Für ein paar Stunden vergessen Rabee und Manar ihren Alltag in der Lea. Foto: Schwarzwälder-Bote

Selfie für Familien zu Hause muss sein. Mutter in Syrien hat Angst um Tochter. Erster Glühwein ihres Lebens.

Albstadt-Lautlingen - Sind die Deutschen verrückt geworden? Warum verkleiden sie sich als Bienen, Prinzessinnen, Cowboys und Indianer? Was denken syrische Flüchtlinge, wenn sie die Fasnetszeit erleben?

An der Bushaltestelle vor der Landeserstaufnahmestelle in Meßstetten wollen wir uns treffen, um den Fasnets-Umzug in Lautlingen zu sehen: Bashar, Manar und ich. Pfarrer Markus Gneiting hat telefonisch den Kontakt vermittelt, und Bashar hat mir versichert, er und Manar würden da sein. So stehe ich in der regnerischen Kälte des Faschingsdienstags und warte, frage auf Englisch, ob es unter den Wartenden einen Bashar gibt, wechsle hier und da ein paar Worte über das Wetter.

Ein junger Mann kommt auf mich zu, nachdem er mit düsterer Mine den Busfahrplan studiert hat. Ob heute eine Ferientag sei, fragt er, und ob ich wohl auch auf den Bus warte? Nein, sage ich, auf Bashar und Manar. Er blinzelt irritiert. "Bashar had his transit this morning" – er wurde in eine andere Unterkunft verlegt. Das kommt unerwartet.

Ich rufe ihn an. Er entschuldigt sich wortreich, Er ist in Biberach, dabei wäre er so gerne zur Fasnet mitgegangen, aber leider habe er darüber nicht zu entscheiden gehabt. Nicht so schlimm, sage ich, bedauernd, und mache mich auf den Heimweg.

Dann klingelt das Mobiltelefon erneut. Es ist Manar, eine Frau, wie ich überrascht feststelle. Sie wurde noch im Social Point gebraucht, aber falls ich noch da sei – Bashar habe sie angerufen und Bescheid gesagt, sie würde gemeinsam mit ihrem Freund gerne mitgehen und den Karneval sehen.

So kommt es also, dass wir doch noch in Lautlingen landen: Manar Bachour, eine 29-jährige Bankerin aus Syrien, ihr Freund Rabee Alakhras, ein angehender Maschinenbauingenieur von 25 Jahren, und ich, seit 33 Jahren ein Albgewächs. Den Umzug haben wir verpasst, aber in einer Besenwirtschaft stehen noch ein paar Narren, zu denen wir uns gesellen. "Wo kommet ihr jetzt her!" fragt freundlich ein hochgewachsener Mann mit Schwarzwälder Bollenhut und Zöpfen. Manar lächelt herzlich unter ihrer dicken Kapuze hervor, während Rabee den Taschenschirm zusammenklappt.

Ein "Überflieger" mit Pilotenbrille bietet uns Glühwein an. "Yes, we drink!" – ja, wir trinken – lacht die Syrerin, und wir diskutieren darüber, ob ich meine beiden Gäste einladen darf. Sie sind dagegen, aber mein Geldschein wird zuerst angenommen. Nach dem ersten Schluck – es ist der erste Glühwein ihres Lebens – ein anerkennendes Nicken, daran kann man sich schon gewöhnen.

Ein Selfie für die Familien zu Hause muss sein

Schon sind die Syrer im Gespräch mit den Lautlingern, es geht um die Möglichkeit Arbeit in Deutschland zu finden, und um die Ingredienzen des Glühweins. Für ein Foto leihen sich der stille Mann mit den großen, dunkeln Augen und seine schöne Freundin Hüte von den Einheimischen aus. "Wir schicken ein Selfie an unsere Familien, sie werden sich für uns freuen!"

Eigentlich, überlegen die Gastgeber, muss jemand, der von so weit her kommt, auf jeden Fall einen Schwarzwälder Kirsch probieren. Wenn er denn kein Moslem ist und das nicht darf. Fragende Blicke in meine Richtung. "Wir sind Christen und können trinken", lacht Manar, eine Zigarette rauchend. Ohne weitere Debatte wird probiert, gehustet, gelacht, wir ziehen weiter in die Festhalle. Schon beim Betreten der bunt geschmückten Halle klatscht Manar in die Hände. "Oh, ist das alles toll! Alle sind fröhlich und so schön hergerichtet!"

Sie sinniert darüber, wieviel Zeit wohl in die Planung der Kostüme geflossen sein muss, und erzählt mir, dass sie in Syrien eine kirchliche Kindergruppe geleitet hat. Fasching kennen sie so nicht, aber ach – was für ein Spaß!

Essen möchte das Paar nichts, kauft sich aber ein Wasser, bevor ich sie dazu einladen kann. Rabee schüttelt für Manar die Kohlensäure heraus. Wir beobachten die Darbietung der tanzenden Piratenkinder, den Bockslauf in der Hallenmitte und das ganze bunte Durcheinander. Rabee telefoniert zwischendurch mit seinem Cousin. Der sei mit seiner Familie schon einige Monate hier, erklärt er mir später, sie hätten ein Haus gefunden und die Kinder gingen bereits zur Schule – nun soll die Familie aber zurück nach Polen, wo sie zuerst registriert wurde. Ratlosigkeit.

Manar fragt ob es in Ordnung sei, die süßen Kinder zu drücken und ihnen ein Küsschen zu geben. Ich empfehle ihr, vorher die Eltern zu fragen. Beglückt herzt sie einige der kleinen Prinzessinnen, Würmer und Bienchen unter den skeptischen Blicken der deutschen Mütter und Väter. "Ich liebe Kinder so sehr!"

Die Mutter in Syrien hat Angst um die Tochter

Bevor ich die beiden zurück in die Lea bringe, machen wir noch einen Abstecher in zwei günstige Läden. Ob das wirklich in Ordnung sei, fragen mich die Syrer immer wieder, und ich bejahe. Alltagsgegenstände wie Spülschwämme, ein Verlängerungskabel und eine Hose für jeden brauchen sie. "Ich habe nur diese eine, ich bin mit Nichts hier angekommen", sagt Manar, höchst zufrieden mit der neuen Jeans für knappe fünf Euro. Rabee rollt die Augen, weil sie drei verschiedene anprobieren möchte, während er schnell fündig geworden ist.

Auf dem Rückweg ins "Camp" ruft Manars Mutter aus Syrien an, sie weint und hat Angst um ihre Tochter, weil sie aus den Medien erfahren hat, dass es in Deutschland ein Zugunglück gab und vor Anschlägen gewarnt wird – ihre Tochter soll am besten gar nicht nach draußen gehen. "Das ist wirklich seltsam, oder? Sie sind in Syrien in viel größerer Gefahr!" schüttelt die junge Frau den Kopf.

Sie ist allein geflohen, ihre Eltern seien zu alt, berichtet sie. Ihren Freund hat sie erst in Deutschland kennen gelernt. "Wir sind deinetwegen beschämt", erklärt mir Rabee, kurz bevor wir wieder bei der Lea ankommen: "Wir haben so einen schönen Tag mit dir gehabt, wie können wir dafür Danke sagen? Wann sehen wir uns wieder?" Viel Zeit bleibt nicht für ein neues Treffen, zumindest nicht mit Rabee: Schon Ende der Woche könnte er seinen Transfer bekommen. Wohin, das weiß er auch nicht.