In Nigeria hat Sven Stuhrmann unterrichtet. Foto: Schwarzwälder Bote

Auslandseinsatz: Sven Stuhrmann setzt sich für junge Terroropfer in Nigeria ein

Hoffnungslose Blicke, Traurigkeit und das allgegenwärtige "Warum?" – das waren die Eindrücke, die der Albstädter Sven Stuhrmann während seines zweiwöchigen Aufenthalts in Nigeria immer wieder hatte.

Albstadt/Jos. "Kinder, die ihre Eltern auf grausamste Weise durch Folter und Mord verloren haben, Familien, die vor terroristischen Gruppen flüchteten und Tage oder Wochen in Verstecken um ihr Leben bangten" waren es, mit denen Sven Stuhrmann in Jos im östlichen Zentralnigeria zwei Wochen verbrachte. Dort war es seine Aufgabe, in einer der Schulen von "Jugend mit einer Mission" in Jos eine Woche lang den Unterricht zu gestalten.

Danach nahm er Termine in Kirchengemeinden und Jugendgruppen wahr, um von seiner Arbeit zu berichten, das Evangelium zu predigen und "diejenigen zu ermutigen, denen so viel Leid widerfahren war", wie er berichtet.

Dabei wurde ihm bewusst: "Hinter all den Berichten von Überfällen und Anschlägen der islamistischen Terrormiliz Boko Haram und der ›Fulani Herdsmen‹ stehen einzelne Menschen, einzelne Schicksale." Als Beispiel nennt er einen 27-jährigen Nigerianer, der wirke wie einer von vielen jungen Erwachsenen, die gerade so richtig ins Leben starteten. "Doch der Schein trügt", so Stuhrmann. "Mit schwerem Herzen erzählt er mir, wie sein Dorf von Männern des Boko Haram überfallen wurde. Seinen Vater erschossen sie, seiner Mutter hackten sie das linke Bein ab. Sie sollte nie vergessen, wer ihr das angetan hatte."

Diese Ungerechtigkeit zermürbe den jungen Mann, berichtet Stuhrmann und erzählt dann von einer jungen Frau, deren Beispiel zeige, "dass die Attacken an Grausamkeit keine Grenzen kennen". Auch das Dorf der 19-Jährigen im Norden Nigerias sei von Boko Haram überfallen worden, ehe sie in ein inländisches Flüchtlingslager fliehen konnte. Sämtliche Hütten habe die Terrormiliz niedergebrannt, und die 19-Jährige sei vor versammelter Familie gezwungen worden, zuzusehen, wie ihr Vater bei lebendigem Leib gehäutet wurde, bis er starb – zur Bestrafung für ihren Glauben an Jesus Christus und ihre Ablehnung, zum Islam zu konvertieren.

Getroffen hat der Albstädter auch eine der Studentinnen, die 2014 in Chibok als eine von 276 Frauen und Mädchen aus einer Schule entführt worden war. "Sie konnte fliehen und versucht jetzt, ihr Trauma zu verarbeiten, um wieder leben zu können – in Freiheit und Würde." Andere versteckten sich über Wochen, ja Monate, um den heimtückischen Attacken der Fulani Herdsmen zu entgehen.

Umgeben von Schlangen und Skorpionen

"Ohne medizinische Versorgung, ohne sauberes Trinkwasser und Nahrung kämpften sie zu Hunderten ums nackte Überleben, mussten zusehen, wie Bekannte dem Hunger erlagen oder sich, um zu überleben, in die Prostitution verkauften." Selbst während der gnadenlosen Regenzeit hätten sie kein Dach über dem Kopf und schliefen, oft von Schlangen und Skorpionen umgeben, im Freien.

Es sind diese Geschichten und Bilder, die Sven Stuhrmann deutlich gezeigt haben, wie "zerbrochen und tief verwundet" dieses Land sei. In Zeiten, da in seinem Heimatland das Flüchtlingsthema "oft für hitzige Diskussionen sorgt, erinnere ich mich an meine neuen Freunde in Nigeria und führe mir vor Augen, wie gut es mir geht – und vielleicht habe ich ja etwas, das ich abgeben, teilen kann, als Deutscher", betont er.

Mit seiner Klasse, in der zehn von 14 Studenten Opfer des Boko Haram gewesen seien, sprachen alle gemeinsam am Ende des Unterrichts jenen Vergebung zu, die so grausame Taten verrichteten. "Unter Tränen und auf Knien betend entschlossen wir uns, gemeinsam den Kreislauf des Hasses mit Vergebung zu unterbrechen."