Sie wird ihren "herrlichen Arbeitsplatz mit dem wunderschönen Blick auf die Nagold und den Schlossberg" vermissen - zum Ende des Monats geht Herma Klar nach 32 Jahren als Leiterin des Museums im Steinhaus in den Ruhestand. Foto: Kunert

Es sind nur noch ein paar Tage – dann endet im Nagolder Museum im Steinhaus eine Ära: Nach 32 Jahre verlässt die langjährige und bisher einzige Museums-Leiterin Herma Klar das Haus. Der wohlverdiente (Un-)Ruhestand wartet. Es ist aber wohl auch ein Abschied mit sehr viel Wehmut.

Nagold - Diese unbändige Begeisterung für Geschichte, sie kam für Herma Klar bei der Hausarbeit: Die Mama daheim im hessischen Groß-Felda im Vogelsberg hörte beim Putzen immer eine Radio-Serie über Heinrich Schliemann und dessen Entdeckungen in Troja. "Das hat mich total fasziniert", und eine echte Leidenschaft geweckt. Doch erstmal gab es für die Realschülerin eine Lehre als Apotheken-Helferin. "Erst danach habe ich das Abi nachgemacht und studiert." In Tübingen: empirische Kultur- und Literaturwissenschaften. Berufsziel – und Herma Klar antwortet mit echter Inbrunst: "Ich wollte immer ins Museum!"

Warum nur? Das Gespräch findet in einem Ausstellungsraum im Steinhaus statt. Klar sucht nach einen Weg, den Kern ihrer Leidenschaft zu erklären. "Dieses Haus, dieses alte Haus – die Wand da", was diese Wände alles erlebt, gesehen haben. Für Herma Klar ist das lebendig spürbar. "Mir sagt das ganz viel!" In dem Raum sind Bilder von Otto Dünkelsbühler, dem Nagolder Stadt-Maler, ausgestellt. Aber nicht nur: benutzte Paletten sind zu sehen, Rahmen zeigen Farbanhaftungen, weil der Maler sie mit Farbe an den Händen angepackt hat. Wer wie Herma Klar ein Gespür für solche Details hat, spürt auf einmal die Gegenwart des Künstlers, des Menschen, um den es hier geht. Der Menschen aus der Vergangenheit. "Die verdammt viel mit uns hier in der Gegenwart zu tun haben." Dieser Bezug zwischen Vergangenheit und Gegenwart – er ist es, der die Noch-Museums-Leiterin treibt. Der Geschichte so unwahrscheinlich lebendig werden lässt.

"Nagold in der Zeit des Nationalsozialismus"

Ein anderes Beispiel, eines der liebsten von Herma Klar: Die Ausstellung "Nagold in der Zeit des Nationalsozialismus" im Dachgeschoss des Steinhauses. Die vielen, detailversessenen Exponate hat Klar bei Nagolder Bürgern eingesammelt. Echte Erinnerungen aus echten Familien. Wenn Klar darüber spricht, die Geschichten dahinter erzählt, die Zusammenhänge der verschiedenen Exponate im Erklären knüpft, werden aus toten Gegenstände extrem lebendige Erlebnisse. Manchmal auch Gänsehaut – wenn die Feldpost beispielsweise von einem damals 19-Jährigen stammt, der Unmittelbar nach dem Schreiben dieser Briefe fiel. "Als ich diese Briefe für die Ausstellung bekam, war mein eigener Sohn gerade 19 Jahre alt", lässt Klar einem an ihrer neu erwachenden Erschütterung und Betroffenheit teilhaben über das Schicksal des jungen Mannes aus Nagold damals. Das eigene, reine Sehen dieser Dinge wird dadurch zu einer echten emotionalen Achterbahnfahrt. Mit ehrlicher, tiefer Ergriffenheit.

Nach dem Studium in Tübingen führte Herma Klar erste berufliche Stationen zum Volontariat nach Schwäbisch-Gmünd ins dortige "Museum im Prediger" und später nach Leonberg ins dortige Stadtmuseum. Als es Zeit war, "mehr Verantwortung zu übernehmen", musste sich Klar zwischen einer Stelle im Landesmuseum in Stuttgart und dem damals neu eröffneten Museum im Steinhaus in Nagold entscheiden. Die Wahl fiel auf Nagold – "weil es hier um die Leitung eines Hauses ging", was mehr Vielfalt und mehr Gestaltungsmöglichkeiten bedeutete. Und das Steinhaus als Arbeitsplatz eben "der Hammer" war! Das all ihre beruflichen Stationen weitab der hessischen Heimat liegen, hat dabei einen einfachen Grund: "Ich liebe Dialekte", dieses eigentümliche Idiom, mit dem Menschen auch die nüchterne Sprache mit ihrem Naturell, ihrer Geschichte und der ihrer Familien unterlegen und den Bezug zur Heimat mit jeder gesprochenen Silbe dokumentieren. Und "Schwäbisch, das liebe ich einfach am meisten!"

"Schwäbisch, das liebe ich einfach am meisten!"

Exakt 303 Themen-Ausstellungen hat Herma klar die letzten 32 Jahre in Nagold mitgestaltet und betreut – "nie allein, immer im Team". Aber doch verantwortlich, mit diesem ganz eigenen Hang, immer auch die Brücke zu schlagen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Am Anfang sei das Steinhaus "ein Museum ohne eigene Exponate" gewesen. Um so höher für Klar der Wert zum Beispiel der Ausstellungs-Reihe "Lebens-Zyklen", der sich mit dem Leben eben in Nagold zwischen Geburt und Taufe, Schulzeit, Konfirmation/Kommunion, "Verliebt, verlobt, verheiratet" und Tod und Gedenken beschäftigt hat. Wieder: Durch die Art der Annäherung eine überaus lebendige Auseinandersetzung mit den Geschichten der Vergangenheit dieser Stadt, die doch immer soviel auch mit der Gegenwart der Menschen hier zu tun haben.

Wird sie das alles nicht vermissen? Herma Klar weicht dieser Frage aus. Erzählt davon, dass sie die viele Fahrerei zwischen ihrem Wohnort Tübingen und Nagold nicht vermissen wird. Das ihr Ruhestand eher ein Unruhestand werden wird – ein Abenteuer, eine Reise auch in ihre ganz eigene Familien-Geschichte. In der es auch so manches Thema gerade aus dem Dritten Reich noch aufzuarbeiten gilt, die eben auch ihre ganz eigene Geschichte betreffen. Und wo vielleicht mehr Zeit für das gemeinsame Hobby mit Ehemann Reinhard Winter bleibt, dem Leiter des sozialwissenschaftlichen Instituts in Tübingen (SOWIT): "Unsere große Liebe zu Italien!" Dort wandern, die Kultur erleben. "Und vielleicht wieder anfangen, die Sprache besser zu erlernen."

Und wie geht es weiter im Steinhaus? Die Stelle der Museums-Leitung sei ausgeschrieben, werde wohl zum Jahreswechsel neu besetzt. Sie werde ein geordnetes, aufgeräumtes Haus hinterlassen – wobei sie sehr hoffe, dass sich die künftige Museum-Leitung besonders auch und gerade um das in den Jahrzehnten gewachsene Magazin des Museums mit nun doch auch eigenen Exponaten, eben den zeitgeschichtlichen Zeugnissen aus der Stadt, kümmern werde. Eben irgendwie dem "Erbe" aus über drei Jahrzehnten engagierter Museums-Geschichte. Und dann lässt Herma Klar doch auch die Wehmut des Abschieds zu, als sie ihren persönlichen "Lieblingsplatz" im Steinhaus zeigt: Ihr Büro im ersten Stock, mit diesem besonderen Blick durch die alten, so geschichtsvollen Wände und Fenster hinaus auf die Nagold und den Schlossberg. "Ich denke, das hier wird mir wirklich fehlen!"