In Brüssel werden auf dem Dach einer Markthalle Gemüse und Fische im großen Stil gezüchtet. Das erspart lange Transportwege und soll regionale Lebensmittel für die Großstadt liefern. Ist das ein Modell für eine nachhaltigere Zukunft?
Im „Bauch von Brüssel“ ist schon vor Sonnenaufgang mächtig was los. Die ersten Lieferwagen rollen über den Vorplatz am Marché des Abattoirs, dem Schlachthofmarkt. Sie bringen Gemüsekisten, duftendes Brot, frische Fische und exotische Gewürze zu den unzähligen Verkaufsständen. Aus dem angrenzenden Schlachthof – daher der Name des Marktes – werden Lammhälften herangeschleppt.
Wenig unterscheidet das Treiben von vielen Märkten in anderen Großstädten. Nichts deutet darauf hin, dass hier an der Zukunft gearbeitet wird, der Versorgung der Stadtbewohner mit Lebensmitteln, direkt aus ihrer unmittelbaren Umgebung. Denn das wirklich Außergewöhnliche ist für den Besucher unsichtbar und befindet sich auf dem Dach eines der großen, neueren Gebäude. Auf dem „Foodmet“, eine eher wenig ansehnliche Konstruktion aus Spannbeton, wird eine Farm mit Gewächshäusern und Fischaufzuchtanlagen betrieben. Laut den Machern ist sie eine der größten ihrer Art in Europa.
Die Anlage hat wenig von Bauernhofromantik
Über eine schmale Treppe gelangen die Besucher an einen Ort, der auf den ersten Blick wie eine sattgrüne Oase im Häusermeer wirkt. Große Gewächshäuser schützen die empfindlichen Pflanzen vor dem zu rauen Klima Nordeuropas. Hinter den Glasscheiben wechseln sich Basilikumfelder mit Tomatenpflanzen und Paprikastauden ab. Die Arbeit hier oben hat aber wenig mit Bauernhofromantik zu tun. Wenn Loïc Couttelle die Funktionsweise der gesamten Anlage erklärt, hört es sich an wie ein Vortrag über physikalische Zusammenhänge, Ingenieurskunst, Biologie und betriebswirtschaftliche Abhängigkeiten.
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Vor knapp fünf Jahren begann die Realisierung des BIGH-Projektes. BIGH steht für Gebäude mit integrierten Gewächshäusern (Building Integrated Greenhouses). Von Beginn an seien die Arbeitsabläufe immer weiterentwickelt worden, sagt Loïc Couttelle, der in der Nähe von Lille einen großen Biobauernhof betreibt und sein Geld in vielversprechende Agrarprojekte investiert. Er ist überzeugt, dass es in Zukunft in den Großstädten viele solcher Dachfarmen geben wird. Ziel in Brüssel sei, für jeden Produktionsbereich die besten Bedingungen zu erproben. „Wir wollen hier verschiedene Module entwickeln, die dann an anderen Orten ganz einfach aufgebaut werden können.“ Schnell wird deutlich, dass das Herz der Macher zwar für den schonenden Umgang mit der Umwelt schlägt, aber hier auch genau kalkulierende Geschäftsleute am Werk sind.
Der Fisch liefert Nährstoffe für die Pflanzen
Besonders angetan hat es dem Franzosen die Fischzucht, über die er stundenlang dozieren könnte. Wichtig sei gewesen, die richtigen Fischarten zu finden, beschreibt Loïc Couttelle die ersten Hürden. So sei etwa der Markt mit preiswertem Lachs bereits abgedeckt, weshalb man nach mehreren Versuchen mit anderen Fischen inzwischen bei Forellen gelandet sei. Über 20 Tonnen würden pro Jahr an Restaurants und Händler in Brüssel geliefert, die von der hohen Qualität begeistert seien.
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Das Wasser in den riesigen Aufzuchttanks werde ständig umgewälzt, gereinigt und sei Teil eines großen Kreislaufes, erklärt Loïc Couttelle. So seien etwa die Ausscheidungen der Fische der ideale Dünger für die Pflanzen in den Gewächshäusern. Auf über 2000 Quadratmetern werden in Brüssel vor allem Kräuter, Tomaten, Auberginen, Paprika und einige andere Gemüsesorten angebaut. Die Produkte erhalten aber kein Biosiegel, denn: „Wir ziehen die Pflanzen auf Substrat und nicht in natürlicher Erde“, erklärt er, betont aber, dass darin dieselben Nährstoffe enthalten sind wie draußen im Boden. Und natürlich würden keine Chemikalien oder Pestizide zur Bekämpfung von Schädlingen eingesetzt. „Wir setzen zu 100 Prozent auf die Natur“, sagt der Franzose.
Die Energie kommt teils aus dem eigenen Haus
Ähnlich komplex wie die Aufzucht von Fischen und Pflanzen ist die Energieversorgung der gesamten Anlage hoch über dem Marché des Abattoirs. Alles ist darauf angelegt, so wenig Strom wie möglich zu verbrauchen und natürliche Quellen anzuzapfen. Selbstverständlich ist auf einem Teil des Daches eine große Photovoltaikanlage montiert. „Einen wesentlichen Teil des Stroms gewinnen wir auch aus der Abwärme der Gewächshäuser“, erklärt Loïc Couttelle, womit etwa die Wassertanks der Fische immer auf exakt 17 Grad gehalten werden. Aber auch die Abwärme der zahlreichen Kühlschränke in den Restaurants im Erdgeschoss des Foodmet-Gebäudes werde über spezielle Wärmepumpen in Energie für die Farm umgewandelt. „Nichts wird hier verschwendet“, sagt der Unternehmer.
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Deutlich wird, dass Loïc Couttelle mit einer Mission unterwegs ist. „Wir arbeiten hier an der Stadt von morgen, die nachhaltiger und ressourcenschonender sein wird“, sagt er. Das nächste Projekt hat Couttelle bereits im Hinterkopf. „Es wäre möglich, der Außenluft CO2 zu entziehen und in die Gewächshäuser zu leiten“, beschreibt er die verlockende Idee. Damit würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, sagt Couttelle, das klimaschädliche Gas würde reduziert und die Pflanzen würden besser wachsen. Es wäre der nächste kleine Schritt in Richtung einer lebenswerteren Umwelt.