Ursula Baumgärtner hatte sich schon lange auf Takis Würger, ihren Gast bei "Literatur im Schloss", gefreut und diskutierte mit ihm lebhaft über die kontroversen Reaktionen darauf. Fotos: Eyrich Foto: Schwarzwälder Bote

Literatur im Schloss: Wie Takis Würger deutsche Geschichte in einen faszinierenden Roman packt

Manche Kritiker hat er nicht auf seiner Seite – dafür aber die Buchhändler und vor allem die Leser: Mit "Stella" ist Takis Würger ein Roman gelungen, der zu Diskussionen Anlass gibt – auch bei "Literatur im Schloss".

Albstadt-Lautlingen. "Es ist faszinierend, wie nah Schönheit und Terror beieinander liegen." Dem Journalisten Takis Würger, der mit seinem Erstling "Der Club" eigentlich seine Schriftstellerkarriere beenden wollte, ist das aufgefallen im Gespräch mit einem Freund über das Musical "Cabaret" – es spielt im Berlin der Nazizeit. Für seinen Freund war es das Stichwort, ihm von Stella Goldschlag zu erzählen, jener Jüdin, die von der Gestapo vor die Wahl gestellt worden war: ihre Eltern in Auschwitz zu verlieren oder andere Juden zu verraten. Dass sie sich für Letzteres entschieden hatte und Würger ihre Geschichte in Romanform erzählt, hat ihm – landauf, landab – kritische Rezessionen eingebracht bis hin zum Urteil, "Stella" sei "der Tiefpunkt der deutschen Nachkriegsliteratur".

Ursula Baumgärtner, Organisatorin der Matinee "Literatur im Schloss" , sieht das ganz anders und steht mit ihrer Meinung alles andere als alleine da. Deshalb hatte sie sich auch besonders auf den Besuch des Spiegel-Redakteurs gefreut, der dem Publikum im voll besetzten Konzertsaal des Stauffenberg-Schlosses den jungen Schweizer Friedrich, Erzähler des Besuches, vorstellte. "Ich habe die Perspektive eines Mannes gewählt, denn Zeitzeugen berichteten, wie schön Stella war, und ich glaube, dass viele Männer ihr verfallen waren."

Friedrich, der 1942 nach Berlin kommt, hat zwei Besonderheiten: Seit dem Schlag eines Kutschers auf seinen Kopf kann er keine Farben mehr sehen – aus der Traum seiner Mutter, ihn zu einem großen Maler ausbilden zu lassen. So wächst er auf in einer "von Liebe hermetisch abgeriegelten Welt" , wie der Autor sagt. Und macht sich nicht nur Freunde, wenn er stets die Wahrheit sagt – auch dort, wo andere Notlügen verwenden. Wie anrührend beschreibt Würger Szenen wie jene, als die dicke Köchin, die Friedrich so gerne mag, ihn fragt, ob sie dick sei. Noch mehr rührt an, wie sie auf sein "Ja" reagiert.

Und dann sind da die wirklich harten Passagen: Auszüge aus Gerichtsakten im Prozess gegen Stella Goldschlag, "in kühlem Polizeideutsch geschrieben". Sie und überhaupt die Hintergründe dieses zerrissenen Lebens hat Takis Würger lange und ausführlich recherchiert. Das Leben im Berlin der Nazizeit, das bis weit in die Kriegsjahre hinein ein ziemlich alltägliches gewesen sei, sei sehr gut dokumentiert, so Würger. Und so liefert er Chronikeinträge, die dem Leser helfen, das Geschehen einzuordnen, gleich mit.

Seine dritte, die Haupt-Erzählebene, berichtet von Stella aus der Sicht des 19-jährigen Friedrich, der ihr verfallen ist. Insgesamt also keine leichte Kost.

Takis Würger, der das Schreiben auf der Henri-Nannen-Journalistenschule gelernt und später Ideengeschichte in Cambridge studiert hat, ist dennoch ein Buch gelungen, das sich leicht liest: Weil er erzählen, Atmosphäre schaffen, mal poetisch und mal pointiert schreiben kann. Und das Publikum lauscht gefesselt, denn auch als Vorleser ist der Mann eine Wucht.

Autor bereiste mehrfach Ausschwitz

"Wie böse die Kritik ist, ärgert mich sehr" , kommentiert Ursula Baumgärtner in der Diskussion nach der Lesung mit Blick auf den Feuilleton und fragt gerade heraus: "Trifft Sie so etwas?" Es treffe ihn sehr – daraus macht der Autor kein Hehl. Allerdings sei er auch froh, dass freie Meinungsäußerung – anders als zu Stella Goldschlags Zeit – erlaubt sei. "Ich bin nicht angetreten, um der Goldjunge des Feuilletons zu werden, sondern weil ich gelesen werden möchte" , sagt Würger, der zweieinhalb Jahre an seinem Buch gearbeitet, mehrfach Ausschwitz, Yad Vashem und andere Orte bereist hat, um so viel wie möglich über die Zeit zu erfahren. "Ich habe dieses Buch zu einem Teil meines Lebens gemacht, mich von drei Historikern beraten lassen und heute einen anderen Blick auf diese Zeit als jene, die jetzt meinen, die Regeln aufstellen zu dürfen, wie man über die Shoah schreiben darf."

Dann berichtet er von vielen Buchhändlern und vor allem Lesern, die zu ihm und seinem Buch stehen und ihm das auch schreiben. Seine E-Mail-Adresse hat er vorsätzlich im Buch abgedruckt – , und "seit Wochen keine Hass-Mails bekommen" . "Die Leute denken darüber nach, wie wir umgehen wollen mit unserer Vergangenheit" , das ist Takis Würger mit "Stella" gelungen. "Dass wir eine Debatte führen über diese Zeit, nun, da die letzten Zeitzeugen sterben, ist mir viel wichtiger als die Tatsache, dass irgendein Kritiker mich einen Vampir nennt."

Weitere Informationen: Würger, Takis: Stella. Carl Hanser Verlag 2019, 219 Seiten, gebunden, 22 Euro, ISBN 978-3-44625993-5