht nur die gesamte Mannschaft und der Verein sehr stolz sein können, sondern auch die Stadt Stuttgart, die wir auf großartige Weise repräsentiert haben.“ Ähnlich äußerte sich Aurel Irion: „Wir sind ein Stuttgarter Aushängeschild.“ Woran der Coach alles andere als unbeteiligt ist. „Für mich“, sagte Kim Renkema, die Sportdirektorin, „ist er ein Meistermacher.“
Der Norweger, der im Dezember 2020 nach Stuttgart kam, gewann seither mit dem MTV drei Titel – obwohl er seinen wichtigsten Kampf außerhalb der Halle zu meistern hat: gegen den Prostatakrebs im Endstadium. „Seine Erkrankung ist die schwierigste Situation, die wir als Verein je erlebt haben. Doch wir werden sie zusammen durchstehen“, erklärte Kim Renkema, „Tore ist ein bewundernswerter Mensch und ein unfassbar guter Trainer. Er weiß, was ein Team braucht, das unter Druck steht, bewahrt immer die Ruhe, passt die Taktik an, hat keine Angst vor mutigen Entscheidungen. Mein Vertrauen in ihn ist riesig.“ Wie auch der Wunsch, dass die gemeinsame Geschichte weitergeht.
Welche Rolle übernimmt Konstantin Bitter?
Den Sommer über wird Tore Aleksandersen seine Therapien in Tübingen fortsetzen. Und hoffen. „Die nächste Saison ist in meinem Kopf und in meinem Herz“, sagte er, „wir haben viel geplant und viel vor.“ Ob er dann noch Cheftrainer sein kann? Muss sich spätestens im August entscheiden, wenn die Vorbereitung beginnt. Sollte es nicht gehen, wird Konstantin Bitter, der aus Erfurt kommt und als Co-Trainer eingeplant ist, die Rolle des Chefcoachs übernehmen. Fest steht schon jetzt: Der Druck wird nicht kleiner.
Allianz MTV Stuttgart hat drei der letzten vier Meisterschaften gewonnen: 2019, 2022, 2023 (im Jahr 2020 wurde die Saison wegen der Coronapandemie abgebrochen) – ist also weiter der Verein, den es zu schlagen gilt. Was sich vor allem der SSC Schwerin und der Dresdner SC vornehmen werden. Einfach ist dieses Unterfangen allerdings nicht. „In der Vergangenheit hat der MTV viele Finals verloren“, sagte Tore Aleksandersen mit einem Blick auf die Meisterschale, „doch mittlerweile hat meine Mannschaft das Siegen gelernt.“ Sogar mit einer Effizienz, die noch genügend Energie zum Feiern lässt.