Petra Gerster und Christian Nürnberger entzaubern die Märchen der "Lügenpresse"-Kritiker.
Albstadt-Tailfingen - Vor vollem Thalia-Theater hat die Stadt Albstadt dem Publikum am Ende der Literaturtage einen Höhepunkt serviert: Petra Gerster und Christian Nürnberger gewährten mehr als nur Einblick in die Welt der Medien – und zeigten, warum ohne sie Demokratie nicht funktioniert.
"Ich habe Journalisten nie gemocht. Ich habe sie alle in meinen Büchern sterben lassen." Das Zitat von Krimi-Königin Agatha Christie sitzt – vor allem, wenn es aus dem Mund einer der bekanntesten und angesehensten Journalistinnen des Landes kommt. Petra Gerster kann viel über Medien berichten, tut es aber mit Hilfe des Blicks ihres Mannes Christian Nürnberger, der nicht nur selbst Journalist, sondern auch Theologe und Philosoph ist. Schon das ist ein Indiz dafür, dass ihr gemeinsames Buch "Die Meinungsmaschine. Wie Informationen gemacht werden – und wem wir noch glauben können" keine Selbstverteidigung ist.
Tatsächlich schafft es das Paar anhand bekannter und relevanter Beispiele, zu erklären, wie Medien funktionieren und warum guter Journalismus unverzichtbar ist für eine Demokratie, wie sie betonen. Im Thalia-Theater treffen sie auf ein interessiert lauschendes Publikum, das nach drei Wochen Literaturtage den letzten Höhepunkt nicht verpassen will. Ein bisschen gespielte Kabbelei unter Ehepartnern gibt’s gratis dazu.
Sie sprechen von Medien in der "Hungerkrise", deren Finanzierungsmodelle nicht mehr hinreichend funktionieren und die zudem von einem "Narrenschiff" gerammt worden seien. Die "Lügenpresse"-Vorwürfe von AfD, Pegida und Co. hätten freilich mehr mit der Erfindung des Internets zu tun als mit der realen Qualität der Presse, was manchen erst seit Donald Trump wieder klar werde.
Das weltweite Netz garantiert für Qualität
Angesichts des dicht gewebten, weltweiten Netzes von Journalisten und der Konkurrenz vieler unabhängiger und zuverlässiger Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Sender mit eigenen Korrespondenten vor Ort habe "die Lüge keine Chance – nicht einmal die absichtliche Falschmeldung". Das Zwei-Quellen-Prinzip "halten wir hoch", sagt die "heute"-Redakteurin und -Moderatorin. Aus den vielen Nachrichten – allein die Deutsche Presseagentur liefere täglich die Textmenge eines fünfbändigen Lexikons – müssten die Redaktionen freilich filtern – "eine wichtige Dienstleistung". Die Gefahr, subjektiv zu filtern, werde gebannt durch die Regeln.
"99 999 Flugzeuge sicher gelandet"
"Das Überraschende allein reicht nicht, es muss auch Relevanz haben", und relevant sei nicht nur, was viele betreffe, sondern auch, "was viele betreffen könnte oder viele betroffen macht". Zweck des Berichtens sei nicht die Abbildung der Welt, sondern die Dokumentation der Veränderungen. Deshalb seien Nachrichten oft negativ. Doch wer kaufe eine Zeitung mit der Nachricht "Schon wieder 99 999 Flugzeuge sicher gelandet"? Weil es Aufgabe der Medien sei, "das Negative aufzuspießen, ist das, was in der Zeitung steht, eben kein Abbild der Wirklichkeit", so Nürnberger.
Über die Nachrichtenkriterien und die Regeln herrsche Einigkeit, was zuweilen den Eindruck erwecke, "dass alle gleichgeschaltet sind", sagt Nürnberger, und seine Frau fährt fort: "Nicht einmal die US-Regierung kann diese Regeln außer Kraft setzen, denn die Regeln sind die Macht." Da seien die Mächtigen ziemlich ohnmächtig, denn "in der ganzen Medienmaschine ist kein Platz für einen Superdirigenten".
Journalisten in Demokratien unterschieden sich von ihren Kollegen in Diktaturen dadurch, "dass sie nichts zu verkünden haben, sondern mitzuteilen".
Sind Medien also stets objektiv? "Nein", stellt Gerster klar. "Unsere Neutralität verschwindet in dem Moment, in dem wir entscheiden, worüber wie berichten. Aber wir sind sehr um Objektivität und Seriosität bemüht" – und zwischen Journalist und Inhalt müsse stets eine Distanz bleiben, die Raum lasse für die eigene Meinung der Konsumenten.
Von Echo-Räumen und Filter-Blasen
Seit den Stern-Berichten über die angeblichen Hitler-Tagebücher sei kein seriöses Medium mehr einer skandalösen Lüge überführt worden, betont Nürnberger. Warum also sei gerade jetzt die Kritik an Medien so groß? "Wir meinen, das liegt an der Zuckerberg-Galaxis" in Zeiten der "Echo-Räume und Filter-Blasen" in den sozialen Medien, in Zeiten softwaregesteuerter Beiträge aus den Troll-Fabriken in Wladimir Putins Einflussbereich.
Gegen Kritik von einer Art fünften Gewalt im Netz sei nichts einzuwenden, stellt Nürnberger klar. Absurd sei es aber, jeden Fehler gleich als Beweis dafür zu nehmen, dass Medien gesteuert seien. An Beispielen wie der Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht lässt es das Paar nicht fehlen, weist aber auch darauf hin, dass die größte Falschmeldung zunächst von der Polizei gekommen sei: jene über eine friedliche Partynacht auf der Domplatte. Erst über die Lokalzeitungen seien die sexuellen Übergriffe bekannt geworden. Gut zu recherchieren, was dran sei, habe dann eben ein paar Tage gedauert.
Zum Schluss stellen Gerster und Nürnberger die Frage nacht Macht und Ohnmacht der Medien. Ja, sie seien die vierte Gewalt im Staate, sagt Gerster, "denn das, worüber Medien berichten, hat Folgen. Deshalb sind sie ein Machtfaktor". Dann schmunzelt sie und fügt hinzu: "Andererseits berichten wir immer wieder über den Berliner Flughafen – und er wird trotzdem nicht fertig."
P.S.: Dass die Heizung im Thalia-Theater am Freitag ausgefallen ist, gehört nicht in den Bereich der "Fake News", der absichtlichen Falschmeldungen. Das Team des Thalia-Theaters hatte sie bis Veranstaltungsbeginn aber wieder flott bekommen. Dafür ein bibberndes "Dankeschön" im beginnenden Winter.