Die Zahl der Väter, die ihre Kinder allein erziehen, hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt. Unterscheiden sich ihre Probleme von denen alleinerziehender Mütter? Zwei Väter berichten.
Weinbergpizza sagen Vater und Sohn dazu, wenn sie zwischen den Reben sitzen und eine Salamipizza essen. Sie schauen dann mit vollem Mund auf die Stadt hinunter, „mega Aussicht“. Vater und Sohn machen das nach dem Eishockey-Training, wenn vor dem Schlafengehen keine Zeit mehr zum Kochen bleibt.
Vater und Sohn, das sind Dirk Schmidt und Sven, die eigentlich anders heißen. Der Vater möchte jedoch nicht erkannt werden, um Streit mit seiner Ex-Frau zu vermeiden. Dass Sven bei ihm lebt, in seiner Stadt in den Kindergarten geht und bei ihm den Alltag verbringt, hat er in einem Prozess vor dem Amtsgericht erreicht. Aber er weiß: Die Entscheidung könnte nicht für immer sein.
Die Kinder kommen und gehen, wann sie wollen
Bei Markus Sturm und seinen zwei Kindern geht es gemächlicher zu. Sie leben ebenfalls dauerhaft beim Vater, sind fünfzehn und zwanzig Jahre alt. Sie kommen und gehen, wann sie wollen. Wenn sie am Wochenende eine Serie auf Netflix schauen, achtet der Vater darauf, dass es bei der jüngeren Tochter nicht zu spät wird. Um ein, zwei Uhr ist Schluss.
Am nächsten Morgen steht jeder auf, wann er will, frühstückt, wann er will. Die Schulnoten sind gut, der Vater sieht seinen Erziehungsstil bestätigt. Der Sohn schaffte im Sommer das Abitur mit einem Einserschnitt, die Tochter geht aufs Gymnasium.
300 000 alleinerziehende Väter
Dirk Schmidt und Markus Sturm sind Teil einer Entwicklung. Immer mehr Väter in Deutschland erziehen ihre Kinder alleine. Der Anteil an allen Alleinerziehenden beträgt mittlerweile rund siebzehn Prozent – vor zehn Jahren lag er noch bei zehn Prozent. Im Jahr 2023 gab es 301 000 alleinerziehende Väter in Deutschland, das bedeutet eine Zunahme von 55 Prozent im Vergleich zu 2013. Es gibt 1,4 Millionen alleinerziehende Mütter, also immer noch deutlich mehr.
Seit zwei Jahren lebt Dirk Schmidt mit seinem fünfjährigen Sohn alleine; in der Nähe von Stuttgart. An drei von vier Wochenenden im Monat übernachtet der Sohn bei seiner Mutter, 50 Kilometer entfernt.
Nach dreieinhalb Jahren Ehe trennten sich Dirk Schmidt und seine Frau. Sie zog in die Nähe ihrer Eltern, wenig später sollte Dirk Schmidt die Anmeldung für den neuen Kindergarten unterschreiben. Das tat er nicht. Es kam zu einer Gerichtsentscheidung, Sven wollte dem Vater zufolge lieber bei ihm bleiben. Nach all den Streitereien bezeichnet der Vater das Verhältnis zu seiner heutigen Ex-Frau als „schlecht“. Man bespricht das Nötigste.
Der Sohn braucht Action, sagt sein Vater
Sven mag es, aktiv zu sein, sagt der Vater, „er braucht viel Action“. Vater und Sohn fahren Fahrrad, gehen ins Freibad, auf den Spielplatz. Bei den Radtouren liebe Sven es, nicht zu wissen, wo es hingeht. Wenn der Vater von seinen früheren Backpacker-Touren erzählt, höre der Sohn fasziniert zu.
Väter würden mehr mit ihren Kindern unternehmen, sagt Dirk Schmidt. „Manche Mütter sitzen lieber im Hof, das Kind spielt im Sand, es schaukelt, das ist natürlich entspannter für sie.“ Weitgehend alleine seinen Sohn zu betreuen, empfindet der Vater erst mal nicht als anstrengend. „Die Frage ist: Wie bereite ich mich darauf vor?“
Dienstschluss für den Alleinerziehenden ist um 14.30 Uhr
Das Badezeug fürs Schwimmbad packt er am Abend vorher. „Klar, es wäre besser, wenn da eine Frau wäre, mit der ich mich abwechseln könnte.“ Aber die Gedanken an seinen Job als Informatiker verflögen sofort, sobald er sich seinem Sohn zuwende.
Der Feierabend beginnt für Dirk Schmidt schon um 14.30 Uhr, er muss dann seinen Sohn vom Kindergarten abholen. In drei von vier Wochen kann er deshalb von Montag bis Mittwoch nur fünf Stunden täglich arbeiten. Donnerstag und Freitag, wenn häufig die Mutter das Kind hat, holt er Arbeitszeit nach. Das empfindet Dirk Schmidt als anstrengend.
Bei einer Trennung geht es nicht nur darum, bei welchem Elternteil das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, sondern auch ums Geld. Seine Ex-Frau habe ihn ausgepresst, sagt Dirk Schmidt. Für die Wohnung muss er sie ausbezahlen, er hatte sie ihr zur Hälfte überschrieben, „im Vertrauen auf den Fortbestand der Ehe“ und „obwohl sie kaum selber etwas eingebracht hat“. Auch zahle sie deutlich weniger Kindesunterhalt als nach der Düsseldorfer Tabelle vorgesehen.
„Missstände im Ehe- und Familienrecht“
Schmidt sah sich nämlich gezwungen, sie vom gesetzlichen Mindestbetrag freizustellen. Denn: Seine Ex-Frau hätte sonst einen hohen Trennungs- und nachehelichen Ehegattenunterhalt von ihm eingefordert, weil sie nach der Trennung in Teilzeit deutlich weniger verdiente als er.
In Vollzeit zu arbeiten, dazu sei seine Ex-Frau dem Gesetz zufolge nicht verpflichtet gewesen. Und das, obwohl er zu zwei Dritteln das Kind betreute. Auf diese aus Dirk Schmidts Sicht „Missstände im Ehe- und Familienrecht“ wies er den damaligen Bundesjustizminister Marco Buschmann in einer E-Mail hin. Er schrieb sie „aus der reinsten Verzweiflung“.
Männer beim Treff der Alleinerziehenden nicht willkommen
Um sich über solche Probleme auszutauschen, besuchte Dirk Schmidt ein paar Mal einen Treff für Alleinerziehende. Doch die Treffen enttäuschten ihn. Dort seien häufig Frauen hingegangen, „die ihre Dinge eher nicht im Griff hatten“. Plötzlich hieß es, Männer dürften nicht kommen. „Ich habe mich richtig geärgert, denn eine Gegenveranstaltung nur für Väter gibt es natürlich nicht.“ Einige Tage später bekam er eine E-Mail, dass Väter doch auch kommen dürften. Ob er noch mal hingeht, weiß er gerade nicht. „Vielleicht.“
Vater und Sohn machen sich nun mit den Fahrrädern auf zu einem Spielplatz. Der befindet sich in einem Park, auf der Wiese spielen sie Fußball. Es sei gut, wenn sich Sven auspowere, sagt der Vater. „Damit er wie immer um sieben Uhr einschläft.“ Dann legt sich der Vater neben den Sohn und liest ein Buch vor. Eine Viertelstunde genügt. Doch manchmal dauert das Einschlafen eine Dreiviertelstunde.
Dirk Schmidt geht dann durch den Kopf, was er an dem Abend noch alles erledigen muss: Wäsche waschen, eine Mail schreiben, Mittagessen für den nächsten Tag vorbereiten. Dann fühle sich das Alleinerziehen anstrengend an.
Seit dreizehn Jahren leitet Brigitte Rösiger die Geschäftsstelle des Landesverbandes alleinerziehender Mütter und Väter in Baden-Württemberg, Sitz ist Stuttgart.
Alleinerziehende Väter eher in Vollzeit
Alleinerziehende erbringen eine „immense“ und „großartige“ Leistung, sagt Brigitte Rösiger. Wenn man alleine für Haushalt, Einkommen und Wohl des Kindes zuständig sei, stehe man vor großen Herausforderungen. Ein Unterschied zwischen den Geschlechtern sei, dass es Vätern deutlich besser gelinge, weiter in Vollzeit oder annähernd in Vollzeit beschäftigt zu sein. Sie betreuten aber auch überwiegend ältere Kinder, sagt Rösiger.
Bei alleinerziehenden Vätern herrscht der Verbandschefin zufolge immer noch das Stereotyp vor, dass ihnen besonders geholfen werden müsse. Eltern und Geschwister sorgten sich mehr um einen alleinerziehenden Vater als um eine Mutter. Da hieße es: Oje, der arme Mann, dem trauen wir das nicht zu, dem müssen wir helfen, schafft er das überhaupt? Das sei besonders der Fall, wenn der Mann Witwer sei. „Aber die meisten Männer bekommen es ja sehr gut hin.“
Auch indem sie sich Hilfe holten; sie fragten bei Verbänden und Beratungsstellen konkret nach Erziehungstipps. Alleinerziehende Mütter plagten eher Existenzängste, da sie wesentlich häufiger von Armut betroffen seien als Väter. Nur jeder zweite Alleinerziehende, egal ob Mann oder Frau, erhalte Kindesunterhalt so wie es sein solle.
„Für die Kinder ist es besser so, weil sich Spannungen gelöst haben“
Zu seiner Ex-Frau hat der alleinerziehende Vater Markus Sturm ein „sehr distanziertes“ Verhältnis. Seit fast einem Jahr zahle sie keinen Unterhalt mehr. Markus Sturm bemüht sich, seinen Ärger den Kindern nicht zu zeigen. „Sie haben nur eine Mutter, deshalb ist sie die beste Mutter.“
Seit Juli vergangenen Jahres ist er geschieden, die Beziehung dauerte zwanzig Jahre. Die Ehe hat Markus Sturm lange aufrecht erhalten wollen, weil er den Kindern eine Familie bieten wollte. „Für die Kinder ist es besser so, weil sich Spannungen gelöst haben.“ Markus Sturm heißt auch anders, er will seine Kinder schützen.
Das Paar lebte von 2002 bis 2012 in Mexiko, die Ex-Frau ist Mexikanerin. Dann zog Markus Sturm zurück nach Deutschland und arbeitete als Techniker im Kundendienst: Das bedeutete eine Fernbeziehung. 2015 kamen Mutter und Kinder auch nach Deutschland, vor zwei Jahren dann die Trennung.
Seine Ex-Frau habe eine Beziehung „nebenbei“ angefangen, sagt Markus Sturm. Er bot ihr an, mit den Kindern in der Wohnung zu bleiben – nicht weil er sie loswerden wollte. „Für mich war es damals nicht vorstellbar, dass eine Mutter ihre Kinder zurücklässt.“ Doch die Ex-Frau lehnte ab, weil sie Zeit für sich gebraucht habe. „Und für ihren Liebhaber“, sagt Markus Sturm.
Seinen Beruf musste er aufgeben
Die Mutter hält zu den Kindern Kontakt per Telefon und WhatsApp, trifft sie einzeln oder gemeinsam alle zwei Wochen. Einmal im Monat übernachten sie bei der Mutter. Um sich kümmern zu können, hat Markus Sturm seinen Job bei einer Maschinenbaufirma aufgegeben, derzeit geht er keiner Arbeit nach. Das soll sich bald wieder ändern. Auch will er sich mehr Zeit für sich nehmen. „Die Kinder drängen darauf, dass ich mal wieder rausgehe, aktiver werde. Bestimmt auch deshalb, damit sie Ruhe und die Wohnung für sich haben.“
Besonders Spaß an der Erziehung macht Markus Sturm, dass er selbst noch einmal Kind sein kann. Er merke, wie sein Egoismus abnehme, weil er seine eigenen Bedürfnisse zurückstelle. Seiner Tochter kaufte er letztens eine Wasserpistole und für sich eine Wasserspritze. „Um eine Antwort parat zu haben.“
Väter sind weniger ängstlich als Mütter – sagt der Vater
In Sachen Erziehung hätten Männer Frauen gegenüber den Vorteil, dass sie den Kindern mehr Freiraum ließen und weniger ängstlich seien, sagt Markus Sturm. Aber egal ob Vater oder Mutter betreue, Kinder wüssten, sich das Beste von beiden Seiten zu holen und Vorteile daraus zu ziehen.
Seine Kinder vermissten ohne die Mutter einiges: Früher habe eher die Mutter Gespräche über Wünsche und Erwartungen geführt. „Ich tue mich damit schwer.“ Aktuell muss Markus Sturm mit seinem Sohn darüber reden, was der nach seinem Abitur machen soll. Die vielen Möglichkeiten seien erschlagend.
Sven, der Sohn von Dirk Schmidt, wird nächstes Jahr eingeschult. Der Vater geht davon aus, dass er bei ihm, in seiner Stadt, in die Schule geht. Er rechnet aber damit, dass seine Ex-Frau vorher mit einem Antrag versuchen wird, den Jungen zu sich zu holen. Wegen kürzerer Betreuungszeiten in der Schule allerdings geht Dirk Schmidt davon aus, seine Vollzeitstelle reduzieren zu müssen. „Eigentlich kann ich mir das finanziell kaum leisten, da ich eine teure Wohnung abbezahlen muss.“