Dorothee Hummel-Wagner (von links), Linda Jost, Liz Hengsteler, Stephan Rossmann, Felicitas Erath, Marina Baum und Anni Baumann diskutierten über die Gesundheitsbedingungen in der Maschenindustrie früher und heute. Foto: Raab Foto: Schwarzwälder Bote

Impulse: Bei Podiumsdiskussion wird die Gesundheit in der Textilindustrie damals und heute beleuchtet

"Gschafft hend mr ällweil" lautete das jüngste Thema der Veranstaltungsreihe "Impulse – Gesunde Stadt Albstadt". Unter die Lupe genommen wurden Frauen und Gesundheit in der Maschenindustrie.

Albstadt-Tailfingen. Wenn sich gerade bei einem so femininen Thema Dorothee Hummel-Wagner als "Impulse"-Verantwortliche, Dorothea Reuter vom Stadtarchiv und Susanne Göbel als Leiterin des Maschenmuseums drei kompetente Frauen zusammen tun, kann dabei nur ein qualitativ hochwertiges Ergebnis herauskommen. Und so war es dann auch: Der Besucherandrang war so hoch, dass zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden mussten. In ganz Albstadt gab es für diese Veranstaltung keinen passenderen Ort als das Maschenmuseum.

Das Programm gestalteten die Hausherrin und Dorothea Reuter: Die eine las aus einem Buch Niederschriften und Interviews von Textilarbeiterinnen vor, die andere zeigte Filmmaterial, das die Arbeitsbelastungen im Textilbereich in verschiedenen Phasen des vergangenen Jahrhunderts zeigten. Der Albstädter Raum war damals Zentrum der Maschenindustrie; viele Frauen waren als Näherinnen beschäftigt. Zwar gab es auf der Alb vor 100 Jahren eine der höchsten Frauenerwerbsquoten in Deutschland, gleichzeitig wurde ihre Arbeit bemerkenswert niedrig belohnt.

Filmsequenzen zeigten die Welt der Näherinnen in den 1930er-Jahren bei der Firma Martin Amann: Dicht gedrängt saßen die Arbeiterinnen bei ohrenbetäubendem Lärm in der Halle und nähten im Akkord. Nur wenig angenehmer gestaltete sich die Arbeit um 1968 in der Spulerei der Firma Pfeilring Schwebstoffen; kein Honigschlecken war auch die Arbeit an den Packtischen.

In den von Susanne Göbel vorgetragen Textauszügen kamen Frauen zu Wort, die neben einer hohen Arbeitsbelastung auch den Haushalt und ihre Familie versorgen mussten. Eine damals 46-jährige Frau erzählte in einem Interview 1985, von ihrer Anfangszeit als Näherin 1935. Ihr Augenlicht wurde immer schlechter und natürlich musste sie den Lohn zu Hause abgeben.

Neun Stunden Fabrikarbeit und dann noch Haushalt

Eine andere Frau erzählte, dass sie jeden Tag neun Stunden Fabrikarbeit leistete und dann nochmals fünf Stunden Hausarbeit. An Wochenende sei damals nicht zu denken gewesen. Vielleicht blieben am Sonntag mal zwei bis drei Stunden Erholung. Manch Frau habe damals von einer Ausbildung geträumt, doch als zukünftige Ehefrau und Mutter wurde eine solche meist als unnötig erachtet.

Bei der andauernden enormen Belastung blieben Krankheiten nicht aus: Rücken und Halswirbelprobleme sowie Lungen- und Kreislaufbeschwerden waren vorprogrammiert. Von psychischen Schäden sprach damals niemand, doch ist anzunehmen, dass viele auch darunter litten. Man habe damals nicht gejammert, sondern halt "ällweil gschafft".

Dies bestätigte auch Anni Baumann, die als Zeitzeugin mit auf dem Podium im Gespräch mit Dorothee Hummel-Wagner von ihrer Zeit als Näherin erzählte. Sie betonte, es habe im Nähsaal auch schöne Momente gegeben, etwa beim gemeinsamen Singen während der Arbeit, doch sei es schwierig gewesen, die schwere Arbeit in der Fabrik mit dem Haushalt unter einen Hut zu bringen. Mit auf dem Podium saß auch Liz Hengsteler, Auszubildende bei der Firma Mey und erst kürzlich zur besten Modenäherin in Baden-Württemberg gekürt. Mit einem Opa als Schneidermeister und beiden Eltern in der Textilbranche tätig, war es für sie keine Frage, in deren Fußstapfen zu treten. Trotz der enorm verbesserten Arbeitsbedingungen sei der Beruf der Näherin immer noch harte Arbeit. Dies bestätigte auch Linda Mey, ebenfalls Auszubildende bei Mey. Dennoch liebt sie ihren Beruf über alles. Auch die Hochschule Albstadt-Sigmaringen war vertreten. Felicitas Erath tauchte ihr Studium der Philosophie und Geschichte gegen Textil- und Bekleidungstechnologie an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen. Nach ihrem Studium möchte sie sich besonders für die Nachhaltigkeit in der Textilindustrie engagieren.

Arbeitsbedingungen haben sich massiv verbessert

Auf diesen Aspekt legt auch Professorin Marina Baum Wert. Denn die Arbeitsbedingungen hätten sich massiv gebessert: die Arbeitsplätze seien sicherer geworden und es werden neueste ergonomische Erkenntnisse umgesetzt. Die Maschinen seien besser und effektiver geworden; derzeit arbeite man an der Vernetzung derselben. Sicherlich seien biologisch einwandfreie Rohstoffe in der Textilbranche wichtig, doch Baum gab zu bedenken, dass die Rohstoffe nur ein kleiner Teil des Prozesses seien bis ein Kleidungsstück getragen werden kann. Was nütze beispielsweise eine biologisch einwandfreie Baumwolle, wenn die Färbemittel giftig sind und das Kleidungsstück tausende Kilometer unterwegs ist? Als einziger Mann in der Runde beleuchtete der Kardiologe Stephan Rossmann die gesundheitlichen Probleme in der Textilindustrie von damals. Bedauerlicherweise gäbe es trotz immenser Fortschritte in der Ausstattung der Arbeitsplätze immer noch verstärkt Probleme im Schulter- und Halswirbelbereich bei den "Textilerinnen".

Auch Lungenkrankheiten durch umherfliegende Flusen werden immer wieder festgestellt. Insgesamt gelte hier wie für alle Teile der Bevölkerung: Sport und Bewegung an der frischen Luft. Wichtig vor allem sei, auch mal innezuhalten, sich auszuruhen anstatt sich selbst bei gestiegener freien Zeit Freizeitstress aufzubauen.

Woher es komme, dass es gerade im Zollernalbkreis die höchste Zahl an Erkrankten mit Herz- Kreislaufbeschwerden in ganz Baden-Württemberg gebe? Vielleicht an der Mentalität des "Schaffe-schaffe-Häuslebauens?"