Fotos: Conzelmann Foto: Schwarzwälder Bote

Karl-Hermann Blickle spricht über die Shoa

Mit Karl-Hermann Blickle hat ein weithin geschätzter "Wanderer zwischen den Religionen" in der Technologiewerkstatt in Tailfingen über die Shoa-Erinnerung, den interreligiösen Dialog und die Lehren für die heutige Zeit gesprochen.

Albstadt-Tailfingen. Karl-Hermann Blickle ist Mitbegründer der Stiftung Stuttgarter Lehrhaus. Die 2010 begründete Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, den interreligiösen Dialog zwischen den monotheistischen Religionen zu fördern.

"Als Aufklärer ist Blickle unterwegs, und ihm zuzuhören, ist ein Erlebnis". So bezeichnete es jedenfalls Hochschulrektorin Ingeborg Mühldorfer. Die Hochschule Albstadt-Sigmaringen war gemeinsam mit der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Ebingen Veranstalter des Vortragsabends anlässlich des Gedenkens der Pogrome vor 80 Jahren. Besonders beeindruckt zeigte sich die Rektorin über die Präzision und Beharrlichkeit, mit der Blickle den Dingen auf den Grund gehe. "Dies schließt jedes Denken von Vorurteilen aus", meinte Mühldorfer in ihrer Dankesrede.

Die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, gemeinhin auch "Reichskristallnacht" genannt, gilt als Beginn der Shoa. Das hebräische Wort "Shoa" bedeutet Katastrophe oder auch Zerstörung.

In Deutschland ist laut Blickle der Begriff Holocaust geläufiger, jedoch sei diese Bezeichnung in der jüdischen Welt umstritten. Zu sehr werde er religiös mit einem Opfer gleichgestellt, Shoa dagegen bezeichne das Unheil aus der Perspektive des jüdischen Volkes selbst.

Vor aller Augen, teils auch unter Beifall der Bevölkerung – und offizieller Kirchenvertreter – hätten 1938 zunächst Synagogen und jüdische Geschäfte gebrannt. Unter dem Deckmantel des Zweiten Weltkriegs habe auch die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung selbst begonnen.

Karl-Hermann Blickle zeigte zunächst die Historie der Erinnerungskultur an die Shoa auf, wodurch erst ab den 1970er-Jahren ein neues Verhältnis zwischen Juden und Christen entstehen konnte. Vom Nebeneinander der Religionen müsse man heute zum Dialog, ja gemeinsam mit den Muslimen zum Trialog kommen. Dass dies keine Aufgabe der eigenen Glaubensüberzeugungen nach sich ziehen muss, zeigte Blickle anhand eines Gemäldes von Mina Gampel. Auf der ersten Hälfte des Doppelgemäldes hat Mina Gampel die Schrecken des Gettos dargestellt, dessen Konsequenz nur die Bereitschaft zur Einheit in Vielfalt sein könne. Rabbi, Pfarrer und Imam halten daher gemeinsam die Erdkugel in der Hand, ohne den Ausverkauf des eigenen Glaubens befürchten zu müssen.

Die Künstlerin, 1940 in einem kleinen jüdischen "Schtetl" in Polen geboren, war extra für diesen Abend aus Stuttgart angereist. "Solange es solche Vertreter des Dialogs gibt, wie es Karl-Hermann Blickle einer ist, habe ich noch Hoffnung", sagte Mina Gampel tief berührt und wies auf die nicht einfachen Zeiten in Deutschland, Europa und der Welt hin.

Von einem nicht zu leugnenden importierten Antisemitismus sprach auch Blickle, blieb aber nicht bei der puren Bestandsaufnahme stehen. Von kleinen, aber wirkungsvollen Aktionen berichtete er, von Führungen durch eine Synagoge in türkischer Sprache, vom Zusammenbringen von Juden und Muslimen.

Nicht nur die Gefahren seien zu sehen, sondern durch Begegnungen ergäben sich neue Chancen. Ethische Gemeinsamkeiten würden viel mehr zählen als die Unterschiede.

Lobend äußerte sich der Referent auch über die deutsche Politik, welche die Sicherheit und Zukunft Israels als Staatsräson bezeichne. Auch mit dem Umgang der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 sei Bundeskanzlerin Angela Merkel durch ihren "humanitären Imperativ" der historischen Verantwortung Deutschlands gerecht geworden.