Pfarrer Gottfried Engele improvisierte – und vermochte, zu fesseln.Foto: Eyrich Foto: Schwarzwälder Bote

Interkulturelle Woche: Pfarrer Gottfried Engele rettet den Abend – und einen alten Begriff vor dem Kitsch

Improvisationstalent zu besitzen – das kann Pfarrer Gottfried Engele wahrlich für sich verbuchen. Aus einem Abend zum Thema "Heimat" hat der evangelische Geistliche einen starken Impuls gemacht. Wenn auch nicht aus heiterem Himmel.

Albstadt-Tailfingen. Mit einer schlechten Nachricht hat der Freitagabend in der Peterskirche begonnen. Dort wollte Phillip Neurath, Fachbereichsleiter und Referent für Flüchtlingsarbeit der Diakonischen Bezirksstelle Balingen, eigentlich zum Thema Heimat aus dem Blickwinkel seiner Flüchtlingsarbeit sprechen, hatte aus familiären Gründen aber kurzfristig absagen müssen. So war der Gastgeber, Pfarrer Gottfried Engele, gefragt und las den Vortrag, den Neurath ihm gemailt hatte, nicht nur vor, sondern erfüllte ihn mit eigenen Impulsen, Anmerkungen, Erfahrungen.

Die AfD-Versammlung in der Zollernalbhalle mit dem Rechtsausleger Kalbitz sei Anlass gewesen, darüber nachzusinnen, "was uns zum Thema Heimat wichtig ist", sagte Engele und freute sich über den passenden Rahmen: Die Ausstellung mit Gemälden von Rebecca Dernelle-Fischer zeige herzige Häuser, die Heimat seien – und auch Kirchen darunter, die Heimat zu sein vermochten.

Tief reichten die Gedanken, die Neurath sich über Heimat gemacht hatte: Das Bedürfnis danach wachse mit der Unübersichtlichkeit des eigenen Lebens in Zeiten von Globalisierung, Wirtschaftskrisen und Kriegen. Die Trennung von Familie, Freunden und gewohnter Umgebung werde schlimmer empfunden, je unwahrscheinlicher eine Rückkehr erscheine.

In der Nazi-Zeit missbraucht, in der Nachkriegszeit verkitscht, habe der Heimatbegriff heute wieder Konjunktur, sei nicht mehr idealisierte Vorstellung einer längst vergangenen Welt, sondern offen für Gestaltung, für Freude und Freunde. Wer Heimat zum politischen Begriff mache, teile die Bevölkerung in jene, die dazugehören, und jene, die Fremde seien.

Doch Heimat – das könnten auch mehrere Orte sein: Engele erinnerte an seine Verwandten in Kanada mit starkem Bezug zum Land ihrer Vorfahren und an die Südeuropäer, die im Talgang eine zweite Heimat gefunden hätten und maßgeblich mitverantwortlich seien für die Erfolge der Textilwirtschaft. Hier passte das Zitat von Carl Zuckmayer: "Heimat ist nicht der Ort, wo man herkommt, sondern der Ort, an dem man sterben möchte."

Geflüchtete, so weiß Neurath aus Befragungen, verstünden Heimat als Erinnerung, Gefühl, Tradition an dem Ort, an dem sie ihre Freunde hätten: Nicht Kulisse, sondern ein Element aktiver Auseinandersetzung.

Dass "bestimmte Parteien" – es war klar, welche gemeint war – versuchten, kollektiv zu definieren, wer dazugehöre, erschwere gerade jene Integration, die zugleich eingefordert werden. Dass Europa gerade der islamischen Kultur und Wissenschaft vieles von dem verdanke, was Menschen hierzulande heute mit ihrer Heimat verbänden, hob Engele deutlich hervor und fügte hinzu, dass ein "Mehr" an Bezug zur alten Heimat bei Migranten nicht ein "Weniger" an Bezug zur neuen mit sich bringen müsse.

Für ihn und Phillip Neurath müssen die politischen Rahmenbedingungen in einer Gesellschaft so ausgestaltet sein, "dass die Orte allen offen stehen", der Ausgrenzung vorgebeugt sei.

Trotz der wenigen Besucher war die Diskussion hochklassig. Für sie sei Heimat vor allem ihr christlicher Glaube, kommentierte eine Zuhörerin, die mit Blick auf einen Ort lieber von "Zuhause" spricht. Eine andere hob den verbindenden Wert der Sprache hervor, die Freundschaften, auch am Arbeitsplatz, und das Gefühl, aufeinander angewiesen zu sein, den gegenseitigen Respekt.

Ulrike Engele rief "ein Lob auf Albstadt" aus, in dem sie sich schnell heimisch gefühlt habe und fügte mit Blick auf die junge Generation hinzu: "Meinen Kindern ist gar nicht bewusst, wenn Klassenkameraden einen Migrationshintergrund haben: Mit denen lebt man halt hier."

Gänsehaut besorgten den Zuhörern nicht nur die gefühlvollen Liedbeiträgen von Ingrid Wahl und Bernd Jablonski, sondern auch ein Video, das die Gedanken eines 2015 nach Deutschland geflüchteten Syrers und eines 1938 aus Deutschland geflüchteten Juden vereint:  https://www.youtube.com/watch?v=IQBncz9RmqA