Der Verwalter eines Kinderporno-Forums im sogenannten Darknet ist zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. (Symbolbild) Foto: Dedert

Fleißarbeit und Kommissar Zufall: Zwei Polizisten aus Hannover überführen Verwalter von Darknet-Seite.

Albstadt/Hechingen - Es ist ein Protokoll des Grauens. Drei Richter, zwei Schöffen, der Staatsanwalt und der Verteidiger des Angeklagten nehmen im Landgericht Hechingen (Zollernalbkreis) Bilder in Augenschein, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen. Ein 50-jähriger Polizist beschreibt, was darauf zu sehen ist. Ein Junge, der auf einen Stuhl gefesselt ist. Ein Mädchen, das mit Klemmen gequält wird. Es sind Bilder, die auf Festplatten, Computer, Laptop und USB-Sticks eines Albstädters gefunden wurden, der über Jahre auf Pädophilen-Plattfomen im Darknet aktiv war. Nicht nur als Nutzer, sondern als Administrator.

Wegen bandenmäßiger Verbreitung, der Verschaffung sowie des Besitzes von Kinderpornografie ist der Mann, der bis dato als völlig unbescholten galt und seine Taten vollumfänglich einräumte, am Montag zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden. Der Richterspruch beinhaltet, dass sich der 50-Jährige in Therapie begibt.

Polizisten sichten Tausende Chatprotokolle sowie Bilder und Videos

Das Urteil basiert auf intensiven Ermittlungen der Polizeidirektion Hannover. Die beiden Polizisten aus Niedersachsen, die den Fall betreuten, sagten vor Gericht als Zeugen aus. Am Rande der Verhandlung gaben der 35-Jährige, der rund 300 Chatprotokolle ausgewertet hat, sowie sein 50-jähriger Kollege, der mehr als 8000 Bilder und Videos sichtete, unserer Zeitung tiefe Einblicke in Details ihrer Arbeit. Deutlich wird dabei, dass neben der monatelangen Fleißarbeit "Kommissar Zufall" dazu beitrug, den Mann zu schnappen.

Ausgangspunkt der Ermittlungen war demnach ein Drogengeschäft, das die Polizei in Niedersachsen im Darknet aufgedeckt hatte. In diesem Zusammenhang stießen sie auf das Pädophilen-Forum "Tabooless" ("Tabulos"), nach Angaben der Ermittler eine der wenigen nicht nur englisch-, sondern auch deutschsprachigen Plattformen. "Wir schauten genauer hin – und uns war klar: Da geht’s richtig ab. Da mussten wir tiefer bohren. Richtig ermitteln", so die beiden Polizisten des Fachkommissariats für Sexualstraftaten aus Hannover.

Die Ermittler tauchten dafür selbst ins Darknet ab, den verborgenen Teil des Internets, wo Nutzer anonym unterwegs sind und die Identifizierung äußerst schwierig ist. Sie verfolgten den Chat des Forums "Tabooless", lasen mit, wie die User sich austauschten, wie Bilder hochgeladen wurden. Zeitweise waren bis zu 900 Nutzer gleichzeitig online, vor allem Männer, aber auch Frauen. Die Zahl der Nutzer insgesamt ging wohl in die Zehntausende.

Täter agierte unter Decknamen "Commander"

Interessiert waren die Ermittler an den Betreibern der Seite sowie jenen Nutzern, die sich durch das Hochladen von Bildern und Videos sowie durch "gute Moderation" den Status von Administratoren erarbeitet hatten. Recht schnell stießen sie auf den Mann von der Schwäbischen Alb, der dort unter dem Namen "Commander" unterwegs war. Verdeckte Ermittler kamen zum Einsatz, darunter eine Frau. Auf sie sprang "Commander" gleich an.

Bei dem Albstädter stellte der Sachverständige eine besondere Form der sexuellen Deviation fest, eine äußerst seltene Kombination: Seit Jahrzehnten habe er eine Vorliebe für sado-masochistische und fetischistische Praktiken, die er mit zwei Ehefrauen auch einvernehmlich auslebte. Dazu kommt eine voyeuristische Neigung – und seit etwa sieben Jahren eine Präferenz für junge Mädchen im Alter von zehn, elf, zwölf Jahren.

Der aus Norddeutschland stammende Mann war der Liebe und der Arbeit wegen 2001 nach Albstadt gezogen. Seine ursprüngliche Lebensplanung – zunächst evangelischer Pfarrer, dann Lehrer – war gescheitert; die Studien hatte er abgebrochen und dann zum Maschinenbaumechaniker umgeschult. Mit seiner Frau kaufte er in Albstadt ein Haus, eine Tochter und ein Sohn kamen zur Welt. Beschäftigt war er bei einem Albstädter Unternehmen, er verdiente gut. Alles prima also, so schien es.

Der Mann hatte, so schilderte er es vor Gericht, außer seinem familiären Umfeld wenig Kontakte zu Menschen, praktisch keine eigenen Freunde. In Albstadt habe er sich nie heimisch gefühlt. Seine Freizeit verbrachte er vor allem vor dem Computer, schaute Filmchen auf Youtube und daddelte Videospiele. Irgendwann entdeckte er das Darknet – und einschlägige Foren, die ihn wegen seiner sexuellen Präferenzen faszinierten.

Außer auf "Tabooless" war der Mann nach Angaben der Ermittler auch auf den Plattformen "Phoenix", "Briannas Lolita Paradise" sowie "Elysium" aktiv; teilweise ebenfalls als Moderator oder als Administrator. "In der Kinderporno-Szene war der Mann eine Legende", sagen die Ermittler. Auch Bilder seiner eigenen, heute elfjährigen Tochter verschickte er an andere Nutzer des "Tabooless"-Forums; zudem schrieb er, dass er seine Tochter schon einmal missbraucht habe, dass er sie gerade "trainiere". Hinweise darauf haben sich nach einer Befragung des Mädchens aber nicht ergeben. Auch der 50-Jährige hatte den Missbrauch bestritten.

Der Verdächtige verliebt sich in die verdeckte Ermittlerin

Ein Fehler, vor dem er andere in den Foren als Moderator regelmäßig warnte, wurde ihm dann indes zum Verhängnis: Er verliebte sich in die Frau, hinter der die verdeckte Ermittlerin steckte. Beide hatten, so schien es ihm, die gleiche Vorliebe für sado-masochistische Praktiken. Sie chatteten über Monate. Die Frau schickte ihm Bilder von sich, für die sie von Maskenbildnern des Hannoveraner Theaters aufwendig geschminkt worden war. Eines Tages übermittelte die Ermittlerin dem Albstädter über eine verschlüsselte E-Mail im Darknet eine Mobilnummer. Und er rief tatsächlich an. Von einem Mobiltelefon mit einer Nummer, die auf ihn registriert war. Der Mann sei, so vermuten die Ermittler, "blind vor Liebe" gewesen, habe wohl wirklich geglaubt, mit der Frau ein neues Leben beginnen zu können. Seine zweite Ehe war zu diesem Zeitpunkt bereits gescheitert.

Bis zum Zugriff dauerte es einige Wochen. Der Mann wurde ausgespäht, sein Telefon überwacht. Die Ermittler wollten vermeiden, dass er bei der Festnahme einen sogenannten Totmannschalter betätigt, mit dem er auf einen Schlag alle Daten auf seinem PC löschen könnte. Sie wollten ihn unbedingt beim Chatten auf der Plattform erwischen. Das gelang.

Am 2. November 2017 war in Albstadt alles vorbereitet. Das Spezialeinsatzkommando aus Göppingen rückte an. Die verdeckte Ermittlerin schrieb mit dem 50-Jährigen hin und her, als Beamte dessen Wohnung stürmten. In der Folge machte der Mann umfangreiche Angaben, die mit dazu führten, den technischen Betreiber der Seite "Tabooless" im Raum Frankfurt zu identifizieren. Der Mann sitzt in Haft.

"Tabooless", "Phoenix", "Briannas Lolita Paradise", "Elysium" – all diese Plattformen mit Schwerpunkt Kinderpornografie im Darknet sind mittlerweile abgeschaltet. Gleichwohl: "Es ist ein Kampf gegen Windmühlen", sagen die beiden Ermittler. Ein Forum ist dicht, andere öffnen. Die Arbeit geht immer weiter.