Die Abschiebung einer georgischen Familie aus Brigachtal muss laut der Abgeordneten Derya Türk-Nachbaur neu bewertet werden. Das sieht man beim Ministerium anders.
Die nächtliche Abschiebung einer fünfköpfigen georgischen Familie aus Brigachtal im Juni stieß nicht nur bei Freunden und Nachbarn auf viel Unverständnis – dies auch angesichts der Integrationsbemühungen der Beteiligten und der gravierenden Erkrankung des Sohnes. Nun meldet sich dazu die hiesige SPD-Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur erneut zu Wort.
„Als Bundestagsabgeordnete für den Schwarzwald-Baar-Kreis habe ich mich umgehend an die zuständige Ministerin für Justiz und Migration in Baden-Württemberg, Marion Gentges (CDU), gewandt und Aufklärung gefordert. Nun liegt ihre Antwort vor – und sie wirft neue Fragen auf“, heißt es in ihrer Mitteilung.
Die Landesregierung habe erklärt, es hätten keine georgischen Pässe vorgelegen – deshalb seien Passersatzpapiere beantragt worden. Diese Darstellung sei rechtlich zentral: Sie begründe sowohl den Entzug der Ausbildungsduldung der Tochter als auch die Möglichkeit zur Abschiebung der gesamten Familie.
„Doch laut Aussage von Nino, der Tochter, wurden die Reisepässe der gesamten Familie bereits bei der Erstaufnahme im August 2021 in Karlsruhe abgegeben – und nie zurückgegeben. Die Familie sei nie darüber informiert worden, dass etwas fehle. Auch nach der Abschiebung wurden die Dokumente – bis auf den des Vaters – nicht zurückgegeben.“
Rechtliche Grundlage der Maßnahme
Wenn sich diese Angaben bestätigten, stellt das laut Türk-Nachbaur die rechtliche Grundlage der gesamten Maßnahme infrage. Es sei dann kein Fall mangelnder Mitwirkung mehr, „sondern möglicherweise fehlende Kommunikation der Behörden mit drastischen Folgen“. Beim Justizministerium in Stuttgart sieht man das bislang anders. Auf Anfrage der Redaktion heißt es dazu: Zum Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung habe von der betreffenden Familienangehörigen lediglich ein abgelaufener Reisepass vorgelegen. Dies entbinde die Familienangehörigen nicht von der Pflicht, sich um gültige Dokumente zu kümmern.
Da mit dem abgelaufenen Reisepass eine Abschiebung nicht möglich gewesen sei, „lag ein gesetzliches Beschäftigungsverbot vor. Zugleich war damit ein Versagungsgrund für eine Ausbildungsduldung gegeben. Dementsprechend erfolgte die Ablehnung der Erwerbstätigkeit und der Ausbildungsduldung.“
Pflicht, sich um gültige Dokumente zu kümmern
Die SPD-Bundestagsabgeordnete erinnert daran, dass der zum Zeitpunkt der Abschiebung 19-jährige Sohn Giorgi an spinaler Muskelatrophie Typ 1 leidet – einer schweren, unheilbaren Krankheit. Die Therapie mit Spinraza sei durch die Abschiebung unterbrochen worden. Nun berichteten Angehörige, dass sich sein Zustand weiter verschlechtert habe – weil Medikamente und Behandlung fehlten.
Therapie im Herkunftsland nicht möglich
Besonders schwer wiege, dass die behandelnden Ärzte der Universitätsklinik Tübingen in ihrem Attest ausdrücklich davor gewarnt hätten, Giorgi abzuschieben. „Sie diagnostizierten eine akute medizinische Gefährdung und hielten fest, dass eine Fortsetzung der notwendigen Therapie im Herkunftsland nicht möglich sei. Wörtlich heißt es, eine Abschiebung werde zu einer ’gravierenden Verschlechterung bis hin zu hochgradiger Tetraparese einschließlich dem frühen Versterben’ führen.“
Trotzdem sei das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu dem Schluss gekommen, dass kein Abschiebungsverbot vorliege. Das ist aus Sicht der Abgeordneten „ein schwerwiegender Widerspruch“.
Als Folge der Abschiebung habe das BAMF ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten verhängt. Eine Rückkehr wäre laut Türk-Nachbaur frühestens danach möglich – es sei denn, ein nationales Visum werde über die deutsche Botschaft in Tiflis beantragt und bewilligt. Für die Tochter gäbe es – rein rechtlich – eine theoretische Möglichkeit zur Rückkehr: Sie könnte ein nationales Visum zur Ausbildungsaufnahme gemäß § 16a Aufenthaltsgesetz beantragen.
Kontakt zur Botschaft in Tiflis in Georgien
Voraussetzung dafür sei allerdings, dass das 30-monatige Einreiseverbot durch das CSU-geführte Bundesinnenministerium aufgehoben oder ausgesetzt werde – mit Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde. Ohne diese Ausnahme bleibe ihr der Weg nach Deutschland für 30 Monate versperrt. Derya Türk-Nachbaur hat daher den deutschen Botschafter in Tiflis, Georgien, kontaktiert, um auszuloten, welche Möglichkeiten es für eine Rückkehr geben könnte. „Denn selbst wenn die rechtlichen Verfahren abgeschlossen sind – die politische und menschliche Verantwortung bleibt.“
Denn es gehe nicht nur um die Frage der verschollenen Pässe oder die Verantwortung von Land zu Bund zu schieben. Es gehe darum, ob staatliches Handeln nachvollziehbar bleibe. „Die Menschen in Brigachtal haben ein Recht auf Transparenz, Klarheit und darauf, zu erfahren, was mit ihren Nachbarn, ihren Schulfreunden und ihren Kolleginnen passiert ist”, meint Türk-Nachbaur.