"Keidokai": In der Zollernalbhalle gaben sich die Freunde des japanischen Fechtkampfs die Ehre
Seit der Japan-Gala des TSV Ebingen vor acht Jahren hat es das nicht mehr gegeben: Auftritte von mit Bambusschwertern bewehrten Kendo-Kämpfern in der Zollernalbhalle. Doch jüngst sind die modernen Samurai zurückgekehrt – zu einem großen "Keikokai".
Albstadt-Truchtelfingen. Das Szenario ist durchaus eigentümlich: Zwei Gestalten stehen sich im Abstand von etwa drei Metern gegenüber und strecken einander die Klingen ihre Schwerter entgegen, sodass sich die leicht zitternden Spitzen berühren. Jede Klinge besteht aus vier zusammengeschnürten und verspannten Bambusstäben; die Griffe sind lang, die Schwerter werden im Regelfall beidhändig geführt. Erkennen kann man die Kämpfer nicht. Beide tragen Jacken aus einem Baumwollstoff, der dem eines Judo-Kimonos gleicht, dazu Beinkleider, die so weit sind, dass man auf den ersten Blick nicht erkennt, ob Hose oder Rock – es ist eine Hose.
Der Lendenbereich ist durch eine Art Kürass aus Kunststoff geschützt, die Hände durch Handschuhe und die Handgelenke durch dicke Baumwollmanschetten. Auf dem Kopf sitzt ein Helm mit vergittertem Gesichtsfeld; vom Scheitel laufen rechts und links Epauletten aus demselben steifen Baumwollstoff hinab, aus dem auch der Helm besteht – sie beschirmen die Schultern. Der ganze Körper ist gepanzert, mit einer Ausnahme: Die Füße sind nackt.
Vom Vibrato der Schwertspitzen abgesehen stehen die beiden Kämpfer reglos; aufgrund ihrer Vermummung lässt sich noch nicht einmal das Geschlecht auf den ersten Blick bestimmen – bei anderen Kämpfern in der Halle gibt der Schimmer eines roten Bartes hinterm Gitter oder ein auf den Rücken fallender Zopf Aufschluss, aber nicht bei diesen beiden. Doch plötzlich stößt der eine einen lauten Schrei aus, und sein Gegner antwortet – Sopranstimmchen sind das nicht.
Erneut herrscht sekundenlang Stille; dann geht alles sehr schnell. Der Kombattant, der zuerst gebrüllt hatte, stürmt mit erhobener Waffe auf seinen Gegner los und lässt sie niedersausen; sie trifft die linke Schulterklappe. Der Gegner hat reagiert; wo seine Klinge landete, war für den beobachtenden Laien nicht zu erkennen. Der Angreifer läuft aus, vorbei am Gegner, mit tänzelnden Schritten und wieder ordnungsgemäß gezücktem Schwert. Noch einmal ein Schrei, und der Waffengang ist beendet.
"Gar nicht schlecht", sagt neben mir Christoph Ermel. "Aber ein bisschen herzhafter hätte er schon schreien dürfen." Ermel ist an diesem Nachmittag so etwas wie Hausherr und Gastgeber in der Zollernalbhalle: Die Kendo-Abteilung des TSV Straßberg, die er leitet, richtet Süddeutschlands diesjähriges "Keikokai" – die höchst unzulängliche Übersetzung lautet "Trainingstreffen" – aus, zu dem an die 60 Kendo-Kämpfer aus der ganzen Bundesrepublik und auch aus der Schweiz und Österreich angereist sind, dazu sieben "Sensei", japanische Meisterfechter, die den Tailfinger Lehrgang leiten.
Der achte Dan – ein kaum ersteigbarer Olymp
Vier von ihnen leben in Deutschland und beherrschen die Sprache; die anderen drei sind aus Tokio eingeflogen. Der prominenteste von ihnen, Professor Fumio Ueda, ist Träger des siebenten und vorletzten Dan – der achte, erklärt Ermel, Träger des ersten Dan, sei ein Mythos: Seine Träger kann man wahrscheinlich an den Fingern einer Hand abzählen; die abschließende Prüfung bestehen im Schnitt zwei bis drei Prozent der Prüflinge. "Europäer lassen es lieber gleich bleiben. Die Prüfung wird nur in Japan abgenommen, und fürs Durchfallen ist der Flug einfach zu teuer."
In Japan ist Kendo eine der beliebtesten und angesehensten Sportarten überhaupt, in Deutschland eher ein Exotensport. Umso bemerkenswerter ist es, dass ein kleiner Verein wie Straßberg eine Kendo-Abteilung besitzt und ein Keikokai ausrichtet – die kritische Größe beginnt erst bei Orten wie Rottweil. An diesem Nachmittag stehen in der Zollernalbhalle Übungen auf dem Programm; erst mit anderen Adepten als Gegner, später dann mit einem japanischen Sensei.
Zwischendurch rufen die Meister die Lehrgangsteilnehmer zum kurzen Briefing zusammen; dann werden die Helme abgenommen, und man kann erkennen, wer mit von der Partie ist: das gesamte Altersspektrum, verhältnismäßig viele Mädchen und Frauen – und nicht wenige Exil-Japaner, die teilweise von weit her abngereist sind. Auch Kinder im Grundschulalter sieht man; sie gehören zum gastgebenden Verein und machen eifrig mit. Im Zweifelsfall ist der Sensei aus Fernost eher bereit, sich von einer Siebenjährigen einen Kopftreffer verpassen zu lassen als von einem Mittdreißiger.
Die Schlussrunde hat begonnen. Apropos Treffer: Ähnlich wie beim Florettfechten sind die Trefferflächen genau definiert. Es gibt vier: Scheitel, Lende, Handgelenke und die Drosselgrube unterm Kehlkopf – der Rest zählt nicht. Der Schultertreffer von vorhin geht also in keine Wertung ein – und überhaupt sind es nicht die spektakulären Hiebe, die den Meister machen.
Der wahre Meister obsiegt durch Präsenz
Keine Frage, die ritualisierten Bewegungen müssen stimmen und die explosive Drohgebärde, die so sonderbar mit dem Stereotyp der japanischen Zurückhaltung kontrastiert, ebenfalls. Aber der wahre Könner offenbart sich durch seine Balance. Am Ende steht der Acht-Dan-Kendoka nur noch da und dominiert den Kampf durch bloße Präsenz. "Der Gegner mag den siebenten Dan haben – aber er ist trotzdem machtlos", sagt Christoph Ermel. "Er weiß, das sein Gegner die Mitte hält und auf jede Aktion eine Antwort hat. Und dass er weiß, dass der andere weiß."