Kämpfer der Taliban stehen am Montag mit einem erbeuteten Humvee-Jeep afghanischer Sicherheitskräfte vor dem Flughafen der Hauptstadt Kabul. Foto: dpa

Die Taliban sind trotz ihrer erbeuteten Ausrüstung nicht mit Nato-Armeen vergleichbar. Ihre Führer sind islamische Geistliche, und die Organisation ist tief verstrickt in der weltweiten Kriminalität. Wichtige Fragen und Antworten zu den neuen Herrschern in Afghanistan.

Kabul - In Afghanistan haben die radikal-islamischen Taliban die Macht übernommen. Wer sind sie, wie sind sie organisiert, wer führt sie an?

Wer sind die Taliban, und wie stark sind sie heute?

Militärisch traten die Taliban erstmals während des Bürgerkrieges im Herbst 1994 im Süden Afghanistans bei Kämpfen um die Stadt Kandahar in Erscheinung. Ihren Ursprung hatte die Bewegung in Koranschulen, die in Pakistan für afghanische Flüchtlinge eingerichtet worden waren. Von Kandahar aus besetzten sie schnell große Teile des Landes und der Hauptstadt Kabul, wo sie 1996 das Islamische Emirat Afghanistan ausriefen.

Die Taliban folgen der in Indien beheimateten, radikal-islamischen Denkschule der Deobandis, die eine „Reinigung des Glaubens“ und weltliche Einflüsse auf das Leben weitestgehend verneinen und ablehnen.

Jeder zweite Taliban stammt heute aus dem Ausland. Der kanadische Historiker Sean Maloney spricht von „fanatisierten Glaubenskriegern, die einem Ur-Islam aus dem 7. Jahrhundert hier und heute neues Leben einhauchen wollen“ – die „Taliban 2.0“. Im Januar 2021 warnten Experten die britische Regierung in einer öffentlichen Anhörung, die Taliban hätten in Afghanistan „Parallele Machtstrukturen aufgebaut, untergraben den minimalen Einfluss der Regierung in Kabul und bereiten sich auf die Übernahme der Macht vor, wenn die alliierten Truppen aus dem Land sind“.

Wer führt die Taliban heute an?

Angeführt werden die etwa 70 000 Kämpfer der Taliban und ungezählte Anhänger vom „Befehlshaber der Gläubigen“, von Mawlawi Haibutullah Akhundzada. Der wahrscheinlich 60 Jahre alte Paschtune wurde von seinem Vater zum muslimischen Geistlichen ausgebildet. In den 80er Jahren kämpfte er gegen die sowjetischen Besatzungstruppen. Nach deren Rückzug unterrichtete er in einer Koranschule in Kandahar mehr als 100 000 Schüler. Zusammen mit dem in einem US-Drohnenangriff getöteten Mullah Omar und Mullah Abdul Ghani Baradar gehört Akhundzada zu den Gründungsvätern der Taliban und gilt als designiertes Staatsoberhaupt des Kalifats Afghanistan.

Baradar soll 1968 geboren worden sein. Er ist einer von vier Stellvertretern Akhundzadas. Wie dieser kämpfte auch Baradar gegen die Sowjets. Zusammen mit Mullah Omar leitete er eine Koranschule in Kandahar. US-Geheimdienste wollen in ihm den führenden Strategen der Taliban erkennen.

Zu Akhundzadas Stellvertretern gehört auch Siradshuddin Haqqani, Anführer des kriminell-terroristischen Haqqani-Netzwerks mit engsten Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst. Die Truppen des Netzwerks gelten als die Elite-Verbände der Taliban.

Sind die Taliban mit ihren vielen erbeuteten Waffen jetzt so gut wie eine Nato-Armee ausgerüstet?

In den vergangenen Wochen ist den Taliban-Kämpfern umfangreiche Ausrüstung afghanischer Sicherheitskräfte in die Hände gefallen. Aber: Die seit 2001 der Armee und Polizei übergebene westliche Ausrüstung wie auch die damals im Land schon verwendete, sowjetische Ausrüstung ist veraltet. So befanden sich etwa 450 Schützenpanzer in den Depots der Streitkräfte, die zwischen 1966 und 1980 gebaut wurden. Gleiches gilt für die erbeutete Ausrüstung der afghanischen Luftwaffe.

Selbst wenn man einen Konflikt mit den Nachbarstaaten konstruieren würde, sind die Armeen Pakistans, des Iran, Turkmenistans, Usbekistans und Tadschikistans der Ausrüstung der Taliban deutlich überlegen. Allerdings haben die Taliban vor allem durch die erbeuteten US-Humvee-Jeeps deutlich an Mobilität gewonnen. Das dürfte künftig die Bevölkerung Afghanistan blutig zu spüren bekommen.

Was erwartet die Zivilbevölkerung Afghanistans nach der Machtübernahme?

Das tägliche Leben der Menschen wird sich im Vergleich zu den vergangenen 20 Jahren radikal verändern. Wie bereits vor 2001 werden Frauen weitgehend aus dem öffentlichen Leben verschwinden, Zugang zur Bildung wird ihnen offiziell verwehrt werden. Männer werden sich den strengen Religionsregeln der Taliban bedingungslos unterwerfen müssen. Öffentlich vollstreckte Strafen wie Steinigungen, Abschlagen von Händen und Köpfen sowie Auspeitschen werden wieder Einzug in den Alltag halten.

Allerdings: Vor dem Einmarsch der internationalen Truppen 2001 gab es auch private Schulen, die Mädchen – mit wegschauender Zustimmung der Taliban – besuchen konnten. Zum Facettenreichtum der Taliban gehört auch, dass gegen Bestechungsgelder und abgeschottet von der Öffentlichkeit vieles möglich war und wieder sein wird.

Wie finanzieren sich die Taliban?

Vor allem über den Anbau von und den Handel mit Opium und Heroin. 90 Prozent des weltweit vertriebenen Heroins stammen aus Afghanistan. Kriminalisten schätzen, dass so etwa 1,4 Milliarden Dollar jährlich in die Kassen der Taliban fließen. Daneben spenden weltweit Anhänger der Ideologie, aber auch Staaten wie Kuwait, Katar und Saudi-Arabien regelmäßig.