Klaus Krämer, der neue Bischof, hält die Kirchengemeinden zum Sparen an. Derzeit subventioniert die Diözese Rottenburg-Stuttgart deren Haushalte jährlich mit 60 Millionen Euro. Foto: IMAGO/Ulmer/Teamfoto/IMAGO/mulmer

Auf die neuen Gremien kommen schwere Entscheidungen zu, denn die Zahl der Kirchenmitglieder nimmt ab und damit die Kirchensteuer-Einnahmen. Handeln tut Not.

Was steht in der nächsten Wahlperiode in den katholischen Seelsorgeeinheiten Ebingen-Lautlingen-Margrethausen und Talgang auf der Agenda? Die Pfarrer Uwe Stier (S) und Hans-Joachim Fogl (F) sprechen im Interview mit unserer Redaktion über die Herausforderungen.

 

Die Zahl der KGR-Sitze deckt sich in manchen Gemeinden mit der Zahl der Kandidaten. Warum sollten die Katholiken trotzdem wählen gehen?

S: Um denen, die mitarbeiten wollen, den Rücken zu stärken. Es wäre schade um jeden, der nicht gewählt würde.

F: Wenn Menschen, die sich gemeldet haben, rausfielen, wäre das nicht gut. Alle, die sich einbringen wollen, sollen das dürfen.

Wie groß ist der Mitgliederverlust?

S: Um das Jahr 2000 hatte die Diözese Rottenburg-Stuttgart zwei Millionen Katholiken. Mittlerweile sind wir bei 1,58 Millionen. Das heißt: weniger Kirchensteuer-Einnahmen. Die Haushalte werden bereits aus den Reserven der Diözese ausglichen.

Die Rede ist von 60 Millionen Euro im Jahr. Wie lange kann das noch gut gehen?

S: Unsere Diözese hat solide gewirtschaftet und ist noch in der Lage, zu gestalten. Aber viele wollen den Stand von vor 30 Jahren aufrecht erhalten – mit weniger Personal und Ressourcen, und das wird auf absehbare Zeit nicht mehr funktionieren. Die nächsten zehn Jahre wird das pastorale Personal um 30 Prozent sinken.

Was ist mit Priestern aus Afrika und Indien?

S: Die Diözese holt derzeit keine Priester aus dem Ausland.

F: Auch aus Mentalitätsgründen. Sie kommen aus einer anderen Kultur mit anderen Strukturen, müssen sich hier erst einfinden. Kürzlich war ich in Singapur, dort waren die 1200 Plätze in der Kathedrale in drei Gottesdiensten besetzt und draußen standen sie. Die Priester dort verstehen unsere Diskussion hier, etwa nach Frauenordination, gar nicht. Es geht nicht nur um Strukturen, sondern um neue Formen von Spiritualität und Seelsorge. Vielleicht brauchen wir hier bei uns Priesterinnen, aber im größten Teil der Weltkirche brauchen sie sie nicht.

Werden wir das Priestertum der Frau erleben?

F: Ich glaube es nicht.

S: Ich auch nicht. Und wo sind denn die vielen Theologinnen?

Pfarrer Uwe Stier, 57, war zunächst als Rechtsanwalt tätig und entschloss sich später, Priester zu werden. Seit 2018 leitet er die katholische Seelsorgeeinheit Ebingen-Lautlingen-Margrethausen mit den Filialkirchen in Laufen und Bitz. Foto: Eyrich

Wie sieht die Kirche der Zukunft aus?

F: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele am Alten hängen, das wollen, was immer war. Pfarrer und KGR sind diejenigen, auf die das einstürzt – und nachher sind sie die Schuldigen, denn es wird immer welche geben, die nicht einverstanden sind.

S: Wir erreichen jene, die zu uns kommen, also einen kleinen Prozentsatz. Die sehen auch die Notwendigkeit, etwas zu verändern, und trennen sich lieber von Gebäuden, bevor der Organist und die Sekretärin nicht mehr bezahlt werden können. Aber um die Strukturen scheren sich die allermeisten nicht. Im Talgang sind manche aus allen Wolken gefallen beim Verkauf des Gemeindehauses Truchtelfingen, obwohl der lange geplant war – aber dann wird protestiert. Was wir freilich bei allen strukturellen Fragen nicht vernachlässigen dürfen, sind Botschaft und Seelsorge.

F: Im Zukunftsausschuss haben wir im Talgang Ideen gesammelt: Welche Kirche wollen wir sein? Dabei sind wesentliche Punkte genannt worden.

Wie soll Kirche sein?

S: Einladend und offen. Aber wirkliche Offenheit bedeutet ja, auch jene ernst zu nehmen, die nicht so ticken wie wir.

F: Oft kommt der Ruf „Herr Pfarrer, man sollte was für die Jugendlichen tun“. Aber wenn kein Rückhalt von den Familien kommt und sich die Kinder dagegen wehren, reicht das nicht. Jedes einzelne Gemeindemitglied ist gefragt.

Pfarrer Hans-Joachim Fogl, 63, war drei Jahre lang Pfarrer in Rom und 15 Jahre lang Pfarrer in Singapur. Seit 2020 leitet er die katholische Seelsorgeeinheit Talgang mit der Kirchengemeinde St. Elisabeth in Tailfingen, zu der auch die Kirche St. Franziskus gehört, und der Kirchengemeinde St. Maria in Onstmettingen. Foto: Eyrich

Ist Kirche noch im Bewusstsein der Menschen?

F: Mir sagte ein alter Mann: „Jesus hat keine Kirche gebraucht. Er ging auf den Berg zum Predigen.“ Eigentlich brauchen wir auch nicht so viele Gottesdienste. Die Leute fahren die ganze Woche mit dem Auto überall hin, wollen Gottesdienst aber vor der Haustür und zur für sie passenden Zeit. In Tailfingen haben wir eine Gemeinde, zwei Kirchen und am Sonntag zwei Gottesdienste. Eine Gemeinde ist es aber nur, wenn sie zum gemeinsamen Gottesdienst zusammenkommt.

S: Wenn mich zwei Kilometer Abstand innerhalb einer Stadt daran hindern, mit anderen Gottesdienst zu feiern, ist das symptomatisch dafür, wie offen wir wirklich sind.

Manches läuft aber doch gemeinsam...

F: In der Seelsorgeeinheit feiern wir Hochfeste, machen Kommunion- und Firmvorbereitung sowie Kindernachmittage gemeinsam – und viele machen mit. Andere sagen: „Das ist nicht meine Kirche, da gehe ich nicht hin.“ Die Frage ist: Wie bereit sind wir für die Zukunft? Und was brauchen wir, um Gemeinde Jesu Christi zu sein? Dazu brauche ich keine zwei, drei Kirchen, dazu brauche ich einen Berg.

Das Klischee sagt, die Senioren seien weniger mobil. Stimmt das?

F: Sie sind am ehesten flexibel und organisieren sich. Wir haben ein Gemeindebusle. Jetzt fehlt noch die Bereitschaft, sich darauf einzulassen.

S: Die Gottesdienste wären feierlicher. 20 Leute in einer großen Kirche – da entsteht keine Atmosphäre. Das ist, als ob 50 Fans in einem Fußballstadion säßen.

Die Gemeinden im Talgang haben ja aber 2020 fusioniert.

F: Das war beschlossen, ehe ich kam, aber schon bei der Zusammenlegung der Pfarrbüros gab es Aufruhr.

S: Wenn ich im Andachtsraum eines Gemeindehauses 100 Mal mein Herz ausgeschüttet habe, dann kann das weh tun, wenn es verkauft wird. Aber es sind andere Zeiten, denen man sich in vielen anderen Bereichen ja schon angepasst hat, und das muss jetzt auch auf dem Gebiet der Kirche passieren.

Sprechen Sie von Immobilien?

S: Der jetzt angestoßene Prozess ist eine Chance. Unsere Gebäude sind alle aus den 1960er- und 70er-Jahren. Fühlen sich die jungen Leute da überhaupt noch wohl? Vor kurzem war ich in einer Multimediahalle mit Videowänden und toller Sound-Anlage. Was ließe sich da an Gottesdienst gestalten, wenn man bei der Bergpredigt plötzlich mittendrin ist?

Von der Reduzierung, die Bischof Gebhard Fürst angestoßen hat, sind Kirchenbauten ja noch ausgenommen. Welche Gebäude stehen also zur Disposition?

S: Beheizbare, nicht sakrale wie Gemeinde- und Pfarrhäuser, auch Kindergärten, sollen um 30 Prozent reduziert werden. Zudem will die Kirche klimaneutral werden. Das Ganze muss also ertüchtigungsfähig und finanzierbar sein.

F: Auf dem Kirchendach von St. Elisabeth könnte man super eine Photovoltaik-Anlage installieren. Aber es ist nicht stabil genug. Ins Pfarrhaus von St. Franzikus regnet es rein, dafür wurden keine Rücklagen gebildet. Wer soll das bezahlen? Das Pfarrhaus steht seit Jahren leer, die Kirche wird wenig genutzt. Indem wir das Gemeindehaus St. Antonius verkauft haben, sind wir in diesem ganzen Prozess schon einen Riesen-Schritt voraus. Was die zweite Kirche in Tailfingen angeht, soll Rottenburg das regeln. Nochmal so einen Stress wie beim Verkauf von St. Antonius möchte ich den Kirchengemeinderäten und auch mir selbst nicht mehr zumuten. Ich bin froh, dass wir das einigermaßen durchgestanden haben.

Herr Stier, Ihre Gemeinden bauen ja jetzt ein Gemeindehaus. Ein Widerspruch?

S: Im Gegenteil. Dort ist dann ein gemeinsames Pfarrbüro, die Konzentration der Verwaltung ist geboten. Die Büros von St. Hedwig, St. Josef, Heilig-Kreuz, St. Margareta und St. Johannes werden zusammengelegt, und so ist viel längere Erreichbarkeit gewährleistet. Das meiste wird ohnehin per E-Mail und Telefon erledigt. Wir nehmen also den geplanten Prozess vorweg. Die Nachbardiözese Freiburg hat dem schon Rechnung getragen und viel größere Seelsorgeeinheiten gebildet. Damit spart sie sich bürokratischen Aufwand.

Wann legen Sie die Ebinger Gemeinden St. Hedwig, Heilig-Kreuz und St. Josef zusammen?

S: Ich möchte noch fünf Jahre leben (lacht). Dafür ist die Zeit noch nicht reif. Man macht ja schon ganz viel zusammen, aber um das vor den Mitgliedern zu rechtfertigen, bräuchte es derzeit die Weisung von oben: Fusioniert!

F: Jetzt ist die Zeit, die Gemeinden so zu rüsten, dass sie sich selbstständig tragen können, dass es nicht am Pfarrer hängt. Damit jede Gemeinde das macht, was sie kann – und was sie nicht kann, macht vielleicht die andere.

Was wird aus den Gemeinden an Neuem gefordert?

S: Moderne Gebäude mit modernen technischen Voraussetzungen, die beheizbar sind, ohne dass man die Umwelt mit aufheizt. Und wo hält heute noch jemand einen Zehn-Minuten-Vortrag ohne Visualisierung, außer bei einer Predigt?

F: Einen Monitor haben wir ja ständig: unser Smartphone. Für mich ist der Gottesdienst eine Zeit, in der man mal alles loslassen kann, und vor allem: Wo Gemeinde sich trifft und bildet, zusammensteht und nach dem Gottesdienst auch Zeit hat, einen Kaffee zu trinken, ins Gespräch zu kommen. Das kann ich nicht, wenn ich als Pfarrer überall sein muss. Ich glaube, die Kirche der Zukunft ist, dass wir in einer Gemeinde einen Gottesdienst feiern.

S: Und uns vor allem wieder auf die Botschaft konzentrieren. Das sagt unser neuer Bischof ja auch schön: Wir müssen natürlich Strukturen schaffen, aber solche, die es uns ermöglichen, die Botschaft zu verbreiten.

Bischof Krämer schreibt, die Relevanz des Glaubens sinke, vor allem für die 15- bis 25-Jährigen. Stimmt das tatsächlich?

S: Langsam findet ein Umdenken statt. Bei den KGR-Wahlen sind nicht wenige junge Leute bereit, zu kandidieren und sich für die Kirche zu engagieren.

F: Durch Kommunion- und Firmvorbereitung kommen wieder Familien in die Kirche, wenn man es ordentlich macht. Ich habe jetzt sechs, sieben Familien, die sich seither engagieren, und denen ist es egal, ob sie es in St. Elisabeth oder St. Maria tun, und einige junge Erwachsene, die sich jetzt auf die Firmung vorbereitet haben. Die jungen Menschen sind sehr spirituell.

S: Das muss wieder in den Vordergrund rücken, nicht nur die Strukturen.

Gibt es hier Gottesdienste auf dem Berg?

S: An Pfingstmontag in Lautlingen an der Kolpinghütte.

F: In Onstmettingen gibt es unterhalb des Nägelehauses am Kreuz beim Parkplatz Stocken die Möglichkeit, Gottesdienste zu feiern. Das werden wir künftig nutzen.

S: Ich habe übrigens noch nie Nein gesagt, wenn eine Anfrage kam...

Sie, Herr Fogl, haben ja in Singapur erlebt, dass die Kirchengemeinde auch die Funktion des sozialen Treffpunkts für die Deutschen hatte. Wieviele kommen hier wegen des Treffens?

S: Zum Fest und zum Konzert kommen teilweise mehr Menschen als zum Gottesdienst. Das ist einer der Gründe für das neue Gemeindehaus, dass man nach dem Gottesdienst noch zwei Meter über den Hof gehen und gemeinsam Kaffee trinken kann.

F: In Onstmettingen wächst etwas mit dem Rosenkranz-Kaffee. Gäbe es hinterher keinen Rosenkranz, kämen die Leute auch. Kommunioneltern sprechen sich ab: „Am Sonntag gehen wir zusammen in den Gottesdienst.“ Es gibt welche, die wegen des Gottesdienstes kommen, und andere, die wegen der Gemeinschaft kommen. Ins Freitagskino in Onstmettingen kommen Leute, die nicht zum Gottesdienst gehen. Es sind oft jene, die nie richtig angesprochen worden sind. Die Gruppen zusammenzubringen, ist eine Zukunftsaufgabe – auch eine der neuen KGRs.

Werden Sie beide noch erleben im Amt, dass eine der Kirchen hier geschlossen werden muss?

S: Ich befürchte es. Wir brauchen uns ja nur umschauen – die evangelische Kirche ist uns in diesem Prozess deutlich voraus. Sie haben schon zwei Kirchen in Ebingen verkauft. Wer sind dann wir, dass wir mit weniger Gemeindemitgliedern alle Kirchenbauten verhalten?

Es heißt ja schon lange, dass Seelsorgeeinheiten zusammengelegt werden sollen...

S: Es ist höchst wahrscheinlich, dass unser Bischof die Seelsorgeeinheiten neu strukturiert und den Stellenplan anpasst.