Daniel Mertens nutzt die hohe Dichte an Pokéstops für seine dritte Pokémon-Party – und jeder darf mitjagen.
Albstadt-Ebingen - Warum war am vergangenen Samstag so ungewohnt viel los in der Ebinger Innenstadt? Und was führen all die Menschen mit Smartphones in der Hand im Schilde, die auch heute wieder unterwegs sein werden? Der Tailfinger Daniel Mertens hat sie mobil gemacht.
Wer in jüngerer Zeit in der Ebinger Innenstadt unterwegs war, hat sich vielleicht gefragt, warum so viele Menschen mit ihrem Smartphone in der Hand durch die Straße ziehen und am Rathaus so lange verweilen. Die Antwort: Sie spielen "Pokémon Go" – dort, wo man besonders viele der possierlichen virtuellen Tierchen fangen kann.
In der ganz realen Welt erscheinen sie, die kleinen Monster, die Pokémons. Im Smartphone-Spiel "Pokémon Go", das im Juli herausgekommen ist, geht es darum, sie zu sammeln. Der Smartphone-Nutzer bekommt seinen aktuellen Standort auf einer Straßenkarte angezeigt und läuft dann einfach mit dem Handy in der Hand durch die Stadt. Irgendwann beginnt das Teil zu vibrieren, was dem "Pokémon-Trainer", also dem Spieler, signalisiert, dass ein Pokémon in der Nähe ist. Jetzt muss der Spieler reagieren. Begibt er sich an die Stelle, die auf seinem Handy aufleuchtet, kann er das Pokémon fangen. Ist er nah genug am Pokémon, kann er seine Kamera einschalten und sieht auf dem Bild – mitten in der realen Welt – ein kleines Monster sitzen. Das muss er mit einem Pokéball treffen, um es zu fangen. Pokébälle sind die "Waffe" des Spielers. Hat er ein Pokémon gefangen, wird das gespeichert.
Doch was hat das alles mit dem Albstädter Rathaus zu tun? Die Pokébälle werden mit jedem Fang aufgebraucht. Hat ein Spieler keine Pokébälle mehr, muss er zu einem Pokéstop.
In der City wimmelt es von Pokéstops
Hier kommt die Innenstadt ins Spiel: Von solchen Pokéstops gibt es einige in Ebingen-City, entsprechend ihrem Standort benannt: "Intermezzo" am Kurt-Georg-Kiesinger-Platz, "Strauß mit Brüsten" in der Oberen Vorstadt, die "Steine hinterm Rathaus" und das Rathaus selbst. An diesen Pokéstops kann der Spieler auch Lock-Module einsetzen, um mehr Pokémons anzulocken. Diese Lockmodule bekommt er entweder, wenn er durch erfolgreiche Jagd die nächste Stufe im Spiel erklommen hat – bei einem so genannten Level-Aufstieg – oder er kann sie für Echtgeld kaufen.
Mit gefangenen Pokémons können die Spieler in Arenen, die weltweit verteilt sind, gegeneinander kämpfen, müssen sich dazu aber in einem Umkreis von drei Metern um die Arena befinden. Verschiedene Attacken hat ein Spieler zur Auswahl, um dem Gegner zu schaden.
151 kleine Monster gilt es zu fangen
Belohnungen winken ebenfalls, etwa die "Pikachu-Bonbons" – immer dann, wenn man das berühmte gleichnamige Pokémon fängt. Wer genug davon gesammelt hat, kann sein Pikachu "upgraden", also aufwerten, so dass es stärker wird für den nächsten Kampf.
Das Ziel des Spiels hat es in sich: Nicht weniger als alle 151 Pokémons, die rund um die Welt "unterwegs" sind, gilt es zu sammeln, um der Beste zu sein. Ganz schön schwer: Manche Pokémons wie "Taubsi" laufen einem Spieler zwar täglich mehrere Male über den Weg, andere jedoch erweisen sich als die viel besagte Nadel im Heuhaufen: Arktos, Ditto, Lavados, Mewtu, Mew und Zapdos. Wer ein solches Pokémon gefangen hat, darf sich glücklich schätzen.
Zurückzuführen ist der Hype um die Pokémons auf die Sammelkarten, die erstmals im Februar 1996 veröffentlicht wurden. Im selben Jahr erschien auch "Pokémon Rot-Grün", das erste Pokémon Spiel – damals noch für den heute vorzeitlich anmutenden "Gameboy". An seinem gigantischen Erfolg hatten die Pokémon-Spiele maßgeblichen Anteil: Sie verkauften sich schon in ihrer allerersten Auflage mehrere Millionen Male. Später kam das Spiel für andere Konsolen von Nintendo heraus – und nun eben für das Smartphone.
Raus gehen anstatt auf der Couch zu hocken
Das Ziel: junge Leute animieren, raus zu gehen und sich zu bewegen. In Ebingen geht das Konzept – ganz offensichtlich – auf, wie der heutige Samstag einmal mehr zeigen wird. Dann steigt die dritte "Pokémon- und Lockmodul-Party", wie es sie an vielen Orten der Welt gibt. Knapp 350 "Trainer" im Alter von bis zu 60 Jahren, darunter ganze Familien, tummelten sich am am 3. September in der Ebinger Innenstadt – heute geht es in die nächste Runde. Angekündigt wird die Party über "Facebook", und der 27-jährige Tailfinger Daniel Mertens, Erfinder und Organisator des Ganzen, rechnet diesmal sogar mit mehr als 500 "Trainern", wie er sagt.
Zumal die Ebinger Innenstadt über eine der höchsten Dichten an Pokéstops verfügt. Das brachte Mertens auf die Idee, das für eine Party zu nutzen, bei der alle Pokéstops gleichzeitig zum Locken der Pokémons aktiviert werden.
Bei der ersten Aktion am 26. August, einem Freitagnachmittag, waren es lediglich 50 bis 60 Spieler, denen es aber allen einen riesigen Spaß gemacht habe, wie Mertens berichtet. Allerdings sei eine solche Party nicht ganz billig: Für einen Nachmittag muss der Organisator 150 bis 160 Euro hinblättern, gibt es die Lockmodule in großer Stückzahl doch nur gegen echtes Geld. Beim zweiten Anlauf am vergangenen Samstag bat Mertens die Spieler deshalb, je einen Euro in die Spendendose zu werfen. Das reichte für 160 Lockmodule.
Gastronomen kommt der Trend zugute
Auch die Gastronomen im Umkreis profitierten: Die Kasse klingelte deutlich öfter als an einem normalen Samstagabend. Deshalb haben Gaststätten, Eisdielen und Dönerläden zusammengelegt und wollen mindestens 50 Prozent der Kosten der kommenden Party decken. "Den Rest legen wieder die fleißigen Spieler zusammen. Sobald die Kosten gedeckt sind, wird die Spendendose eingepackt", erklärt Mertens. "Wir wollen nur einen super-coolen Tag haben mit Spielern aus Hechingen, Balingen, Tuttlingen, Reutlingen und natürlich aus Albstadt und der Region – und selbstverständlich keine Spenden sammeln."
Weil eine solche Menschenmenge allerdings auch Abfall hinterlässt, hat Daniel Mertens die Stadt um Unterstützung in Form von ein paar zusätzlichen Mülleimern für diesen Tag gebeten. Dass die Stadt seine Bitte abgelehnt hat, bedauert der Albstädter. Schließlich sei es doch ein Aushängeschild, wenn eine Stadt Trends unterstütze, die bei jungen Leuten beliebt sind.
Wer die Pokémon-Party mitfeiern will, kommt einfach zwischen 15 und 22 Uhr in die Ebinger Innenstadt. "Gotta catch ’em all!" lautet dann die Devise – das ist "Pokémonisch" für "Waidmanns Heil!"