Grüner wird’s nicht: Mara von der Fecht und Franziska Gruler beim ersten virtuellen Büchersofa mit Gastgeberin Ursula Baumgärtner und Stadtbücherei-Chefin Tanja Wachter (von links).Foto: Baumgärtner Foto: Schwarzwälder Bote

"Büchersofa": Erste digitale Version im Internet / Landesmutter darf auch noch ran

Das "Büchersofa" von Ursula Baumgärtner ist eine Institution in Albstadt – aber auch Institutionen sind gegen Corona nicht gefeit. Also haben die Literaturkritikerin und die Stadtbücherei einen anderen Weg gefunden.

Albstadt-Tailfingen (key/mak). Grüner wird’s nicht: Auf der Terrasse von Ursula Baumgärtner am Lammerberg ist das erste Online-Büchersofa gefilmt worden. Der auf 17. März terminierte Abend mit Mara von der Fecht und Franziska Gruler von der Buchhandlung Osiander war ausgefallen, weil tags zuvor der Lockdown begonnen hatte; der Ersatztermin im Mai fiel ebenfalls der Pandemie zum Opfer, und nun ist auch das Büchersofa mit Gerlinde Kretschmann, der "First Lady" des Landes, gecancelt worden, das am 21. Juli stattfinden sollte. Der Grund: Coronabedingt hätten lediglich 40 Zuhörer kommen dürfen; es waren aber schon 100 Karten verkauft. Willkürlich eine Auswahl treffen kam nicht in Frage; also wurde abgesagt.

Der Musiker ist auch als Kameramann richtig gut

Damit Albstadts Lesebegeisterte und Bücherfreunde trotzdem noch rechtzeitig vor dem Sommerurlaub zu Büchertipps aus berufenem Mund kommen, hat Ursula Baumgärtner jetzt die digitale Karte gezogen und das "Büchersofa" mit Mara von der Fecht und Franziska Gruler kurzerhand in ihren Garten verlegt – natürlich unter Wahrung des gebotenen Sicherheitsabstands. Als Kameramann betätigte sich Ehemann Christian Baumgärtner. Das Ergebnis ist ein Film, der etwas mehr als eine Stunde dauert und im Internet abrufbar ist.

Warum Clint Eastwood nicht auf einem Kamel reitet

Die Gastgeberin empfiehlt darin Anna-Katharina Hahns "Aus und davon", einen Roman mit viel Stuttgart-Flair, der zeige, dass die Frauen zur Stelle seien, wenn es darauf ankomme. Franziska Gruler war ganz "traurig, als ich die Figuren verlassen musste", hat aber im "Land der Söhne" von Milena Moser eine ähnlich originelle Familiengeschichte gefunden.

Es spielt in den USA, die Obrecht wiederum als "Herzland" beschreibt: In ihrem gleichnamigen Roman räumt sie mit dem amerikanischen Gründungsmythos auf und lässt ihre Leser wissen, dass die Besiedlung des riesigen Landes in Wahrheit viel komplexer war und warum Clint Eastwood auf einem Pferd statt auf einem Kamel durch seine Western-Filme geritten ist.

Eine "intensive und empathische Auseinandersetzung" mit der Geschichte Südtirols in der Zeit des Faschismus, in dem die Sprache mehr als sonst zum Mittel der Identität wird, hat Mara von der Fest mit Marco Balzanos "Ich bleibe hier" mitgebracht und findet darin Parallelen zu einem ihrer "absoluten Lieblingsbücher", nämlich "Am Rand" von Hans Platzgumer.

Mit "Das Holländerhaus" von Ann Patchett hat Ursula Baumgärtner eine Pulitzer-Preis-nominierte Erzählung mit einer ganz unerwarteten Wendung und – wie von der Fecht sagt – wunderbarer Figurenzeichnung ausgewählt, während Franziska Gruler mit den sechs Kurzromanen in "Broken" von Don Winslow etwas für die Männer mitgebracht hat: "Sehr harte Kost, sehr gut geschrieben, ein echter Höllenritt."

Eine echt verkorkste Beziehung zwischen Mutter und Tochter

Ganz anders: Lana Lux’ "Jägerin und Sammlerin", das "eine geballte Landung einer echt verkorksten Mutter-Tochter-Beziehung" und die Hilflosigkeit einer jungen Frau mit Ess-Störungen beschreibt. "Vielleicht solltest Du mal mit jemandem darüber reden" setzt Gruler dagegen: Lori Gottliebs Roman wirft einen humorvollen Blick auf Menschen, die bei einer Psychotherapeutin Hilfe suchen, und ihre Charaktere.

Dass bei der Beobachtung manchmal ein ganz anderes Bild von Menschen entstehen kann, wird auch in Anita Brookners "Hotel du Lac" deutlich, das Baumgärtner wärmsten empfiehlt. Die Protagonistin fährt im Taxi ihrem Bräutigam davon und taucht am Genfer See unter, während eine Familie auf Island die Hauptfigur von Gerwin van der Werfs "Der Anhalter" mitnimmt, der "die Spannung so weit treibt, dass man durch das Buch hetzt", verrät von der Fecht.

Achtsam morden – das will auch das Kind in mir

Einig sind sich die drei Fachfrauen über die Qualitäten des Schriftstellers Kent Haruf, dessen "Kostbare Tage" sein letztes, bisher ins Deutsche übersetzte Buch sind. Als besonders aktuell in der Corona-Krise empfiehlt Baumgärtner darüber hinaus Hartmut Rosas "Unverfügbarkeit", während Mara von der Fecht noch ihre Hörbuchlieblinge mitgebracht hat: Karsten Dusses "Achtsam morden" und "Das Kind in mir will achtsam morden", die unbedingt in der richtigen Reihenfolge anzuhören seien, sowie Gil Ribeiros Portugal-Krimis "Lost in Fuseta".  Über den Link https://www.albstadt.de/Büchersofa werden die Baumgärtners auch das Büchersofa mit Gerlinde Kretschmann digital und in kleiner Runde nachholen.