Die Deutschen investieren viel Zeit und Geld in ihre Gärten, denn diese sind zum Statussymbol geworden. Beim vielen Gießen kommt aber oft das Genießen zu kurz.

Es ist Frühling, unbestreitbar. Die Sonne hat in den vergangenen Tagen die blasse Haut gekitzelt. Die Vögel zwitschern munter, und überall sprießt das erste frische Grün. Nach einem kaum spürbaren Winter breitet sich nun auch wieder zuverlässig – vergleichbar einem heftigen Fieberschub – bei vielen das Gärtnern aus. Meist flammt das berüchtigte, aber im Grunde harmlose, saisonale Gartenfieber gleichzeitig mit dem Erblühen der ersten Forsythien auf. Das ist etwa ab Mitte März der Fall. Die Diagnose ist eindeutig: Die akute, meist rasch von selbst wieder abklingende Infektion äußert sich insbesondere durch hektisches Jäten und Umgraben der Beete, rauschhafte, ungezügelte Kauflust im Gartencenter und den Vorsatz, dieses Jahr alles besser und vor allem gründlicher zu machen als im vergangenen.

Vom akuten Gartenfieber Geplagte haben den starken Drang, die kaum erwachte Natur jetzt unbedingt und sofort zu bändigen, zu erziehen und auf Kurs zu bringen. Daneben gibt es auch noch das echte Gartenvirus. Wer sich damit infiziert hat, für den gibt es leider kaum eine Hoffnung, jemals wieder ganz zu genesen. Betroffene wissen, was ich meine. Angesichts allseits aufkeimender Gartenlust sei hier mal die Frage gestellt: Was tut sich zurzeit in Deutschlands Gärten, was liegt gartenmäßig im Trend, und wohin soll die Reise gehen?

Der Deutsche ist gründlich – vor allem im Garten

So viel ist klar: Der Deutsche ist gründlich und meint es meistens ernst. Das gilt auch und insbesondere für den Garten. Wenn es um die eigene Scholle geht, gibt es eben keine halben Sachen. Schließlich ist der Garten mehr als nur ein bisschen Grün rund ums Haus. Die Zeiten, als Gärten der Selbstversorgung mit Obst und Gemüse dienten, sind lange vorbei. Der Garten ist zum Ort der Freizeitgestaltung geworden. Dennoch frönen die meisten Hobbygärtner dort keineswegs dem Müßiggang, sondern investieren viel Zeit, Kraft und Geld, damit das grüne Refugium stets picobello aussieht.

Denn Gärten waren und sind ein Statussymbol und spiegeln heute mehr denn je die Persönlichkeit der Besitzer wider, ganz nach der Devise: Zeig mir deinen Garten – und ich sage dir, wer du bist. Heutzutage, wo die Landlust- und Gartenmagazine Spitzenauflagen erreichen, begnügen sich immer weniger deutsche Gartenbesitzer mit Minimalstandards. Im Wettbewerb mit Nachbarn, Besuchern und Bekannten wird selbst aus einem kleinen Reihenhausgarten ein perfekt inszeniertes und manikürtes Paradies, das jeden traditionellen Hausgarten fade und vorgestrig aussehen lässt.

Manche Gartenobjekte sollten rezeptpflichtig sein

Zum perfekt gepflegten Garten gehören mittlerweile nicht nur Pflanzen, Sitzmöbel und Rankgerüste. In den letzten Jahren hat es sich eingebürgert, Beete und Rabatten mit allerlei Schnickschnack aufzuhübschen. Gerade jetzt im Frühjahr haben Gartenmessen Hochkonjunktur. Dort findet der empfängnisbereite Gartenfreund alles, was das Herz begehrt: Blumensamen, Knollen und Zwiebeln, die üppige Blütenpracht versprechen, sowie praktisches Werkzeug und unpraktischen Tinnef, der seine Nutzlosigkeit jedoch durch gutes Aussehen geschickt zu überspielen versucht.

Nicht zuletzt kann man hier auch jede Menge Hingucker erwerben, mit denen sich so manches Manko in der Beetgestaltung kaschieren lässt. Geschmacklich nahezu unbedenklich sind gläserne Rosenkugeln, sofern sie in dezenten Farbtönen gehalten sind.

Manch andere Objekte dagegen sollten eher rezeptpflichtig sein. Auch die Deko-Abteilungen von Gartencentern und Baumärkten verfügen diesbezüglich über einen erstaunlichen Fundus. Das Spektrum ist breit gefächert und hält für nahezu jeden Geschmack etwas vorrätig.

Zwar mag es der Deutsche an sich gern sauber und ordentlich, aber in den letzten Jahren ist Vintage in Mode gekommen, sprich der Trend zur Retro-Optik. Objekte mit einer gewissen Patina transportieren das Flair von Tradition und suggerieren, dass der Besitzer damit ordentlich im Garten geschafft hat. Weil aber echte alte Zinkkannen langsam rar und teuer werden und antike Werkzeuge ihre Stabilität im Lauf ihres langen Lebens meist eingebüßt haben, hält der Fachhandel Ersatz in Form absichtlich auf alt getrimmter Ware bereit. Aber mal ehrlich: Wer würde ein neues Auto mit künstlich applizierten Dellen, Kratzern und mühsam abgeschabtem Lack kaufen? Wieso also Gartengeräte und Dekorationsobjekte mit künstlicher Patina? Aber über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten.

Sägen, stutzen, schneiden – am liebsten mit Motor

Ein weiterer Trend in deutschen Gärten ist der Hang zur Übermotorisierung. Zwar genügen zur Gartenpflege einige praktische, manuelle Werkzeuge wie Spaten, Rechen, Hacke, Ast- und Rosenschere, aber wir wären nicht in Deutschland, wenn da nicht noch mehr ginge. Selbst für kleine Parzellen mit wenigen Quadratmetern Rasen werden Turbomäher angeschafft, deren Dröhnen weit durch die Nachbarschaft hallt. Bei größeren Rasenflächen darf es auch gern ein Aufsitzmäher zum Preis eines Kleinwagens sein. Man kann ja nie wissen, ob man nicht doch mal Besitzer weitläufiger Latifundien wird. Den Mäher hat man dann schon parat.

Überhaupt wird gern mit Motorkraft aufgerüstet, sei es elektrisch, mit Akku oder Zweitakter. Sägen, Stutzen, Schneiden und das Beseitigen des Herbstlaubs – für alles gibt es etwas mit Motor.

Dass dabei oft ohrenbetäubender Lärm und reichlich CO2 entstehen, nimmt man in Kauf, es geht ja um Sauberkeit und Ordnung. Und Ordnung ist das halbe Leben.

Die andere Hälfte des Lebens könnte man ja dann ein ganz klein wenig unordentlich sein und damit verbringen, das süße Nichtstun im Garten zu genießen. Doch jeder eingefleischte Gartenfreund kennt das: Kaum hat man es sich im edlen Liegestuhl mit geschmackvoller Polsterauflage gemütlich gemacht, fällt der Blick auf Verwelktes und Durstendes in der näheren Umgebung.

Schwuppdiwupp sind zwei Stunden vorbei

Dann gibt es kein Halten mehr, man schwingt die Schere, greift nach Gartenschlauch oder Gießkanne und schafft Abhilfe, wo sich die Natur nicht selbst helfen kann. Und wenn man schon dabei ist, wird noch schnell eine Beetkante nachgestochen, ein lästiges Unkraut aus dem Rasen gezupft und ein hängender Trieb aufgebunden. Ehe man sich versieht, sind zwei Stunden vorüber, die Fingernägel schwarz und die Klamotten reif für die Waschmaschine. Ganz zu schweigen vom Rücken, den man eigentlich mal schonen wollte und der jetzt wieder tagelang schmerzt. Nach dem Motto: Gießen statt genießen.

Einerseits ist es ja löblich, wenn anfallende Arbeiten stets sofort und gründlich erledigt werden. Andererseits vergessen viele Gartenbesitzer dabei, sich einfach mal an der gepflegten Idylle zu erfreuen. Die Frage ist: Kann man wirklich einen vorzeigbaren Paradiesgarten haben, ohne jede freie Minute darin zu werkeln? Nun, das ist ein Dilemma, mit dem alle leben müssen, die sich ernsthaft mit dem Gartenvirus infiziert haben.

Übertreiben es die Deutschen mit der Gartenliebe?

Angesichts dieser Tatsachen sei die Frage erlaubt: Übertreiben es die Deutschen inzwischen nicht etwas mit dem Gartenwahn? Nein, gewiss nicht. Eigentlich steckt das Gärtnern in Deutschland sogar noch in den Kinderschuhen. Nachdem in den letzten Jahrzehnten in bundesdeutschem Wirtschaftswunderglauben im grünen Bereich viel versäumt wurde, beginnt die Gartenlust bei uns gerade erst wirklich schöne Blüten zu treiben.

Noch braucht mancher Gartenfreund etwas mehr Mut zur Individualität und zum Experimentieren. Aber viele sind auf dem richtigen Weg und wissen bereits, dass Stauden noch kaum einem Garten geschadet haben, dass man Gehölze manchmal hart rannehmen muss und dass die Rosen nicht zwangsläufig stramm in Reih und Glied im Beet zu stehen haben. Beim Spaziergang durch die Nachbarschaft wird schnell deutlich, dass es trotz hoffnungsvoller Anfänge und einiger fortgeschrittener Könner hierzulande noch Entwicklungspotenzial in Sachen Garten gibt. Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus verrät zudem, dass etwa die Briten weitaus gartenverrückter sind als die Deutschen. England gilt schließlich als das Mutterland der Gartenkultur.

In London kürt die Queen die besten Gärtner

Nehmen wir nur mal die seit 1913 alljährlich im Mai stattfindende Chelsea Flower Show. Für nur fünf Tage wird in London auf einem 4,5 Hektar großen Freigelände ein Riesenspektakel rund um das Thema Garten aufgebaut. Am Eröffnungstag gibt sich dort Königin Elizabeth II. höchstpersönlich die Ehre. Die Veranstaltung gilt als eines der großen gesellschaftlichen Ereignisse im Königreich, und die veranstaltende Royal Horticultural Society schätzt, dass die Blumenschau direkt und indirekt einen Umsatz von 200 Millionen Pfund macht – jährlich. Eintrittskarten sind streng kontingentiert, müssen oft schon Jahre im Voraus bestellt werden, und die Aussteller haben sich einem strengen Reglement zu unterwerfen.

Dafür winkt dem Erfolgreichsten eine Goldmedaille, die in Gärtnerkreisen etwa so viel zählt wie ein Ritterschlag der Queen. Das nenne ich echte Gartenbegeisterung!