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Detroit wird gerne als die Welthauptstadt der Automobilindustrie bezeichnet, die hier die Zentralen der US-Autobauer zu Hause sind. Doch die Metropole hat unter der Krise gelitten.

Detroit - Die Stadt am Eriesee wird gerne als die Welthauptstadt der Automobilindustrie bezeichnet, da sich hier die Zentralen von Ford, General Motors und Chrysler befinden. Doch die Metropole hat unter der Krise schwer gelitten.

Gegen die ohrenbetäubende Musik, die grellen Lichtblitze und Breakdance-Showeinlagen in der Cobo-Halle mit der blickfangenden Statue der lokalen Boxer-Legende Joe Louis haben die Demonstranten vor der Tür nicht den Hauch einer Chance, gehört zu werden.

Drinnen feiert sich die Branche beim ersten wichtigen Stelldichein des neuen Jahres - und draußen wird bei Minusgraden und dichtem Schneegestöber laut darüber geschimpft, dass gerade ein Jahr nach der großen Pleite dank üppiger Steuermilliarden schon wieder kräftig auf die Pauke gehauen wird. Die großen drei - General Motors, Chrysler und Ford - protzen zur Eröffnung auf der Internationalen Automesse in Detroit ganz so, als hätten sie das Sterbeglöckchen für die Branche vor zwölf Monaten glatt überhört. Die Stände sind größer und üppiger denn je. Und die Inszenierung der neuen, chromblitzenden Modelle, die fleißige Hände unentwegt mit dem Staubwedel bearbeiten, hat nichts von Ramschmarkt. Dem "makabren Totentanz" des letzten Jahres ("Wall Street Journal") soll ganz bewusst die prunkvolle Auferstehung von den Toten folgen.

Dabei ist weder Amerikas Autoindustrie noch die Stadt, die sich rund 100 Jahre mit dem stolzen Titel "Welthauptstadt des Autos" schmücken konnte, aus dem Gröbsten heraus. Aber man strengt sich an. Die aufgepäppelte US-Autoindustrie - General Motors hat Steuermilliarden erhalten, Chrysler ist unter das Dach eines vermeintlich gesünderen Kleinwagenbauers aus Italien geschlüpft - ist dabei, sich neu, "grüner" und vor allem schlanker aufzustellen.

Eine Sturmflut wäre besser gewesen

Detroit läuft derweil seiner Zukunft weiter hinterher. Vielleicht hätte der Rest des Landes Notiz vom Schicksal dieser Stadt genommen, die mit dem Auto groß und wohlhabend geworden war, wenn ein Hurrikan, eine Feuersbrunst oder eine Sturmflut Detroit verwüstet hätten, schrieb unlängst der Detroiter Journalist Daniel Okrent im "Time"-Magazin. So aber schritt die Agonie Detroits, das schon in der Krise war, als die landesweite Rezession noch in undenkbar weiter Ferne lag, fast unbemerkt voran - bis zum großen Knall vor einem Jahr, als die Autobranche im Zuge der Wirtschaftskrise praktisch kollabierte und der Stadt, in der sie seit Henry Fords Zeiten zu Hause ist, vollends das Genick brach.

Detroit liegt auf der Intensivstation ohne viel Hoffnung auf Gesundung. 30 Prozent Arbeitslosigkeit, ohne jene mitzuzählen, die ohnehin längst resigniert haben, vernagelte Geschäfte in heruntergekommenen Gebäuden - einst propere Eigenheimsiedlungen, die heute Lücken und Verfall aufweisen wie das zerschlagene Gebiss eines Kirmes-Boxers. Nur noch wenig hat das Detroit von heute mit der goldenen Ära gemein, als die gepflegten Häuschen in den endlosen Vorortsiedlungen vom guten Auskommen der Autoarbeiter und der Macht ihrer Gewerkschaft UAW kündeten.

Damals, in den späten 50ern und frühen 60ern, zählte Detroit, die "Motor-Town" Amerikas, noch fast zwei Millionen Einwohner, war die Stadt Nummer vier unter Amerikas großen Städten. Heute sind es nicht einmal mehr eine Million, die sich im riesigen Stadtgebiet - die Gründung geht auf den französischen Monsieur Cadillac zurück - mit seinen trostlosen Brachen verlieren. Am Abend ähnelt "Downtown" einer Geisterstadt. Auf Platz elf der großen Städte ist Detroit inzwischen abgerutscht, Tendenz weiter sinkend. Den Immobilien-Leerstand in der alten "Motown", die, so ein nahe liegendes Wortspiel, zur "Notown" wurde, lässt die gebeutelte Stadt gerade ermitteln. Er wird gewaltig sein. So tief unten ist Detroit am Ausfluss des Erie-Sees mit seinem 275 Millionen-Dollar-Defizit, dass es eigentlich nur noch besser werden kann.

Eine Ansicht ist das, die Detroits Bürger mehrheitlich ebenso wie Beth Chappell vom lokalen Wirtschaftsclub ohne weiteres unterschreiben würden. "Auch ich will, dass meine Kinder hier leben können und auch einen Job finden", sagt Beth.

Dabei ist kaum jemand so naiv, zu glauben, dass Detroits Autobauer jemals wieder zu alter Personalstärke zurückfinden werden. General Motors etwa, der schrumpfende Goliath, erfindet sich unter dem Schutzschirm Washingtons als 60-prozentigem Mehrheitseigner gerade neu, setzt auf weniger Marken, weniger Fabriken und vor allem weniger Arbeiter.

Konkurrenz auf der anderen Seite des Flusses

Zehntausende weiterer Jobs haben Detroit sowie Dearborn, Auburn Hills und Flint nebenan in den letzten zwölf Monaten verloren, als der Autoabsatz zwischen der amerikanischen Ost- und Westküste auf einen historischen Tiefststand sank. Längst werden auf der anderen Seite des Grenzflusses, im kanadischen Ontario, mehr Autos zusammengebaut als in Detroit. "Jeder Investor, egal woher, ist willkommen", ruft Vize-Bürgermeister Saul Green daher auf der Automesse ins Mikrofon des chinesischen Fernsehens. Die Chinesen sind plötzlich die neuen Global Player, sind nach dem Absturz Amerikas in die Rezession über Nacht der weltweit wichtigste Automarkt geworden. Selbst für den großprotzigen Hummer, den die Amerikaner zum Alteisen werfen wollen, finden sie in China noch neue Verwendung.

Von einer neuen Batterieproduktion für die Elektroautos der Zukunft in den alten, heute überflüssigen Hallen, von Windturbinen und Solarzellen schwärmt derweil Michigans Gouverneurin Jennifer Granholm, aber auch vom Aufbau einer Filmindustrie als denkbarer Zukunftsperspektive für die Stadt, in der einst das Fließband und der Stücklohn erfunden wurden. "Wir sind nicht der Rostgürtel Amerikas", sagt Michigans Erste Dame entschieden. Hinter all den Plänen und Projekten, die Washington mit vielen Dollar-Millionen aus dem milliardenschweren Konjunkturpaket fördert, steckt der Wunsch, sich zumindest ein Stück weit aus der fatalen Abhängigkeit von der Autoproduktion zu befreien.

"Ohne die Staatshilfen wäre die Lage hier noch weit verheerender", sagt die energische Gouverneurin, deren Bundesstaat Michigan mit 15 Prozent Arbeitslosigkeit US-weit ebenfalls an der Spitze liegt.

Die jungen Start-ups, die inzwischen in Detroits leeren Räumen und Hallen aus dem Boden schießen, sind zarte Pflänzchen, die wiederum sorgsam gehegt werden. Seit Nathan Faustyn (25) etwa in einem geschlossenen Schulgebäude ein kleines Kino betreibt, liegt die Straße in der Nähe der abends ohnehin so leblosen Innenstadt nicht mehr im Dunkeln. Die Stadt schaltet die Laternen allabendlich wieder an, damit Faustyns Filmfans auf dem Heimweg nicht über die eigenen Füße stolpern müssen.

Keine Idee ist zu abwegig, um nicht bedacht zu werden. Auf den Industriebrachen in Zukunft Gemüse anzubauen ist so ein Projekt, dem Vizebürgermeister Saul Green einiges abgewinnen kann. Was soll man mit den riesigen Flächen auch sonst Sinnvolles machen? Dabei geht in Detroit die Angst um, Angst, für die neuen Jobs in der neuen Autoindustrie, die Detroits Standbein bleiben wird, nicht ausreichend qualifiziert zu sein. "Viele werden umlernen müssen, andere werden zwangsläufig wegziehen, und wieder andere müssen sich mit weniger Lohn zufriedengeben", sagt Wirtschaftsforscher Tim Bartik aus Michigan. "Wir haben große Konzessionen gemacht", bestätigt Gewerkschaftschef Ron Gettelfinger, dessen mächtige UAW nicht ganz schuldlos am Niedergang der zunehmend autistischen US-Autobranche war, die schlicht zu teuer und am Ende auch an den Kundenwünschen vorbei produzierte.

Was das in Detroit, einst für höchste Löhne gerühmt, übersetzt für heute bedeutet, beschreibt Bryant Westbrook, gelernter Maurer und arbeitslos, in recht drastischen Worten: "Der Arbeitsmarkt ist brutal. Detroit ist ein deprimierender Ort."