Ganz unprätentiös mischten sich die Solisten Carla Thullner (links, vorne), Philipp Nicklaus (Mitte, vorne) und Arthur Canguçu (rechtes Bild, rechts) unter die Sängerinnen und Sänger des beeindruckend stimmgewaltigen Chores der Martinskantorei. Fotos: Eyrich Foto: Schwarzwälder Bote

Karfreitagskonzert: Zur Sterbestunde Jesu erleben Zuhörer in der Martinskirche Stimmkraft und Sanftheit

Dass der Chor der Martinskantorei Ebingen immer noch besser wird, war die eine Überraschung beim Konzert zur Sterbestunde Jesu am Karfreitag. Die andere kam aus dem Baltikum.

Albstadt-Ebingen. Ist tatsächlich Karfreitag? Die Ruhe und Sanftheit der Töne, die der Chor der Martinskantorei, das Schwarzwald Kammerorchester, Organist Jens Wollenschläger und die Solisten Carla Thullner, Sopran, Julia Werner, Alt, Philipp Nicklaus, Tenor, und Arthur Canguçu, Bass, da anstimmen, deutet zunächst einmal nicht darauf hin. Kein Wunder: Die Kantate "Jesus nahm zu sich die Zwölfe" hat Johann Sebastian Bach nicht für Karfreitag geschrieben, sondern für den Sonntag Estohimi, den letzten vor dem Karfreitag, an dem Kantaten aufgeführt werden durften. Philipp Nicklaus, der den – die Grippewelle rollt noch immer – stimmlich etwas angeschlagenen Arthur Canguçu etwas entlastet, übernimmt den Hauptpart und damit auch die Rolle des Jesus, der seine Jünger hinauf zieht gen Jerusalem, "und es wird vollendet werden, das geschrieben ist von des Menschen Sohn".

Ungewöhnlich, dass Bach den Jüngern die Stimme einer Altistin verleiht. Wunderbar, dass Steffen Mark Schwarz als musikalischer Gesamtleiter sie mit Julia Werner so großartig besetzt hat: Fest und kraftvoll wie das Bekenntnis der Zwölf ist die warme Stimme der zierlichen Sängerin, um so aufrüttelnder die von Philipp Nicklaus, mit der er die innere Unruhe der Jünger besingt: "Ach! Kreuzige bei mir in der verderbten Brust zuvörderst diese Welt und die verbot’ne Lust. So werd’ ich, was du sagst, vollkommen wohl verstehen und nach Jerusalem mit tausend Freunden gehen."

Da ist sie wieder, diese tiefe innere Ruhe: In der Stimme Julia Werners und im ganzen Stück, diesmal einem ganz großen von Georg Friedrich Händel, dem "Messiah", HWV 56, zweiter Satz. Unglaublich, dass diese fließende Melodie mit fast beschwingtem Unterton die Passion beschreiben soll, als erzählte die Sängerin nicht von der Schmach, die Jesus erfahren musste.

"Den Rücken bot er den Peinigern, hielt die Wange dar der rohen Feinde Wut"

Da, plötzlich: Akzentuiert hacken die Streicher den Melodiefluss in kleine Stücke, bringen Tempo und Dramatik hinein: "Den Rücken bot er den Peinigern, hielt die Wange dar der rohen Feinde Wut, er barg nicht sein Antlitz vor Schmach und Schande" – schön, dass die nicht anglophilen Zuhörer den beeindruckenden Text im ausführlichen Programmheft auch auf Deutsch lesen können. Dass die Solistin ihn brillant akzentuiert und betont: selbstredend. Dasselbe gilt aber auch für den Chor, für den sich die Stimmbildung bei Carla Thullner – ihr haben eben jene Werke Bachs und Händels nur eine kleine Rolle als Sopranistin zugedacht – bezahlt gemacht hat: Trotz des englischen Textes mit ein paar wahrlich spitzen Steinen darin verstehen die Zuhörer jedes Wort. Und schließlich kommt auch Karfreitag auf, wenn der Chor von den Qualen und Schmerzen Christi singt, die einzelnen Stimmen – wie in einem Kanon – unterschiedliche Wege gehen.

Schön getragen wird das alles vom Schwarzwald Kammerorchester, dessen Musiker teils selbst großartige Solisten sind, und das doch einen so homogenen Klang zu erschaffen vermag, auch wenn der Chor an diesem Karfreitag über allem glänzt: dynamisch, rein, fein koloriert.

Für Peteris Vasks "Dona nobis pacem" – gib uns Frieden – mischen sich die Solisten ganz uneitel unter die Chorsänger. Dass Vasks als Lette aus dem Baltikum stammt, ist hörbar in seinem Werk: Er lässt die Töne heranrollen wie die Flut des Meeres unter hellgrauem Himmel – nicht einfach für die Sänger, den Wellen- respektive Stimmfluss kaum abreißen zu lassen, wie es scheint, wobei die engagierten Violinisten, Cello und Bass mithelfen. Welch wohltuender Klang, welch herrliches Werk – vor allem, wenn es zum Ende hin ins Fortissimo klettert und die Streicher ganz nach hinten greifen müssen, um noch höhere Töne hervorzuholen.

Dann lässt Jens Wollenschläger an der Orgel einen tief brummenden Ton hervorrollen, den zuerst die Männer-, dann die Frauenstimmen auffangen und gemeinsam zu einem Orkan entwickeln, der in abrupter Stille endet. Genau in diese hinein künden die Kirchenglocken von der Botschaft des Karfreitags. Und von der Auferstehung, die in ihr liegt.