Foto-Reporterin Anja Niedringhaus Foto: AP Photo/Anja Niedringhaus/DPA

Menschen, wie sie leiden, aber auch hoffen, hielt Anja Niedringhaus auf ihren Fotos aus Krisengebieten fest. Jetzt wurde sie bei der Wahlberichterstattung am Hindukusch getötet.

Stuttgart/Kabul - Die ansonsten hartgesottenen Journalisten und die Führungsriege bei der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press (AP) reagierten mit Trauer und großer Anteilnahme auf die Nachricht vom Tod der deutschen Ausnahme-Fotoreporterin Anja Niedringhaus. „Sie war eine lebhafte, dynamische Journalistin, die wir alle wegen ihrer einfühlsamen Aufnahmen, ihrer Warmherzigkeit und ihrer Liebe zum Leben sehr mochten“, würdigte AP-Chefredakteurin Kathleen Carroll in New York die Getötete. AP-Präsident Gary Pruitt beschrieb sie in einer Botschaft an die Mitarbeiter als „geistreich, kühn und furchtlos – und mit einem rauen Lachen, das wir niemals vergessen werden“.

Zuvor hatte die Agentur selbst gemeldet, dass ein afghanischer Polizist am Freitag im Osten des Landes das Feuer auf Niedringhaus und deren Kollegin Kathy Gannon eröffnet. Beide Frauen arbeiteten für AP. Die 48-jährige Deutsche sei sofort tot gewesen. Ihre 60 Jahre alte kanadische Kollegin habe zwei Schussverletzungen erlitten, ihr Zustand sei stabil. Die Journalistinnen hätten Wahlhelfer in der Provinz Chost nahe der pakistanischen Grenze begleitet. Die Sicherheitslage dort ist sehr instabil. Die Taliban überziehen das ganze Land seit Monaten mit Anschlägen, um die Wahl an diesem Samstag zu torpedieren.

Ein freier Mitarbeiter von AP Television berichtete, ein Polizist sei auf das Auto der Journalistinnen zugekommen und habe mit den Worten „Allahu Akbar“ (Gott ist groß) das Feuer auf die Reporterinnen auf dem Rücksitz eröffnet. Danach ließ sich der Mann widerstandslos festnehmen. Nach Angaben eines Polizeisprechers handelt es sich bei dem Schützen um den Kommandeur eines Checkpoints. Die deutsche Botschaft in Kabul bemühe sich „mit Nachdruck um Aufklärung“, teilte das Auswärtige Amt in Berlin mit.

Die Foto-Reporterin Anja Niedringhaus, deren Fotos seit Jahren weltweit auf den Titelseiten der Zeitungen erschienen, arbeitete seit 2002 für AP. Vor allem fotografierte sie Kriegsszenen auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Afghanistan und Pakistan.

Dabei wollte sie „Kriegsfotografin“ gar nie sein, gab sie vor kurzem auf dem Kurznachrichtendienst Twitter preis. „Mich interessieren mehr die Menschen im Hinterland“, sagte sie 2005 dem Magazin „Der Spiegel“. Aber auch dort ließ die 48-Jährige, die in Genf lebte, dem Klischee keine Chance. „Jeder glaubt, dass man im Krieg dauernd nur Blut sieht“, sagte sie. „Dabei sieht man auch ganz viel Hoffnung.“

Sie meinte Menschen, die jeden Tag ums Überleben kämpfen, die trotzdem lachen können, auch wenn es Bomben hagelt. Niedringhaus’ Aufnahmen berühren den Betrachter. Die Spuren des Krieges spiegeln sich in den Gesichtern der Überlebenden, die Erschöpfung, die Verzweiflung, aber eben auch die Freude. Früher, erzählte sie einmal, habe sie gedacht, mit einem Foto den Krieg stoppen zu können. „Jetzt bin ich 20 Jahre weiter, habe keinen stoppen können. Aber es ist unsere Aufgabe zu zeigen, was passiert.“ Und die Frau erfuhr bei ihren Einsätzen in diesem eigentlich harten Männermilieu auch jede Menge Gemeinschaft. „Ich habe dort meine besten Freunde gefunden.“

Sie wusste auch, dass sie gefährlich lebte, gerade in Afghanistan. Dort begleitete sie im Herbst 2010 Soldaten auf Patrouille, schoss Fotos von Lehmhäusern, als eine Bombe explodiert. Ihr Foto davon zeigt Hühner, die vom Attentäter aufgescheucht über den Helmen der Soldaten flattern. In der Hüfte von Anja Niedringhaus steckten danach sechs Granatsplitter. Sie wurde ausgeflogen und operiert. Aber kaum war sie wieder gesund, kehrte sie zurück in den Krieg.

Bei einem ihrer berühmtesten Fotos half ihr der Zufall: Im November 2003 überredete sie ein paar Kollegen in Bagdad zu einer Erntedankfeier mit US-Soldaten. Sie wollte einfach mal etwas anderes essen als nur Kebab. Am Rande der Halle sah sie einen riesigen gebratenen Truthahn auf dem Tablett liegen. Instinktiv brachte sie sich neben dem Geflügel in Position. Als plötzlich George W. Bush auftauchte und nach dem Tablett griff, drückte Niedringhaus auf den Auslöser. Das Bild brachte ihr weltweiten Ruhm.

Ihre ersten Aufträge erhielt die 1965 im westfälischen Höxter geborene Fotografin schon mit 17 in der Schule. So sollte sie für die Lokalredaktion der „Neuen Westfälischen Zeitung“ anlässlich des 40-Jahr-Dienstjubiläums eines städtischen Angestellten von Höxter nach Bad Driburg fahren. Dabei besaß sie noch gar keinen Führerschein. Vor lauter Aufregung vergaß sie das Blitzlicht. „Da hab’ ich den Mann halt ans Fenster gestellt“, erzählte sie der „Welt am Sonntag“. Das Foto gefalle ihr immer noch, fügte sie augenzwinkernd hinzu.

Vielleicht war es die große Neugier auf die weite Welt, die sie schon als Kind umtrieb und die sie der Berufung Journalismus in die Arme trieb. Während des Studiums in Göttingen – sie wollte eigentlich Lehrerin werden – blieb sie freiberuflich fürs „Göttinger Tagblatt“ aktiv. Dann ging es Schlag auf Schlag. Ihre Fotos vom Mauerfall brachten ihr einen Posten bei der Europäischen Pressefotoagentur (EPA) ein, für die sie in den 90er Jahren über die Jugoslawien-Kriege berichtete. Mit ihren Bildern vom Irak-Krieg wurde sie als erste deutsche Fotografin zusammen mit anderen AP-Kollegen 2005 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung für Journalisten. Darüber freute sie sich natürlich. Doch der Preis machte sie nicht zur Primadonna. „Ich werde auch weiterhin alles machen“, sagte sie ganz und gar uneitel. Jahrelang fotografierte sie auch beim Tennisturnier in Wimbledon.

Eines Tages klopfte der Schweizer Kunsthistoriker Jean-Christophe Ammann bei Niedringhaus an. Er wollte eine Ausstellung mit ihren Fotos machen. „Ich verstehe meine Bilder nicht als Kunst“, meinte sie. Ammann zeigte ihr Zeitungsausrisse mit Fotos, die nur das Agenturkürzel trugen. „Da musste ich lachen, die waren von mir“, erzählte die Fotografin später. Der Mann hatte den unverwechselbaren Blick, das Kontinuierliche und Bleibende an den Fotos dieser von Krise zu Krise ziehenden Frau erkannt.