Fotos: Eyrich Foto: Schwarzwälder Bote

Beim Neujahrsempfang der Volksbank Albstadt arbeitet Wolgang Schäuble an der Balance

77 Lebensjahre und 47 Jahre im Deutschen Bundestag hat Wolfgang Schäuble hinter sich. Trotzdem blickt er mit Mut in die Zukunft, wie er beim Neujahrsempfang der Volksbank Albstadt deutlich machte. Seine frei gehaltene Rede war der Höhepunkt des Abends.

Albstadt/Stetten a. k. M.. Schon erstaunlich: Jahre vor Donald Trumps Kandidatur zum US-Präsidenten hatte der Google-Chef zu Wolfgang Schäuble gesagt, dass Trump der nächste Präsident werden könnte. Weil er mit einer ganz anderen Art von Kommunikation die Aufmerksamkeit auf sich ziehe. Dass vieles in der Politik nur noch Show und vieles in der Gesellschaft aus dem Gleichgewicht geraten sei, geht dem Präsidenten des Deutschen Bundestags, langjährigen Bundesminister in den jeweiligen Brennpunkt-Ressorts und Mitarchitekten der Deutschen Einheit gewaltig gegen den Strich. Daran lässt er beim Neujahrsempfang der Volksbank Albstadt in der Alemannenhalle in Stetten am kalten Markt keinen Zweifel.

Aber Schäuble wäre nicht Schäuble, wenn er nicht wüsste, was in schwierigen Zeiten die wirksamen Gegenmittel sind. Zu glauben, früher sei alles besser gewesen, sei der erste Fehler, "denn mit Nostalgie lösen wir keine Probleme", sagt Schäuble. "Auch nicht, wenn wir technischen Fortschritt und wissenschaftliche Innovation verweigern, anstatt sie zu nutzen und zu gestalten. "Krisen sind auch Chancen", doch Deutschland müsse schneller darin werden, sie zu ergreifen, anstatt Jahrzehnte an zwei Rheintal-Bahngleisen oder einem Berliner Flughafen zu bauen.

Den Einsatz junger Menschen, auch in der Fridays-for-Future-Bewegung, begrüßt Schäuble, "weil wir nicht weitermachen können, wie wir es gewohnt waren, ohne die Grundlagen des Lebens zu zerstören." Dass die notwendigen Veränderungen kommen werden – spätestens, "wenn der Druck groß genug ist", davon ist Schäuble überzeugt. Dass sie einen Preis haben, dürfe freilich nicht vergessen werden. Deshalb sei es Aufgabe aller, an den Veränderungen mitzuwirken – auch mit dem Ziel, dass die Unterschiede geringer werden, "wenn wir nicht wollen, dass die Welt auseinander fliegt". Andernfalls müsse Deutschland die Folgen mittragen – Flüchtlingsströme zum Beispiel.

"Freiheit geht nicht ohne Grenzen und Regeln", mahnt Schäuble. "Überfluss ist nicht mit der menschlichen Existenz vereinbar. Marktwirtschaft funktioniert nicht ohne soziale Verantwortung, und wenn wir nicht mehr Balance halten, gerät alles aus den Fugen." Schäuble appellierte daher an alle, sich nicht nur in einer Blase mit Gleichgesinnten zu bewegen, der Anonymität in so genannten sozialen Medien entgegen zu treten und sich dafür einzusetzen, dass Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auch anderswo gelten. Wobei Kritik nicht der Schlüssel sei: "Wir sollten den Polen und Ungarn nicht ständig erklären, was sie tun müssen, um bessere Demokraten zu werden, sondern ihnen sagen: ›Ihr habt sogar eine friedliche Revolution hingekriegt!‹"

"Die meisten wollen so leben wie wir"

Schließlich wollten "weltweit die Allermeisten so leben wie wir", sagt Schäuble mit Blick auf aktuelle politische Krisenherde wie Hong Kong. "Dort wollen die jungen Leute so eine freiheitlich-demokratische Rechtsordnung wie wir. Die Debatte, ob wir eine Chance gegen China haben, wird dort hingegen gar nicht geführt – nur hier."

Der Bitte der Sigmaringer Landrätin Stefanie Bürkle an ihn und Thomas Bareiß, den CDU-Bundestagsabgeordneten im Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen und parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, sich für ein Ende der Null-Zins-Politik einzusetzen, erteilte der frühere Bundesfinanzminister eine Absage: Zwar setze es "völlige Fehlanreize", wenn Geld keinen Preis mehr habe, "aber Notenbanken sind unabhängig. Wenn Politiker das Geld selbst drucken dürfen, ist der Finanzminister der ärmste Hund in der Regierung, was er wahrscheinlich sowie ist. Zumindest habe ich das acht Jahre lang so empfunden."

Ob die 2020er-Jahre die "Goldenen Zwanziger" werden, wie Vorstandssprecher Robert Kling von der Volksbank Albstadt sich das wünscht? Auf jeden Fall würden es Jahre, "auf die wir uns freuen können. Denn wenn wir uns nicht darauf freuen, was machen wir denn dann?"