Eine Albstädter Niederflurbus mit Einstiegsrampe. Diese wird an einigen Busbuchten auch künftig benötigt, weil das "Kasseler Bord" dort nicht höher als 18 Zentimeter ausfallen darf – der Bus könnte andernfalls an der Kante hängen bleiben und beschädigt werden. Foto: Stadt Albstadt

Millionen-Investitionen nötig. Bus soll auf gleicher Höhe mit Terrain andocken.

Albstadt - Barrierefreiheit soll in den kommenden Jahren Standard im öffentlichen Personennahverkehr werden – so steht es in der einschlägigen Gesetzesnovelle. Für die Stadt Albstadt bedeutet das Investitionen: Sie muss ihre Bushaltestellen umbauen – 277 an der Zahl.

Wer in früheren Jahren London besucht hat, erinnert sich vielleicht noch: Die U-Bahn fährt ein, hält, und aus dem Lautsprecher dringt eine Männerstimme, die monoton den Satz wiederholt: "Mind the gap! – mind the gap! – Achten Sie auf die Lücke!". Ein wertvoller Tipp; die Lücke zwischen Bahnsteig und Zug kann breit sein und ehe man sich’s versieht zur Stolperfalle werden.

Nahverkehrsplan bis Ende 2021

An Albstadts Bushaltestellen sollen in den kommenden Jahren die sogenannten "Kasseler Borde" eingeführt werden, an denen der Bus auf gleicher Höhe mit dem Terrain andocken kann – aber so exakt, dass niemand "Mind the gap!" rufen muss. Das bedeutet Aufwand, planerischen und finanziellen.

Bis Ende 2021 muss der Kreis einen Nahverkehrsplan erarbeiten, nach dessen Vorgaben die Kommunen danach Schritt für Schritt Barrierefreiheit an ihren Bushaltestellen und -bahnhöfen einführen. Für die Stadt Albstadt bedeutet das: Sie hat anderthalb Jahre Zeit, alle 277 Haltestellen zu kategorisieren und festzulegen, ob, wie und wann sie umgebaut werden sollen.

Bei Kategorie fünf bleibt alles beim Alten

Zur Kategorie eins zählen die Haltestellen an den Magistralen, den Hauptverkehrsadern; sie haben absolute Priorität: Ebinger ZOB, Bürgerturm, Mazmann, Tailfingens Ortsmitte, die Alte Schule in Pfeffingen – jeder Ortsteil muss mindestens eine solche Haltestelle besitzen. Unter Kategorie zwei fallen die wichtigen Haltestellen in den größeren Seitenstraßen, unter Kategorie drei Nebenhaltestellen an den Magistralen und unter Kategorie vier strategisch nicht ganz so bedeutsame Haltestellen an den Hängen.

Wie sehen Bahnhof und ZOB künftig aus?

Ein Spezialfall ist Kategorie fünf: Sie umfasst rund 60 Haltestellen, an denen sich gar nichts ändert – entweder weil ein Gefälle von mehr als sechs Prozent es nicht zu lässt, oder weil die Haltestelle in einer Kurve liegt und sich nicht verlegen lässt. Auch wenn Garagen ander Straße liegen, muss der Umbau unterblieben. Der Grund: "Kasseler Borde" sind hoch, sehr hoch. Der Kreis gibt 24 Zentimeter vor; die Stadt Albstadt begnügt sich mit den 21 Zentimetern, auf die sich die Einstiege der in Albstadt verkehrenden Niederflurbusse absenken lassen – aber für einen Personenwagen auf dem Weg zur Garage ist das natürlich auch noch viel zu viel.

Busbuchten der Zukunft sind 90 Meter lang

21 Zentimeter bedeuten ferner, dass die Busbucht, an der man den haltenden Bus problemlos überholen kann, nicht länger Standard ist. Die reguläre Haltestelle der Zukunft ist das Buskap, der 18 Meter lange markierte Stopp mitten auf der Fahrbahn – einen Vorgeschmack bietet die Bushaltestelle am Südende Onstmettingens. Überholen kann man einen Bus, der am Buskap hält, nicht mehr; aus diesem Grund wollen die städtischen Planer an den Hauptverkehrsstraßen, also der Lautlinger Straße in Ebingen und der Talgangmagistrale, möglichst viele Busbuchten schaffen, obwohl diese Straßen die Bedingung für die Luxusausführung, eine Frequenz von mindestens 750 Wagen pro Stunde und Richtung, eigentlich nicht erfüllen.

Diese Haltestellen werden viel mehr Platz benötigen als herkömmliche Buchten – entweder 90 Meter in die Länge oder, im Falle des Modells "Sägezahn", bei dem das Kasseler Bord als eckige Bucht in den Bussteig "hineingefräst" wird, mehr Tiefe. Andernfalls müsste jemand rufen: "Mind the gap!", weil der Bus nicht nah genug ans Bord herankommt.

Und was kostet das alles? Keine Kleinigkeit: ein Buscap 40.000 Euro, eine Sägezahnbucht mehr. Bei 277 Haltestellen wird das gesamte Umbauprogramm nicht unter 15 Millionen Euro zu haben sein. Was zugleich bedeutet: Der Umbau ist eine Sache von Jahren, vielleicht Jahrzehnten – die herkömmlichen Haltestellen werden den Albstädtern noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Derzeit prüfen die Ortschaftsräte das Konzept; beschließen muss der Gemeinderat.