Eine Revision im "Reichsbürger"-Fall würde erneut im Amtsgericht verhandelt, eine Berufung im Landgericht. Foto: Eyrich

Das letzte Wort steht wohl noch aus: Verurteilte könnten Revision oder Berufung beantragen.

Albstadt - Noch ist nicht bekannt, ob der Prozess gegen die Albstädter "Reichsbürger", in dem am Mittwoch die Urteile gesprochen wurden, in die nächste Runde geht. Doch es spricht einiges dafür.

Der Verteidiger des 53-jährigen Hauptangeklagten, der wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Beleidigung in mehreren Fällen und Widerstands gegen die Staatsgewalt zu 21 Monaten Haft verurteilt worden war, hatte nach der Urteilsverkündung offen gelassen, ob er Rechtsmittel einlegen werde: Die Angeklagten hatten sich auch vor der dritten und letzten Verhandlung des Albstädter Prozesses attestieren lassen, dass sie nicht vernehmungsfähig seien, und waren ihr ferngeblieben. Der Anwalt will über das weitere Vorgehen in der Sache erst nach Rücksprache mit seinen Mandanten entscheiden.

Optionen hat er zwei: Berufung oder Revision; theoretisch kämen beide in Betracht. Die Angeklagten waren nur zu einer von drei Verhandlungen erschienen: Am ersten Prozesstag hatte der 53-Jährige den Gerichtssaal in der Waagrechten und mit einer Infusionsnadel im Arm verlassen; für die folgenden hatten er und sein mitangeklagter Sohn Atteste vorgelegt, wonach sie aufgrund physischer und psychischer Beschwerden nicht vernehmungs- und verhandlungsfähig seien.

Durfte das Gericht unter diesen Umständen verhandeln – und durfte es eine Haftstrafe verhängen? Laut Paragraf 232 der Strafprozessordnung kann gegen einen ordnungsgemäß geladenen Angeklagten auch in Abwesenheit verhandelt werden, wenn dabei keine Strafe zu erwarten ist, die 180 Tagessätze, eine Verwarnung mit Strafvorbehalt, ein Fahrverbot und einige andere Geringfügigkeiten überschreitet. Haft ist durch diesen Paragrafen nicht abgedeckt.

Allerdings gibt es auch noch die Paragrafen 231 und 231a. Nach Paragraf 231 darf gegen einen Angeklagten in Abwesenheit verhandelt werden, ohne dass das Strafmaß eingeschränkt wäre, wenn er sich unerlaubt aus der Verhandlung entfernt oder der Fortsetzungsverhandlung fernbleibt – allerdings nur, wenn er die Anklage vernommen hat und weiß, was ihm vorgeworfen wird.

Paragraf 231a gestattet eine Prozessfortführung in Abwesenheit für den Fall, dass sich ein Angeklagter "vorsätzlich und schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt". Auch dieser lag nach Auffassung von Richter Koch am ersten Prozesstag vor.

Kochs Entscheidung, in Abwesenheit zu verhandeln, fußt auf zwei Annahmen: Zum einen, dass der Angeklagte auch liegend der Verlesung der Anklageschrift folgen konnte – der Richter schließt das unter anderem aus den missfälligen Kommentaren, die der 53-Jährige aus der Horizontalen dazu abgab. Zum anderen, dass er und sein Sohn an den beiden anderen Prozesstagen verhandlungsfähig gewesen wären – die Atteste seien sehr einsilbig ausgefallen und hätten kaum Information über Art und Umfang der Beschwerden enthalten. Das sei vor Gericht nicht Usus; ein bisschen genauer wolle man es schon wissen.

In Sigmaringen wollte der Angeklagte der Verhandlung folgen

Im übrigen habe der Hauptangeklagte die Atteste persönlich überbracht und dabei den Eindruck vermittelt, im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte zu sein – und er sei just am zweiten Prozesstag bei einem anderen "Reichsbürger"-Prozess in Sigmaringen gesehen worden, dem er gerne beigewohnt hätte. Soviel zur Verhandlungsunfähigkeit.

Immerhin, ein möglicher Revisionsantrag könnte Zweifel an diesen beiden Annahmen geltend machen. Allerdings ist die Frage, was der Angeklagte davon hätte – schon bei den Plädoyers hatte sich gezeigt, dass am Hergang der einzelnen Straftaten wenig herumzudeuteln war. Strittig erschien eher, wie sie zu ahnden seien – hätte es nicht auch eine Bewährungsstrafe getan? Viel mehr als Hämatome, Prellungen und Schürfwunden haben die Opfer des Hauptangeklagten nicht davongetragen; es hat schon in Fällen wesentlich folgenschwererer Gewaltanwendung Bewährung gegeben.

Richter Koch hielt dem die Quantität der Gesetzesverstöße entgegen, vor allem aber den Umstand, dass der ältere Angeklagte nicht nur kriminelle Energie auslebe, sondern den Rechtsstaat selbst herausfordere, dass er sozusagen Überzeugungstäter sei.

Immerhin, die Frage "Bewährung ja oder nein?" könnte ein anderes Gericht auch anders beantworten. Das würde Berufung bedeuten – Instanz wäre in diesem Fall die Kleine Strafkammer des Landgerichts Hechingen. Man darf davon ausgehen, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen ist.