Christian Schenk (rechts) moderiert die Lesung von Peter Stamm im Stauffenbergschloss. Foto: Dillmann Foto: Schwarzwälder Bote

Literaturtage: Peter Stamm las aus seinem Roman "Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt"

Albstadt-Lautlingen. "Ich denke, Menschen sind Geschichtenmaschinen, die in ihren Erklärversuchen Dinge zusammenbringen, die eigentlich gar nicht zusammengehören." Der Schweizer Autor Peter Stamm verarbeitet in seinen Werken gerne existenzielle menschliche Erfahrungen – auch in seinem Roman "Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt", aus dem er im Rahmen der Literaturtage Albstadt im Lautlinger Stauffenberg-Schloss vorlas.

Stamm ist gelernter Kaufmann; nach der Ausbildung hat er einige Semester lang studiert, unter anderem Psychologie, und sich zum guten Schluss ganz der Schriftstellerei verschrieben. Wieso? "Die Psychologie wurde irgendwann uninteressant für mich. Es ging immer nur um Verallgemeinerungen: Der hier ist ein Depressiver und dieser da ein Neurotiker." Dabei sei es viel spannender, einen Menschen persönlich kennenzulernen. "Genau das kann ich, wenn ich schreibe."

In seinem zweiten Roman "Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt" hat Peter Stamm vor allem zwei Menschen intensiv kennen gelernt – oder sind es vier? Stamm hat eine Schwäche dafür, Identitäten zu vertauschen und die Grenzen zwischen ihnen zu verwischen – ebenso wie die zwischen den Zeitebenen, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Erinnerung. Sind Christoph und Chris, Magdalena und Lena Doppel- oder Wiedergänger, sind sie eigenständige Personen oder bloße Reflexionen in einem literarischen Spiegelkabinett? Stamm inszeniert, ähnlich wie in seinem Debütroman "Agnes", auch in "Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt" ein literarisches Verwirrspiel, eine Geschichte in der Geschichte, die ihrerseits weitere Texte "aufsaugt", beispielsweise Tagebucheinträge. Die Zeitebenen wechseln unablässig; immer wieder wird die Gegenwart durch Rückblenden unterbrochen, bis irgendwann die Lena der Gegenwart und die Magdalena der Erinnerung in ein und demselben Pronomen "sie" verschmelzen.

"Ich war vom ersten Satz an gefangen von dem Roman", bekannte eine Leserin in der Fragerunde im Anschluss. "Aber den Inhalt fand ich verwirrend. Jetzt, nach der Lesung, kann ich aber aufhören zu grübeln und die Geschichte einfach genießen." Peter Stamm nahm sich in seiner Lesung eher hinter seinem Text zurück und stellte diesen in den Vordergrund. Er suchte, während er las, keinen Blickkontakt zum Publikum und legte stattdessen seine ganze Präsenz in seine sanfte Stimme. Moderiert wurde der Abend von Christian Schenk, dem Rektor des Gymnasiums, der nach einigen biografischen Anmerkungen von seiner eigenen ersten Begegnung mit Stamm bei einer Lesung im Gymnasium Riedlingen berichtete: Ihm sei damals sogleich die "bescheiden freundlich reflektierte Art" des Autors aufgefallen.

Peter Stamm zählt zu den Schriftstellern, der gerne über das Schreiben schreiben. "Das hat mit dem Zeitgeist zu tun. Künstler reflektieren heutzutage über ihre Kunst. Wir erzählen nicht einfach nur Geschichten – das tun inzwischen die Filme – , sondern fragen: Was tut man, indem man Geschichten erfindet?" Zu den Parallelen zwischen "Agnes" und der "sanften Gleichgültigkeit" bemerkt er: "Es gibt auch einen Unterschied: Ich wollte, dass dieses Mal die Frau gewinnt. In ›Agnes‹ gewinnt schließlich der Mann."