Im Netz: die AfD-Größen Beatrix von Storch und Alexander Gauland Foto: AFP

Von muslimischen Männerhorden und anderer Hetze: Die Meinungsfreiheit droht zwischen die Fronten zu geraten, kommentiert unser stellvertretender Chefredakteur Wolfgang Molitor.

Stuttgart - Drunter tut es einer wie Alexander Gauland nicht. Nichts weniger als das Ende der Meinungsfreiheit ruft der AfD-Fraktionsvorsitzende aus, nachdem Twitter-Kommentare seiner parlamentarischen Mitanheizerinnen Beatrix von Storch und Alice Weidel zu einem Tweet der Kölner Polizei in arabischer Sprache gelöscht oder gesperrt worden waren, weil ihr Inhalt den Verdacht der Volksverhetzung geradezu provozieren. Ausgerechnet jene Partei, die mit Wonne den Anschein erweckt, die Pressefreiheit für verzichtbar zu halten, gefällt sich wieder in ihre Paraderolle: die des Opfers. Und das macht sie so gekonnt wie routiniert.

Schon an Silvester 2016 hatte die Kölner Polizei Neujahrsgrüße unter anderem in Arabisch übermittelt, so wie sie zu jeder Großveranstaltung wie Fußballspiele, Konzerte und Demonstrationen in mehreren Sprachen twittert. Für Weidel ist das Grund genug, den Behörden verallgemeinernd eine Unterwerfung vor „importierten, marodierenden, grapschenden, prügelnden, Messer stechenden Migrantenmobs“ vorzuwerfen, was von Storch durch den Hinweis auf „gruppenvergewaltigende Männerhorden“ untermauert. Dass der Bundesvorsitzende der „Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen“-Partei, Jörg Meuthen, das zwar eine „sehr kräftige Sprache“, aber beileibe keinen Hasspost nennt, überrascht ebenso wenig wie die Attacke Gaulands, in der er auf die Minute pünktlich zur Einführung des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes von einem freiheitsbeschneidenden Zensurgesetz spricht. Das neue Gesetz verpflichtet Plattformbetreiber, von Nutzern gemeldete Beiträge mit offensichtlich rechtswidrigem Inhalt binnen 24 Stunden, in nicht eindeutigen Fällen innerhalb einer Woche zu löschen.

Wer bestimmt, ob Meinung ohne Urteil unterdrückt werden darf?

Andere, auch das nicht verwunderlich, sehen in Weidel und von Storch Tweets einen Nachweis der Volksverhetzung, weil sie den öffentlichen Frieden stört, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft, die Menschenwürde anderer angreift oder zu Gewalt, beziehungsweise Willkürtaten aufstachelt. Und das kann nach Paragraf 130 Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren nach sich ziehen. Meinungsäußerungsfreiheit nach Grundgesetzartikel 5, Absatz 1, Satz 1 hin oder her. Noch prüfen Staatsanwälte, ob ein Anfangsverdacht vorliegt, dem dann erst Ermittlungsverfahren folgen würden.

Wer aber bestimmt, ob Meinung ohne Gerichtsurteil unterdrückt werden darf? Die Digitalisierung wirft neue Fragen auf, weil durch soziale Netzwerke für viele Nutzer neue Realitäten entstehen. So empörend die Auswürfe der falschen Freunde sind: Weidel, Gauland und von Storch stellen mit ihren vergifteten Worten zu Recht strittige Fragen. Kann Rechtsdurchsetzung an Netzwerke übergeben, also privatisiert werden? Was heißt bei Unrechtseinschätzung „offensichtlich“? Was macht es mit der Meinungsfreiheit, wenn Facebook, Twitter oder Youtube – Brutstatt von Drohungen, Mobbing oder Beleidigungen – als Hilfspolizei agieren müssen und aus Angst vor hohen Geldstrafen vorsorglich Postings löschen – was sie auch ohne Gesetz könnten?

Meinungsfreiheit muss vor Auswüchsen von beiden Seiten geschützt werden

Die Bundesregierung will mit dem Gesetz das „digitale Faustrecht im Netz“ beenden. Handlungsfähigkeit zeigen. Das ist richtig, aber unausgegoren. Die AfD will dies als Zensurgesetz diffamieren. Unfrieden säen. Das ist falsch und ausgekocht. Die Meinungsfreiheit ist ein so hohes Gut, dass sie vor Auswüchsen auf beiden Seiten geschützt werden muss.

wolfgang.molitor@stuttgarter-nachrichten.de