Ralph Sauer (links) und Christian Grotz aus der Lahrer Kanzlei Stoll und Sauer vertreten Tausende Verbraucher. Foto: Köhler

Ob Abgasskandal oder Datenlecks: Die Lahrer Kanzlei Stoll und Sauer ist darauf spezialisiert, Tausende Verbraucher gleichzeitig zu vertreten. Dabei setzen die Anwälte auch auf technische Automatismen.

Es passt ins Bild, dass die Kanzlei Stoll und Sauer im Lahrer Industriegebiet am Flugplatz beheimatet ist. Werden in unmittelbare Nähe täglich Tausende Modepakete gepackt, Möbelteile hergestellt oder Maschinen gebaut, sind es bei Stoll und Sauer Klagen, die sozusagen als Massenware abgehandelt werden. Was 2010 als „normale“ Kanzlei begann, ist heute eine Art „anwaltlicher Industriebetrieb“, erklärt Mitbegründer Ralph Sauer.

Mit den Jahren habe man festgestellt, dass der Ablauf bei vielen Klagen „eine sehr planbare Tätigkeit“ ist. Daneben gebe es die normale individualisierte Rechtsberatung. In der Konzentration auf das Massengeschäft habe die Kanzlei eine Chance gesehen. Entsprechend wurden gewisse juristische Schritte, zum Beispiel über Online-Formulare, automatisiert. Mit dem sogenannten „legal Tech“ spart die Kanzlei Zeit und Papierkram.

Beim Dieselskandal wurde die Kanzlei überrannt

Zu Wachstum verholfen hat der Kanzlei mit heute 125 Mitarbeitern der Dieselskandal von VW im Jahr 2015. Damals waren die Lahrer Anwälte die führende Kraft seitens der Verbraucherschützer. Schon früh habe man sich 2000 Klagen von VW-Kunden aus ganz Deutschland angenommen. „Im Bereich ,legal Tech’ waren wir damals revolutionär“, erklärt Sauer. Dadurch habe man so viele Fälle bearbeiten können.

Bevor es jedoch zu den zahlreichen Verfahren kam, mussten die Geschädigten sicher sein, dass die Rechtsschutzversicherungen greifen. Diese wollten die Fälle zunächst nicht übernehmen, blickt Sauer zurück. Die Lahrer Kanzlei beschloss, gegen Versicherungen zu klagen. Dazu erstellte Sauer eine Art Gutachten, warum die Ansprüche gegenüber VW rechtens sind.

„Ich habe sechs Wochen lang zehn Stunden am Tag gearbeitet“, erinnert sich Sauer. Für das Gutachten habe er Fachliteratur über Dieselmotoren oder die Abgasrückführung studiert. Am Ende stand ein Werk aus 100 Seiten, das die Gerichte überzeugte. Rund 1000 Klagen gegen die Versicherungen wurden gewonnen.

Möglich war dieser Zeitaufwand, da die Kanzlei die Aussicht auf Tausende erfolgreiche Verfahren gegen VW hatte. Bis heute hat die Kanzlei etwa eine Milliarde Euro an Schadensersatz erstritten. Insgesamt wurden rund 260 000 Verbraucher entschädigt. „Ohne uns hätte es den Dieselskandal in dieser Form nicht gegeben“, ist sich Sauer sicher.

Dabei ist das Thema Abgasskandal noch nicht vorbei. Am Dienstag urteilte der europäische Gerichtshof, dass Ansprüche auf Schadensersatz gegen Daimler rechtens sind. Dabei ging es um ein bei Kälte nicht richtig funktionierendes Thermofenster. „Eine neue Klagewelle wird auf die Autoindustrie zurollen“, sagt Sauer.

Zum Thema Abgasskandal, aber auch zu anderen Verbraucherschutzthemen, sind die Lahrer Anwälte sogar Ansprechpartner für das Fernsehen. Ein neue Spezialität der Kanzlei: Datenlecks auf Online-Plattformen.

Wie so ein Datenleck aussehen kann, beschreibt Geschäftsführer Christian Grotz am Beispiel Facebook: Der Social-Media-Riese bietet eine Import-Funktion an, um Telefonnummern aus dem Adressbuch automatisch mit Facebook-Kontakten zu verknüpfen. Dies sei auch möglich, wenn die Nummer nicht öffentlich, sondern nur als zusätzliche Option zur Authentifizierung hinterlegt ist.

Kriminelle nutzten dies im Frühjahr 2021 aus, um Millionen von Nummern zu importieren und zu schauen, welche mit welchem Kontakt verknüpft wird. So kamen die Betrüger an Namen, Nummern und alle Daten, die in den Profilen hinterlegt waren. Betroffen vom Facebook-Leck sind in Deutschland bis zu sechs Millionen Menschen, sagt Grotz.

Sechs Millionen Menschen vom Datenleck betroffen

Doch wie nutzen die Betrüger die gesammelten Daten? Das geschieht durch „Phishing“- Versuche: Die Betrüger versuchen, eine Kontaktaufnahme per Telefon oder Mail durch gesammelte Details so authentisch wie möglich wirken zu lassen, damit der Betroffene auf den Betrug hereinfällt. Durch einen Klick auf einen scheinbar interessanten oder hilfreichen Link lädt man sich beispielsweise eine Software auf den Computer, die noch sensiblere Daten wie Passwörter oder Kontonummern ausliest. Im schlimmsten Fall komme es zu Geldüberweisungen.

Doch auch wer nicht auf diese Maschen reinfällt, erleide einen Schaden, erläutert Grotz – Betroffene hätten Anspruch auf Schmerzensgeld. Dabei gehe es um die Belästigung sowie um den Kontrollverlust und die Gefahr, dass jemand die Identität stiehlt. „Im Gesetz steht, dass auch immaterieller Schaden ersetzt werden muss“, erklärt der Anwalt.

Grotz geht davon aus, dass es für Betroffene bis zu 3000 Euro Schadensersatz geben könnte. Teil der Klage sei zudem eine Zusicherung seitens Facebook, auch für materiellen Schaden zu haften, der in der Zukunft entsteht.

Wenn die Daten einmal zugänglich waren, seien weitere kriminelle Machenschaften nicht auszuschließen. Erste Verfahren gegen Facebook und andere Unternehmen wie den Streaming-Dienst Deezer laufen bereits. Die Erfolgschancen laut Sauer und Grotz sind hoch.

„Es macht Spaß. Wir stehen immer auf der guten Seite“, ist Grotz glücklich über die Möglichkeit, für die Rechte der Menschen einzustehen. Sauer erzählt, dass die Kanzlei bereits für diverse Verbraucherschutzverfahren angefragt wurde. Aufgrund der Erfolge habe es auch Anfragen von der Gegenseite, zum Beispiel der Industrie, gegeben. Diese lehne man jedoch konsequent ab – egal wie hoch das Angebot sei.

„Wir vertreten keine systematischen Verbrecher“, spricht Sauer deutliche Worte. Das „Kalkül“ einiger Unternehmen, bewusst zu betrügen, da ohnehin nicht alle klagen und so der Schadensersatz am Ende geringer sei als der Gewinn, sei ein großes Problem.

Um von kriminellen Machenschaften verschont zu bleiben, empfiehlt Christian Grotz, im Netz möglichst wenig von sich preiszugeben. Darüber hinaus sollte man verschiedene starke Passwörter benutzen und diese regelmäßig ändern. Auch mehrere E-Mail-Adressen zu verwenden, könne helfen. Sollte eine dubiose Mail doch einmal im Postfach landen, sollte man niemals auf den Anhang oder einen Link klicken.