Die Finalisten des Abends (von links nach rechts): Max Osswald (München), Leon Essig (Balingen) und Tobi Merz (Albstadt) mit dem Showmaster Marcel Siedersberger (vorne). Foto: Sheherazade Soudani

Rund 100 Zuhörer im "Schiller" bekommen verschiedenste Spielarten von Poesie geboten. Max Osswald bekommt Trophäe.

Albstadt-Ebingen - Poetry-Slam, das ist die englische Bezeichnung für eine ziemlich deutsche Sache, nämlich den öffentlichen Auftritt von Dichtern und Denkern. Das "Schiller" und Lokal-Slam-Matador Marcel Siedersberger aus Sigmaringen hatten auf Samstag zum Dichterwettstreit geladen.

Und sie kamen, die Dichter, und begeisterten ihr bunt gemischtes Publikum mit Witz, Verve und Wortgewalt. Zu Beginn erklärte Moderator, Slammer und Rapper Siedersberger die Regeln, vier an der Zahl: Die Texte müssen aus eigener Feder stammen, sieben Minuten Redezeit dürfen nicht überschritten werden, und Requisiten sind nicht erlaubt – ausgenommen Bierflaschen zum Festhalten. Die vierte Regel betrifft das Publikum: "Respect the poets!" Auf Deutsch: Zollt den Dichtern Respekt!

Max Osswald, Exil-Schwabe in München, eröffnet den Abend mit der Vorstellung seines "Pathos-Arms", den er redeschwingend zum Einsatz bringt. Auch in thematischer Hinsicht macht er lieber ganze Sache: "Ich möchte mit euch über Gott reden – was, wenn Gott ein Kuchen wäre?" Und wenn ja, was für einer – Schwarzwälder Kirsch oder Marmorkuchen? Und Jesus? Vielleicht ein Muffin oder – nach der Auferstehung – ein Leb-Kuchen? Die Predigt kommt am Ende zu folgender Konklusion: "Heilig’s Blechle" – Gott ist natürlich Schwabe! – "was für ein Kuchen, des isch doch Wurscht. Im Kern isch des doch älles desselbe: lecker." Zusammenzusitzen und miteinander zu essen, das sei der Sinn. Amen.

Alice Rex aus Stuttgart, die einzige Slammerin des Abends, schlägt ernstere Töne an, erzählt von Nächten im Wandschrank und Angst vor dem "Blaumann", einem alkoholisierten Familienvater. Auch Janek Mager aus Radolfzell slammt über dunkle Stunden, über Suizidgedanken und darüber, wie sich überwinden ließen: "Statt Eingeweide auf der Talsohle / verteile ich Tinte auf Papier." Wo vorher Gläserklirren und Gelächter zu hören war, herrscht nun tiefe Stille.

"Es gibt Dinge, die gesagt werden müssen"

Weiter geht es mit Leon Essig aus Balingen, der erfrischende Gedanken zur Gleichberechtigung, dem sterbenden Sinn seiner Generation für Romantik und die Verrohung der Sitten durch Online-Dating zum Besten gab. Verroht sie wirklich, die Jugend? Stirbt die deutsche Sprache?

Wird Albstadt zur Kulturwüste – alle diese Gerüchte werden im "Schiller" Lügen gestraft. So viel Herzblut, so viel Gefühl auf der Bühne. Rund 100 Zuhörer feiern ihre Poeten mit Jubel und Applaus – oder würdigen die ernsten Tönen durch andächtiges Schweigen. Ein Beispiel: Slammer Mido aus Konstanz. Er nimmt die Zuhörer mit in die Flüchtlingslager und Krisengebiete dieser Welt, beschreibt seinen "Traum von Europa" und wird dafür von Ramon Schmid, dem nächsten in der Programmfolge, gefeiert. Der diesjährige Halbfinalist der baden-württembergischen Meisterschaften ruft die Intention des Poetry-Slams in Erinnerung: "Es gibt Dinge, die gesagt werden müssen – und darum gibt es Slams." Dieser Respekt, sowohl der der Hörer vor den Poeten als auch die gegenseitige Wertschätzung der Dichter-Konkurrenten, ist charakteristisch für die Stimmung des Abends. Komplettiert wird die Runde durch den "Local Hero des Schillers", Tobi Merz aus Albstadt. Vom Publikum gefeiert, vom Barkeeper beschimpft und vom Moderator zur Raison gerufen, diese Veranstaltung sei keine Singlebörse, sorgt er für die lustigsten Momente des Abends. Wie? Er erzählt von seinem ersten Mal, vom Jungsein und vom Älterwerden – und von der ganzen Unsicherheit, die zwischen dem einen und dem anderen liegt.

Ach ja, der Sieger. Die Trophäe, eine Ananas, nimmt am Ende Max Osswald in Empfang. Im Finale beschreibt der Wahl-Münchner wortgewaltig seine Utopie, der reichste Mensch der Welt zu sein. Er würde den Bundestag in Atommüllzwischenlager verwandeln, um die Energiewende zu beschleunigen, und nur demjenigen erlauben, Fleisch zu essen, der zuvor Kuh Bertha aufgezogen, gefüttert, gestreichelt – und dann mir bloßen Händen getötet habe. Sein Schlusswort: ein "Ärzte"-Zitat. "Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wäre nur Deine Schuld, wenn sie so bliebt."