Der Pianist, Autor und Künstler Alfred Brendel wird 90: ein Mann der Kunst mit vielen Kanten.

London - Als Alfred Brendel im Dezember 2008, damals 78 Jahre alt, zum letzten Mal öffentlich Klavier spielte, geschah dies im Wiener Musikvereinssaal, und ausgesucht hatte der Pianist Mozarts Es-Dur-(„Jenamy“-)Konzert KV 271. Eine bewusste Wahl, denn es braucht viel Arbeit, Wissen, verfeinertes Handwerk, Geschmack und ein Gespür für die Abgründe hinter den Zeichen, um das Mozart’sche Werk-Skelett mit Fleisch zu versehen – und wie könnte man die Kunst des Alfred Brendel besser beschreiben als mit diesen Worten? Der am 5. Januar 1931 im mährischen Wiesenberg geborene, musikalisch in Wien sozialisierte und heute in London lebende Pianist war in den fünfziger Jahren der erste, der sämtliche Beethoven-Sonaten aufnahm (zwei weitere Gesamtaufnahmen folgten später), hat seit jeher sein Zentrum bei Werken der Wiener Klassik gefunden. Außerdem bei Franz Liszt. Und bei Schubert. Dessen schwierige späte Klaviersonaten sind in Brendels Darbietungen auch deshalb Aufnahmen für die Ewigkeit geworden, weil ihnen der insgesamt eher trocken-akademische denn über-empathische Künstler trotz sehr freier Melodiegestaltung ein falsches Zuviel an Gefühl verweigerte.