Uraufführung: Komponist Mathias Rehfeldt und die Martinskantorei eröffnen ganz neue Klangwelten
Eine Uraufführung, eingebettet in ein außergewöhnliches Abendkonzert, war der Höhepunkt am ersten "Tag der Stimme" mit der Kantorei der Martinskirche Ebingen.
Albstadt-Ebingen. Epische Musik von solcher Wucht erklingt selbst in der Martinskirche, wo die Rensch-Orgel steht, selten: Mathias Rehfeldt, Organist und Komponist, hatte der Kantorei der Martinskirche zum ersten "Tag der Stimme" ein Werk gewidmet, das Chorgesang, Orgelmusik und Elektronik vereinte: "Der Gesang von Bruder Sonne" mit italienischen, lateinischen und deutschen Textpassagen nach Franziskus von Assisi. Es zu dirigieren, war für Kantor Steffen Mark Schwarz eine nicht alltägliche Herausforderung, erfordert das Stück doch exaktes Timing. Bis auf die taktgebende Triangel verschmolzen Elektronik, Orgel und Stimmen – auch Carla Thullners Sopransoli – zu einem einzigen gewaltigen Klangkörper. Dabei war der Gesang der Register – Sopran, Alt und die vereinten Männerstimmen – nur stellenweise synchron, in den meisten Passagen aber gegeneinander verschoben, was die epische Wirkung des Werkes noch unterstrich. Eine weitere Besonderheit: Rehfeldt hatte sein Stück mal im Vierer-, mal im Dreier-Takt komponiert und so viel Abwechslung in die Rhythmik gebracht.
Nicht weniger raumgreifend waren Rehfeldts Werke aus seinem Album "Dark Matter", bei denen er sein meisterhaftes Spiel auf der Rensch-Orgel effektvoll mit Elektronik kombinierte. Von meditativer Harmonie bis hin zum vertonten Asteroidenschauer öffnete der 32-Jährige seinem Publikum ganz neue Klangwelten in "Sternenfeld", "Elegie" und "Reise". "Elektronik kann im Raum noch eine höhere Dichte erzeugen", sagt der gebürtige Tübinger, der hauptsächlich Filmmusik komponiert. Sein Komponieren sei mit einem Puzzlespiel zu vergleichen, fügten sich doch abwechselnd Orgelklänge und Elektronik zusammen.
Zwischendurch besaßen aber auch die reinen Stimmen der Martinskantorei die volle Aufmerksamkeit, ob im "Cantate Domino" von Bruno Vlahek – wie Rehfeldt Jahrgang 1986 – oder den Psalmen, welche die Schola Cantorum unter der Leitung von Ute Leins vortrug: "Herr, mein Gott, ich traue auf dich" und "Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern".
Die Gäste, die entweder von den Emporen aus den Blick auf Orgel und Chor ruhen ließen oder sich unten in der Kirche der Akustik hingaben, erhoben sich am Ende zu lang anhaltendem Applaus, der die Begeisterung für das erfrischende Experiment widerspiegelte. "So etwas hat die Martinskirche noch nie gehört", kommentierte Zuhörer Walter Schwarz. Für den Chor, dessen Offenheit für Neues den Martinskantor stolz mache, sei es eine tolle Erfahrung gewesen. Mathias Rehfeldt war angetan von der Zusammenarbeit, die im Grunde erst bei der Probe am Vorabend eine gewesen war und rasche Abstimmung erforderte.
Dem Konzert war ein Workshop am Vormittag vorausgegangen, bei dem die Besucher eine Stimmbildungseinheit mit Carla Thullner und eine Probe der Martinskantorei nicht nur miterleben, sondern selbst daran teilnehmen und erfahren durften, warum ein gedachtes Theraband und gute Beweglichkeit in den Hüften beim Singen hilfreich sind. Auch für die Sängerinnen und Sänger selbst war neu, was Mathias Rehfeldt im Gespräch mit Steffen Mark Schwarz über seine Komposition verriet: Weil die Grundidee der Orgel einst dieselbe gewesen war wie die des Synthesizers, nämlich andere Instrumente zu imitieren, habe er dessen Weiterentwicklung, die elektronischen Elemente, mit der Orgel zusammengebracht. Der "Sonnengesang" sei seine erste Komposition mit Vokalelementen: "Normalerweise bin ich der einzelne Nerd an der Orgel, aber mit 40 Sängerinnen und Sängern entsteht eine ganz andere Energie", schwärmte er, selbst begeistert von der Umsetzung seines Werks, das mal im Dreier- und mal im Vierer-Takt daherkommt – ein Wechsel, der sich für Rehfeldt "richtig anfühlt", wie er sagt, zumal der Dreier-Takt "etwas Tänzerisches" habe.
Genauigkeit sei angesichts der elektronischen Elemente aus dem Computer oberstes Gebot, auch wenn diese exakte Rhythmus-Vorgabe dem Dirigenten die Spielräume beim Tempo nehme. "Der Dirigent tut ja noch viel mehr als das Tempo vorzugeben", so Rehfeldt. "Und wenn wir diese Klanglandschaften wollen, haben wir gar keine andere Chance, als das mit Elektronik zu machen."