Anton Bock, Susanne Merz, Esther Braitmayer, Mirella Bitzer und Philippus Maier diskutierten über "Kinder dieser Welt". Foto: Schwarzwälder Bote

Talk in der Ochsenscheuer: Diskussion zeigt, was die "Kinder dieser Welt" heute wirklich brauchen

"Die Kinder dieser Welt" haben Dekan Anton Bock von der katholischen und Pfarrer Philippus Maier von der evangelischen Kirchengemeinde in den Mittelpunkt beim Talk in der Ochsenscheuer gestellt – und mit kompetenten Frauen diskutiert.

Albstadt-Onstmettingen. Esther Braitmayer ist erfahrene Erziehungsberaterin der ökumenischen psychologischen Beratungsstelle Albstadt, Mirella Bitzer Mutter zweier Kinder im Alter von zwei und fünf Jahren und Susanne Merz Leiterin des Kindergartens Johannes-Raster-Straße.

Sie beobachtet, dass Eltern Kindern immer weniger zutrauen, sie oft zu sehr behüten und ihnen zu vieles abnehmen, was Braitmayer bestätigte: Die Gefahren der heutigen Zeit und die Angst, etwas falsch zu machen, beschäftigten sie. Sich beschützt zu fühlen sei zwar ein Grundbedürfnis von Kindern, doch die Selbstentwicklung sei es auch.

Mirella Bitzer hat die zunehmende Vernetzung von Eltern aber auch als Bereicherung erfahren – gemeinsame Aktivitäten etwa seien leichter zu organisieren. Verknüpft mit der steigenden Anspruchshaltung der Eltern könne das freilich schwierig werden: "Der Druck, Kinder zu vergleichen, fängt früh an und die Angst – ›kommt mein Kind in dieser Konkurrenzgesellschaft mit?‹ – überträgt sich auf Eltern", so Braitmayer. Neben kognitiven Fähigkeiten brauchten Kinder aber vor allem emotionale, und die zu entwickeln bedürfe es der Freiräume. "Beim Spielen lernen sie die Welt zu erkennen", und Langeweile mache kreativ.

"›Begreifen‹ kommt von ›greifen‹ und nicht von ›wischen‹"

Reizüberflutung und Konsumdenken bremst Mirella Bitzer, indem sie manches Spielzeug eine Zeit wegräumt, und auch Susanne Merz animiert ihre Schützlinge, die Welt selbst zu entdecken: noch ohne Medien, – höchstens mit Büchern und Fotos. Wobei man Medien nicht verteufeln dürfe, betonte Braitmayer, solange das Smartphone nicht die Funktion des Betreuers übernehme. Doch "begreifen" komme nun mal von "greifen", nicht von "wischen", und nur dadurch entwickele sich das Gehirn.

Schwierigkeiten mit der Feinmotorik beobachtet Susanne Merz nicht so oft wie Unkonzentriertheit und die Tatsache, dass Kindern oft keine Grenzen gesetzt würden. Ihr Team jedoch lege Wert darauf: "Kinder genießen es, wenn sie Grenzen und damit Klarheit und Orientierung haben. Sie schreien danach und testen aus, wo diese sind."

Von Strafen beim Überschreiten halten die drei Frauen nichts – vielmehr sei Konsequenz gefragt, wie Braitmayer betonte. "Ein Kind hat ein großes Bedürfnis nach Leitplanken und braucht Konsequenzen, die es versteht."

Warum sind Kinder heute oft unruhiger? "Wenn sie Stress erleben und Dinge nicht verarbeiten können", etwa Streit oder Arbeitsplatzverlust der Eltern. Mirella Bitzer legt Wert auf gemeinsame Familienzeiten am Esstisch, auch wenn das beim Schichtdienst ihres Mannes nicht einfach ist. Und sie achtet auf Rituale: "Wir beten vor dem Essen und dem Schlafengehen, schauen Bücher an, und so versuche ich, dem Alltag Struktur und meinen Kindern den Glauben mitzugeben."

Glaubenserziehung sei im städtischen Kindergarten nicht Teil des Konzepts – Werteerziehung aber schon, betonte Merz, wobei Weihnachten und Ostern schon aus kulturellen Gründen gefeiert würden und die Kinder lernten, dass alle Menschen an etwas glaubten. "Bei der Glaubensvermittlung kommt es sehr darauf an, ob Eltern selber gläubig sind, denn 80 Prozent sind Modelllernen".

Kindern die Wahl zu lassen, welchen Glauben sie später annehmen, hält Dekan Anton Bock für schwierig, denn dann müsste man sie genau genommen in mehreren Religionen erziehen. "Sonst müssen die Kinder sich zwischen Nichts und Nichts entscheiden." Aus diesem Grund hält auch Pfarrer Philippus Maier religiöse Erziehung für sehr wichtig: "Jeder Mensch ist irgendwie religiös und sucht etwas, an dem er sich halten kann", auch wenn ein Kind erfahre, dass die Eltern nicht alles können. Maier brach eine Lanze für den "Mut zur Unvollkommenheit" und das Bekenntnis, nicht alles im Griff zu haben. Bock wies außerdem darauf hin, dass Religionswissen auch zum Allgemeinwissen gehöre – manche wüssten heute nicht mehr, was der Petersdom ist.

"Die Eltern wollen es oft nicht – weil es nicht in ihren Wochenplan passt"

"Die Kinder sind nicht weniger religiös als früher, sondern die Eltern nur weniger konsequent", so Bock. "Heute höre ich oft, dass Kinder wollen, aber die Eltern es nicht zulassen, weil es nicht in ihren Wochenplan passt" – die Begeisterung nach der Erstkommunion, Ministrant zu werden, eine Aufgabe, die Kindern auch Selbstbewusstsein verleihe, bremsten manche Eltern heute aus, "und ich sage dann: ›Sie brechen gerade das Versprechen, das Sie bei der Taufe gegeben haben: Ihr Kind im Glauben zu erziehen.‹"

"Bremsen ›Hubschraubereltern‹ ihre Kinder in ihrer Begeisterung aus Angst?", wollte Moderatorin Karina Eyrich von den Frauen wissen. Ja, meint Merz, und mahnte, die Angst nicht auf Kinder zu übertragen. Resilienz – die Fähigkeit, mit schwierigen Lebenssituationen umzugehen – hätten Kinder heute immer weniger. Während der Leistungsdruck steige, nehme die Fähigkeit, ihn auszuhalten, ab.

"Den Kindern Urvertrauen zu vermitteln, macht es ihnen auch leichter, ihnen den Glauben zu vermitteln", so Braitmayer. Die Ansicht, dass manche Eltern ihre Kinder zu sehr beschützten, aber zu wenig für sie da seien, teilen alle Disputantinnen.

Susanne Merz wünscht sich mehr Gelassenheit von Eltern und ihnen die Möglichkeit, auch mal Fehler machen zu dürfen, Mirella Bitzer wünscht sich weniger Druck – auch gesellschaftlichen. Esther Braitmayer hofft darauf, dass Eltern Erziehung als gemeinsamen Weg betrachten und nicht sofort auf jeden Trend reagierten, sondern ihren eigenen Weg finden.