Deswegen hatte der Mann, der im Zollernalbkreis lebt und als Notfallsanitäter in einem Nachbarlandkreis arbeitet, selbst entworfene und vorformulierte Patientenverfügungen dabei: Unterschreiben sollten die "Lichtspaziergänger", dass im Fall einer Covid-19-Erkrankung der Rettungsdienst nicht gerufen werden, und alle lebenserhaltenden Maßnahmen unterlassen werden sollen. Und auch dies: "Ich möchte stattdessen zu Hause, in vertrauter Umgebung, im Beisein meiner Angehörigen meiner Atemnot erliegen."
Bei den Teilnehmern der Versammlung kam diese Aktion gar nicht gut an. Keiner der von dem Notfallsanitäter Angesprochenen wollte die Verfügung unterschreiben. Stattdessen sei er, berichtet der 51-Jährige, in Diskussionen verwickelt worden. Etwa zur frage, ob er überhaupt wisse, was ein Virus sei. Oder dass die Krankenkassenbeiträge in Deutschland viel zu hoch seien. Nach kurzer Zeit trat ein Ordner auf den Plan und sprach gegen den Notfallsanitäter einen Platzverweis aus.
Deutlich mehr Teilnehmer müssen an Maskenpflicht erinnert werden
In den Reden ging es, wie üblich beim "Lichtspaziergang", wieder um Corona-Maßnahmen, die nach Meinung der Teilnehmer völlig überzogen sind. Die überwiegende Mehrheit der Menschen im Land leide unter Einschränkungen und harten wirtschaftlichen Folgen. Allerdings gefährde das Virus tatsächlich nur einen kleinen Teil der Bevölkerung – vor allem Ältere: Das Durchschnittsalter der Menschen, die bisher in Deutschland an oder mit Corona verstorben seien, liege bei etwas über 80 Jahren. Die meisten Intensivbetten seien zudem aktuell nicht belegt. Mit Blick auf die politischen Entscheider hieß es, diese sollten den Willen der Menschen im Land respektieren; sie seien schließlich die Angestellten der Deutschen. Darauf erklangen laute "Wir sind das Volk!"-Rufe.
Nach Angaben der Polizei liefen rund 300 Teilnehmer beim "Lichtspaziergang" am Montagabend mit. Zwei davon wurden wegen Verstößen gegen die Maskenpflicht Platzverweise erteilt. Die Beamten hätten zudem "deutlich mehr Teilnehmer" als zuletzt an die Auflagen erinnern müssen.
Am Ende der Versammlung wies die Polizei darauf hin, dass der "Lichtspaziergang" als Versammlung zwar grundgesetzlich geschützt sei, jedoch nach der neuesten Corona-Regelung bis 20 Uhr beendet sein müsse, ehe die abendliche Ausgangsbeschränkung in Kraft tritt.
Kommentar: Zynisch
Von Steffen Maier
Man kann es nur immer wieder wiederholen: Was beim Balinger "Lichtspaziergang" aus den Lautsprechern schallt, ist an Zynismus teilweise nicht zu überbieten. Natürlich ist der Lockdown eine Zumutung, diese Meinung hat die Versammlung auf dem Marktplatz gewiss nicht exklusiv. Aber Aussagen wie die, dass an Corona vor allem ältere Menschen sterben: Soll das bedeuten, dass man darauf keine Rücksicht nehmen braucht, weil sie ohnehin demnächst gestorben wären? Dass noch viele Intensivbetten frei sind: Heißt das im Umkehrschluss, dass man das Virus so lange nicht ernst nehmen soll, bis die Krankenhäuser völlig überlastet sind? Wahrscheinlich würde vielen "Lichtspaziergängern" ein – leider nicht möglicher – Besuch auf der Corona-Station des Zollernalb-Klinikums gut tun. Dann ginge ihnen vielleicht ein Licht auf. Die Zahl der Covid-Patienten im Zollernalbkreis ist in den vergangenen Tagen wieder gestiegen. Jeder Infizierte, jeder Erkrankte ist einer zuviel. Und jeder Tote sowieso.
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