So soll das Gesundheits- und Sozialzentrum in Meßstetten mit „stambulantem“ Pflegekonzept aussehen, wenn es fertig ist – doch die Bundespolitik verzögert dessen Bau indirekt. Foto: Link Architekten

Das „stambulante“ Pflegekonzept der BeneVit-Gruppe, das auch im Gesundheits- und Sozialzentrum Meßstetten umgesetzt werden soll, hängt – an der Bundespolitik. BeneVit-Chef Kaspar Pfister erklärt die Hintergründe der Verzögerung.

„Alle finden es gut, es verbessert die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte, fördert die Gesundheit der Pflegeheim-Bewohner, senkt Kosten – und trotzdem fehlt es immer noch an der Verankerung im Gesetz!“ Warum? Das könne nach sieben Jahren erfolgreicher Erprobung des „stambulanten“ Pflegekonzepts (siehe Info) niemand sagen, kommentiert Kaspar Pfister, geschäftsführender Gesellschafter der BeneVit-Gruppe. „Vermutungen und Spekulationen helfen nicht. Vielleicht stecken wir auch hier im aktuellen Deutschlandklima: Man sucht Bedenken und traut den Vorteilen nicht. Und wenn etwas so viele Vorteile hat, dann kann doch etwas nicht stimmen!“

Kaspar Pfister vergeht das Lachen, wenn er an die Verzögerung seines Projektes denkt. /BeneVit

Das Sozialgesetzbuch müsse aber geändert werden, damit „stambulant“ nicht nur am Modellstandort Wyhl am Kaiserstuhl, sondern überall umgesetzt werden könne – auch von anderen Trägern, die dringend darauf warteten. 25 Bürgermeister aus vier Bundesländern hätten sich erneut an Bundes- und Landespolitiker gewandt, damit auch in ihren Kommunen „stambulant“ realisiert werden könne. „Sie alle warten darauf“, sagt Pfister, dessen Pflegeheimträger in Mössingen sitzt und in 31 Kommunen Standorte betreibt. „An allen habe ich mit den Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern gesprochen, sie zu uns eingeladen – und alle sind begeistert von dem Konzept.“

Der letzte fehlende Schritt, die Verankerung als gesetzliche Regelleistung, kostet kein Geld. „Pflegekräfte in Südamerika anzuwerben, ist ja nicht falsch, aber viel erfolgreicher wäre es, wenn in Deutschland erprobte und erfolgreiche Modelle zur Verbesserung der Situation endlich zur Umsetzung als Regelversorgung kämen.“

Für das „Ärztehaus“ in Meßstetten hängt viel davon ab

In Meßstetten hängt nicht weniger als der Startzeitpunkt für das Gesundheits- und Sozialzentrum daran, denn erst wenn Pfister weiß, ob er das stambulante Konzept dort umsetzen darf, weiß er, wie der Neubau auf dem städtischen Grundstück, das ihm die Stadt für 99 Jahre kostenlos überlässt, konkret aussehen soll. „Seit Monaten liegt eine weitere wissenschaftliche Evaluierung mit positivem Ergebnis für ‘stambulant‘ vor“, so Pfister. „Nun soll diese Untersuchung noch um den Aspekt ergänzt werden, wie sich die zusätzliche Rabattierung des pflegebedingten Aufwandes auswirkt.“

Für Pfister schwer nachvollziehbar: „Wenn ‘stambulant‘ für Kassen schon günstiger ist, dann wird das noch drastischer, wenn die Kassen mehr bezahlen müssen. Und der Eigenanteil ist um bis zu 1000 Euro im Monat günstiger als bei stationärer Pflege, das kann diese Rabattierung nicht ausgleichen.“

Eine Verlängerung um zwei Monate fördert nur die Unsicherheit

Die Laufzeit seines Modellprojekts in Wyhl sei jüngst von Ende Oktober 2023 auf Ende Dezember 2023 verlängert worden, berichtet Pfister und schüttelt den Kopf: Solche kurzfristigen Laufzeiten seien problematisch für Pflegeheim-Bewohner und ihre Angehörigen, für die es schließlich um Mehrkosten von bis zu 1000 Euro im Monat gehe, sobald das Modell auslaufe. „Wenn das Konzept nicht funktionierte, wäre das in sieben Jahren deutlich geworden“, betont Pfister, der es 2016 eingeführt hatte. „Wir haben das Konzept weiterentwickelt, investiert, praktizieren es mit Erfolg und sind inzwischen in der sechsten Modellphase. Mehr können wir nicht tun.“

Weitere Unterstützer – alle pflegepolitischen Sprecher der Ampel, das Kuratorium deutsche Altershilfe, der baden-württembergische Sozialminister Manne Lucha, der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek und der bayerische Landtag – einstimmig! – seien dafür, dass „stambulant“ ermöglich werden sollte.

„Unser ganzes Gesundheitssystem ist kompliziert geworden“

Derselben Meinung seien unzählige Bundes- und Landespolitiker der SPD, FDP, Grünen, CDU, Landräte – und am wichtigsten: pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen. Das aber habe bisher nichts gebracht, sagt Pfister enttäuscht. „Unser ganzes Gesundheitssystem ist so kompliziert geworden, dass die Politik sich immer schwerer tut, etwas Neues zu wagen. Indes verlieren wir Zeit und Qualität.“

Denn in einer Zeit, da das Personalangebot viel zu knapp sei, müsse doch alles getan werden, um die Lage zu verbessern, aber genau das passiere nicht. „Wegen Fachkräftemangels muss in Pflegeheimen die Belegung reduziert werden – obwohl die Zahl der Pflegebedürftigen wächst“ – nicht nur für Kaspar Pfister eine Absurdität. „In der Alten- und Langzeit-Pflege ist es Fünf nach Zwölf“, mahnt er.

Stambulantes Pflegekonzept

„Stambulant“
 steht für die Kombination von „ambulant“ und „stationär“. Die Pflegebedürftigen leben in Hausgemeinschaften und bringen sich je nach Möglichkeit bei den hauswirtschaftlichen Arbeiten ein. So können sich Senioren beim Wäschewaschen oder Kochen aktiv beteiligen, was die Gesundheit der Bewohner verbessert, wie der Modellversuch in Wyhl zeigt. Die professionellen Pflegekräfte werden dadurch gleichzeitig von Aufgaben, für die keine Pflege-Expertise notwendig ist, entlastet und haben dadurch mehr Zeit, um ihre eigentliche Aufgabe, für die sie ausgebildet sind, auszuüben – ein zusätzlicher Anreiz für sie, sich für eine Einrichtung als Arbeitsplatz zu entscheiden.

Die finanzielle Entlastung
 ist ein weiterer positiver Aspekt: Durch die stambulante Betreuung sinkt der Eigenanteil der Pflegeheim-Bewohner um bis zu 1000 Euro monatlich. Auch Angehörige können sich je nach Wunsch einbringen und erhalten dafür von der Pflegekasse ein ambulantes Pflegegeld.