Vor der neuen Lautlinger Bücherzelle, bemalt in den Stadtfarben (von links): Christine Widmann-Simon und Heike Bosch von der Stadtbücherei, "Hausmeister" Helmut Müller, Ortsvorsteherin Juliane Gärtner und Kulturamtschef Martin Roscher bei der Einweihung. Fotos: Kistner Foto: Schwarzwälder Bote

Bücherzelle: Albstadts erstes "offenes Bücherregal" steht

In Lautlingen ist seit einigen Tagen Albstadts erstes "offenes Bücherregal" zugänglich. Am Dienstag wurde die "Bücherzelle" auf dem oberen Schlossparkplatz offiziell ihrer Bestimmung übergeben.

Albstadt-Lautlingen. Aus der Entfernung sieht sie aus wie eine Telefonzelle nach dem "Facelift" mit Pinsel und Lackfarbe, und genau das ist sie auch – die Idee, ein Leitfossil der Telekommunikationsgeschichte zu reaktivieren, stammt von Anton Gärtner, dem Mann der Ortsvorsteherin. Drinnen hängt natürlich kein Münzfernsprecher mit Wählscheibe mehr; vielmehr steht dort eine Regalwand mit sechs Brettern und auf diesen wiederum Bücher: Herz, Schmerz, Abenteuer, Fantasy, Belletristik mit Anspruch, natürlich Krimis und dazwischen – auf Englisch – Oscar Wildes "The Picture of Dorian Gray".

Zwei Regale sind für Kinder und Jugend reserviert – erste Küsse neben Kirsten Boie, Pippi Langstrumpf und dem Dschungelbuch –; ganz oben findet man die Ratgeber- und Sachbuchliteratur.

Eine Bibliothek auf anderthalb Quadratmetern Grundfläche; die Bücher stammen teilweise aus den Beständen der Stadtbücherei, vor allem aber von Privatleuten. Die Auswahl kann sich schnell ändern: Hoher Durchlauf ist der Leitgedanke des "offenen Bücherregals". Jeder darf bringen und mitnehmen, was ihm gefällt; er darf es, wenn es ihm sehr gut gefällt, auch behalten und muss keine Gegenleistung erbringen. Nur ein paar Anstandsregeln sind zu beachten: Wenigstens ein Buch muss stehen bleiben; wenn die Regale voll sind, wird nicht gestapelt, zweireihig gestellt oder gar der Fußboden zugeparkt, und professionelle Flohmarktbeschicker haben in der Bücherzelle nichts verloren. Die Hausordnung hängt an der Tür; wer lesen kann, der lese.

Das "offene Bücherregal" ist natürlich nicht das erste im Land: Es gibt schon viele – aber in Albstadt eben noch nicht. Auch die Lautlinger Ortschaftsräte standen, wie Ortsvorsteherin Juliane Gärtner bei der Einweihung berichtete, dem Projekt anfangs skeptisch gegenüber, befürchteten, böse Buben könnten Schindluder mit dem Bildungsgut treiben, und waren erst bereit, 20 000 Euro aus den Eigenverfügungsmitteln der Ortschaft zu investieren, nachdem sich mit Helmut und Sabine Müller zwei "Hausmeister" für die Bücherzelle gefunden hatten, die nach dem Rechten sehen und Ordnung halten. Die ist in der Tat mustergültig und das Angebot wie aus dem Ei gepellt – nicht zuletzt deshalb, weil Helmut Müller aussortiert, was zerfleddert ist und eher ins Altpapier als ins Regal gehört.

Mittlerweile gibt es auch in anderen Stadtteilen Pläne für ein "offenes Bücherregal" – nächste Anwärter sind dem Vernehmen nach die Truchtelfinger. Wenn sie auch eine ausgediente Telefonzelle wollen, müssen sie sich allerdings beeilen. Heike Bosch von der Stadtbücherei Albstadt, auf deren Initiative das Projekt zurückgeht, hat das Lautlinger Modell in Michendorf bei Berlin aufgetrieben, wo die Telekom ihre "Antiquitäten" lagert – und Glück gehabt, dass sie noch zum Zuge kam: "Die Nachfrage nach den Dingern ist riesengroß – die gelben sind schon alle weg; es gibt nur noch Magenta."