Aus den Lofts in den alten Fabrikgebäuden ließe sich viel machen, meint Jan Of. Der Albstädter, der in Tailfingen aufgewachsen ist, hat auf Einladung des Schwarzwälder Boten seine Ideen für Tailfingen zu Papier gebracht. Foto: Eyrich

Tacheles in Tailfingen: Was jetzt zu tun ist – aus der Sicht eines Vorausdenkers mit Tailfinger Wurzeln. Gestalten ist auch eine Geisteshaltung.

Albstadt-Tailfingen - Es wird wieder Tacheles geredet – von einem, dessen Profession es ist, in die Zukunft zu denken: "Im Endeffekt ist es egal, ob man ein Auto oder eine Stadt gestaltet", sagt Jan Of, der sich für seine Doktorarbeit mit der Erfolgswirkung bestimmter Design-Faktoren beschäftigt. Auf Einladung des Schwarzwälder Boten hat er sich Gedanken über Tailfingen gemacht.

Albstadt als Dachmarke und die Stadtteile als einzelne Marken mit eigenem Kern – dieser Gedanke steht über dem Konzept, das Jan Of für Tailfingen erarbeitet hat. Der gebürtige Tailfinger weiß, wovon er spricht: Er hat Transportation-Design und Betriebswirtschaftslehre studiert, Automobile und Konsumgüter entworfen, Firmen beraten und Marketingstrategien entwickelt.

"Tailfingen sollte nicht mit Ebingen im Wettbewerb stehen, sondern ganz Albstadt mit Städten wie Reutlingen und Tübingen", sagt Of. "Die Stadtteile dürfen sich nicht gegenseitig kannibalisieren oder kopieren, und – was Letzteres angeht – Albstadt nicht andere Städte."

Mobilität der Zukunft hat nicht nur mit Fahren zu tun

Dass einem, der sich mit der Mobilität der Zukunft – ob nun Verkehr oder schnelles Internet als Ersatz für Fahrten – beschäftigt, die Talgangbahn einfällt, mag da auf den ersten Blick erstaunen. "Sie wäre eines der Mittel, um Menschen aus überbevölkerten Großstädten hierher zu bringen, wo es zum Teil wunderschöne, leer stehende Häuser gibt", betont Of, "ein Mittel, um den Wohnraum hier attraktiver zu machen." Allerdings: "Das darf nicht aus einer Romantik heraus passieren", sagt der Marketingexperte.

Keine Romantik? Damit meint er auch: Rückbau jener leer stehenden Fabriken, für die es keine Zukunft gibt – "auch, wenn es weh tut". Manche freilich ließen sich für jene kreativen Projekte nutzen, für die Of Tailfingen als ideales Pflaster sieht. "Wer sagt eigentlich, dass kreative Köpfe alle nach Berlin gehen müssen?" Dort und in New York hätten Künstler und Kreative übrigens heruntergewirtschaftete Viertel "nachhaltig wiederbelebt".

Doch wie finanzieren? Auch dazu hat Jan Of sich Gedanken gemacht, berichtet von Gemeinschaftsprojekten (siehe Stichwort), wie es sie in amerikanischen Städten gibt, wo sich viele zusammentun, um ihre Stadt von Brachen zu befreien und das herzurichten und sauber zu machen, was noch nutzbar ist. Immerhin seien manche Gebäude "architektonisch hochinteressant und wunderschön", und es sei "unverständlich, dass an Stadträndern weiter Flächen versiegelt werden, während Stadtkerne verkümmern".

Angesichts des Erfolgs besagter Gemeinschaftsaktionen bewertet Jan Of die Zahl der Teilnehmer in der Ideenwerkstatt Tailfingen als enttäuschend: "250 Rückmeldungen bei knapp 11 500 Einwohnern." Nicht nur er hätte sich mehr gewünscht.

Wie würde er bei der Umgestaltung des zweitgrößten Albstädter Stadtteils vorgehen? "Zuerst gilt es, den Ist-Zustand zu analysieren, und zwar aus möglichst vielen Perspektiven", sagt der 33-Jährige. "Das bedeutet auch: Zielgruppen definieren und deren Bedarfe ermitteln." Schließlich komme "Marketing" nicht von "Marke", sondern von "Market", englisch für "Markt". Ziele müssten "s.m.a.r.t." sein, erklärt Of. Wieder ein englisches Wort, das mit "klug" zu übersetzen ist. Dahinter verbürgen sich freilich deutsche Begriffe: "spezifisch, messbar, aktionsorientiert, realistisch und terminiert".

Der Erfolgsfaktor "Bauchgefühl" kann ganz wichtig sein

Der nächste Schritt: genau überlegen, wie man diese Ziele erreichen kann, Chancen-Risiken-Analysen machen. "Rahmenbedingungen ändern sich schließlich", sagt Of und verweist auf den Erfolgsfaktor Bauchgefühl: "Neben viel Erfahrung ist Intuition sehr wichtig." Er und seine Frau Lisa sind dieser Intuition gefolgt, haben in Truchtelfingen ein älteres Haus gekauft und freuen sich jedes Mal, "wenn wir am Haus arbeiten und jemand uns zuruft: ›Schön macht Ihr’s!‹".

Viele Freunde möchten wieder zurück – lieber heute als morgen

Aus seinem Bekanntenkreis könnte Of "spontan sieben oder acht Leute nennen, die lieber heute als morgen wieder hierher zurückkommen würden" und außerdem "ganz viele Leute, die gerne hier leben". Seine Schlussfolgerung: Es sei höchste Zeit, solche Leute herauszustellen, "und nicht die Unzufriedenen". Tolle Unternehmen, innovative und interessante Menschen, wunderbare Natur, Kultur, eine Hochschule und günstige Lebenshaltungskosten – das alles sei Grund genug, mit breiter Brust Selbstbewusstsein zu zeigen.

Jan Of weiß wohl, dass Tailfingen nicht nur Schokoladenseiten hat. "Die Spielhallendichte ist erschreckend", sagt er. Und wenn der AC-Kaufpark abgerissen werden sollte, hofft er, "dass dort nicht wieder etwas hingestellt wird, das man in 30 Jahren wieder abreißen muss". Für diese und andere Baustellen in seiner Heimatstadt wünscht sich Jan Of ein von allen Seiten durchdachtes Konzept aus einem Guss, kein Klein-Klein: "Gestalten ist auch eine Geisteshaltung", weiß der Zukunftsforscher, der den Markenkern Tailfingens für sich schon gefunden hat: "Innovation, Kreativität und günstiger Wohnraum – wie Willi Merkel es genannt hat: eine durchgrünte Stadt im Grünen".

(key). "Warum nicht ein Wettbewerb: Wer hat sein Haus am schönsten renoviert?", fragt Jan Of. "Das hätte eine Sogwirkung, andere würden nachziehen", ist er sicher und hält auch Gemeinschaftsaktionen für denkbar, bei denen Bürger und Firmen zusammenarbeiteten. Die Stadt könne Fassadenfarben oder Gerüste finanzieren und dadurch mithelfen. Auch im Putzen des Bachlaufs Am Markt, in der Pflege des Uhlandsgartens, im Abriss von Brachen und im Schaffen von Mini-Parks sieht der Albstädter Möglichkeiten für Zusammenarbeit vieler Bürger. Wichtig: "Tue Gutes und rede darüber" – positive Beispiele müssten auch entsprechend herausgestellt werden.