Paukenschlag am Mittwochabend: Für die Bundesregierung steht die Ampel seither auf Rot. Wie bewerten die Abgeordneten des Schwarzwald-Baar-Kreises das?
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur findet nach seinem „Rauswurf“ deutliche Worte in Richtung Christian Lindners.
Seinen „Abschied“ hat sie auf besondere Weise erlebt.
Im Gespräch offenbart sie einen interessanten Blick hinter die Kulissen.
Türk-Nachbaur: Schon längst beschlossene Sache?
Ob sie überrascht ist? Derya Türk-Nachbaur schüttelt den Kopf. „Nein, überrascht im herkömmlichen Sinne war ich nicht.“ Bereits am Montag und Dienstag hätten sich einige Kollegen der FDP-Fraktion von ihr „verabschiedet“. „Auf meine verwunderten Fragen nach den seltsamen Abschiedsfloskeln hat man mir hinter vorgehaltener Hand zugeraunt, dass der Abschied aus der Koalition in der FDP bereits beschlossene Sache sei. Die Verhandlungen im Koalitionsausschuss am Mittwochabend waren somit nur fürs Schaufenster. Das finde ich äußerst verantwortungslos. Daher ist die Entlassung des Finanzministers ein folgerichtiger Schritt des Kanzlers“, schildert sie ihre Auffassung.
Für die SPD-Abgeordnete steht fest: „Die Entscheidung der FDP-Spitze beweist erneut, dass manche lieber eine Regierung verlassen, weil sie verfassungswidrigen Kürzungen nicht durchsetzen konnten. Dass die FDP die Koalition verlassen muss, weil sie sich mit ihren Forderungen nach Steuergeschenken für Großunternehmen und einem Abbau von Arbeitnehmerrechten nicht durchsetzen konnte, ist ein Schlag ins Gesicht aller hart arbeitenden Menschen.“
Der Austritt der FDP-Spitze aus der Bundesregierung stelle die politische Stabilität in Deutschland auf eine harte Probe. Das sei eine „verantwortungslose Entscheidung zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt“, so Türk-Nachbaur.
In Anbetracht der globalen Krisen brauche es Stabilität und Verlässlichkeit, meint Türk-Nachbaur, die im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auch Berichterstatterin für die USA ist. „Es ist nicht die Zeit für parteipolitische Spielchen, die all das gefährden, was wir bereits erreicht haben.“
„Dass die FDP sich zurückzieht, weil wir nicht bereit sind, auf diese Grundsätze zu verzichten, zeigt, dass sie nur sich selbst und Großkonzernen verpflichtet ist.“ Einige stellten offenbar die Interessen börsennotierter Unternehmen über die Bedürfnisse der Bürger. „Unser Auftrag bleibt klar: eine faire, gerechte und zukunftssichere Politik zu gewährleisten – im Schwarzwald-Baar-Kreis und in ganz Deutschland.“
Thorsten Frei will Neuwahlen noch im Januar
Einen besonderen Einblick in Berlin hat auch der CDU-Bundestagsabgeordnete für die Region, Thorsten Frei.
Nach seinem Eindruck befragt, betont der Christdemokrat: „Es braucht zum frühestmöglichen Zeitpunkt – und das heißt noch im Januar – Neuwahlen. Die Minderheitsregierung, die Olaf Scholz führen will, ohne sie öffentlich zu erklären, wird zu chaotischen Verhältnissen führen und dem Land schaden.“
Die CDU sei „aus staatspolitischer Verantwortung bereit“, mit dem Kanzler darüber zu sprechen, „wie wir diese Wahlperiode mit Anstand zu Ende führen“. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Kanzler noch in der nächsten Woche die Vertrauensfrage stelle. „Denn staatspolitische Verantwortung heißt auch, Neuwahlen so rasch wie möglich herbeizuführen.“
Bonath wirft Scholz Trotz vor
Frank Bonath, der für die FDP im Landtag sitzt, betrachtet die Geschehnisse in der Hauptstadt durch die liberale Brille und gibt sich gelassen: „Der Bruch der Ampel hat mich nicht überrascht – das schien sich schon länger anzubahnen. Aber der Rauswurf und das trotzige Verhalten von Kanzler Scholz haben mich durchaus überrascht“, sagt Bonath auf Anfrage. Scholz habe Christian Lindner gedrängt, einen Verfassungsbruch zu begehen, „in meinen Augen eines Kanzlers unwürdig. Statt verantwortungsvoll zu handeln und die wirtschaftlichen Herausforderungen endlich anzugehen, hat Scholz mit dieser Entscheidung die ohnehin angespannte Lage nur verschärft und die Regierung ins Chaos gestürzt.“
Unterm Strich aber sei richtig, was jetzt passiere: „Die wirtschaftliche Situation in Deutschland erfordert entschlossene Reformen, und ich habe das Gefühl, dass die bisherige Schuldenpolitik die Lage nur weiter verschärft.“ Deutschland brauche „einen klaren wirtschaftspolitischen Neustart“. Seiner Ansicht nach wären Neuwahlen der richtige Weg. „Ich setze mich für eine Politik ein, die die Wirtschaft von unnötiger staatlicher Bevormundung befreit, nachhaltige Investitionen ermöglicht und unsere Unternehmen entlastet. Nur so können wir aus der Wachstumsschwäche herauskommen und das Wohlstandsversprechen für kommende Generationen sichern.“
Braun: Im Land zeigen die Grünen wie’s geht
Die Grünen-Vertreterin der Region in Stuttgart, Martina Braun , zeigt sich überrascht: „Trotz aller öffentlich geführten Streitereien der Ampel-Partner war ich fest davon überzeugt, dass die Verantwortung für Deutschland bei allen Beteiligten an erster Stelle steht; unabhängig der eigenen Parteiprogrammatik.“
Die Grünen hätten sich in der Ampel kompromissbereit gezeigt und konstruktiv an guten Lösungen mitgearbeitet – „auch bis zur Belastungsgrenze unserer Überzeugungen“. Schließlich sei eine Koalition „immer ein Kompromiss“. Christian Lindner und der FDP sei es „letztlich um Klientelpolitik, in erster Linie um finanzielle Entlastungen weniger Gutverdiener zu Lasten aller“ gegangen, kritisiert sie.
Der Schritt des Bundeskanzlers sei nach aktuellem Kenntnisstand „konsequent und unvermeidlich“ gewesen. Unter diesen Umständen sei keine vertrauensvolle Zusammenarbeit mehr möglich gewesen. „SPD und Grüne konnten sich nicht mehr auf die FDP und ihre Zusagen verlassen.“ Dass es anders geht, zeige sich in Baden-Württemberg, wo die Grünen seit 14 Jahren im Landtag zeigten, „dass wir verlässlich regieren können und wie gute Koalitionen zusammenarbeiten – auch hierbei kann es Mal knirschen“. Doch bei allen politischen Entscheidungen stehe das Wohl des Landes und seiner Menschen im Mittelpunkt.
„Wir brauchen stabile und verlässliche politische Verhältnisse in Deutschland. Vor uns liegen zahlreiche innen- und außenpolitische Herausforderungen und wir brauchen eine starke, handlungsfähige und durchsetzungsfähige Bundesregierung. Die Vertrauensfrage des Kanzlers im Januar ist daher folgerichtig.“ Sie erwarte jetzt von allen demokratischen Parteien im Bundestag unter anderem, dass der Bundeshaushalt 2025 unter Dach und Fach gebracht wird. „In Zeiten wie diesen braucht Deutschland Erwartungssicherheit und Planbarkeit, auch wir im Land“, so Braun und weiter: „Trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen müssen wir zuversichtlich sein und im politischen Tun immer das Land und seine Menschen im Blick haben. Die Prioritäten richtig zu setzen ist dabei entscheidend.“