Das ehemaligen Büro von Karlheinz Harrer ist eine einzige Fotosammlung. Der Opa freut sich dort zusammen mit dessen fünfjährigem Enkel Hannes auf seinen 70. Geburtstag. Foto: Beiter

Das schönste Geschenk für Karlheinz Harrer aus Bietenhausen ist, dass ihm nach dem überstandenen Herzinfarkt im Sommer ein zweites Leben geschenkt wurde. An Neujahr wird der einstige Sportlehrer des Diasporahauses 70 Jahre alt.

Rangendingen-Bietenhausen - Eigentlich, so beginnt Karlheinz Harrer zu erzählen, wollte er Profi-Fußballtrainer werden. Die Voraussetzungen dafür standen gut: Nach dem Abitur zog er nach Berlin, wo er an der dortigen Sporthochschule ein Lehramtsstudium aufnahm. Parallel dazu durchlief er die Trainerlaufbahn - bis hinauf zur A-Lizenz, die er bundesweit als Zweitbester bestand. Die Chance, "Fußball-Lehrer" zu werden und es damit nach oben zu schaffen, lag zum Greifen nah.

"Zweites Standbein" wird zur echten Berufung

Doch dann machte er einen Anruf, der sein Leben veränderte: "Ich möchte den Direktor sprechen", meldete er sich zum Vorsprechen bei Erich Niethammer in dessen Büro im Diasporahaus Bietenhausen an. Und der Direktor stellte ihn als Sportlehrer ein. Plötzlich war aus dem leistungsorientierten Fußballtrainer, der in Berlin den TSC Friedenau trainierte, ein empathischer engagierter Lehrer geworden, der bei sozial benachteiligten und auffälligen Kindern Sportstunden gab.

Den Lehrerjob hatte der Jubilar damals allenfalls als "zweites Standbein" im Kopf. Dass an der Diasporahaus-Schule landete, hatte auch mit seinem Praktikum in einem Kindergarten für sozialbenachteiligte Kinder zu tun. "Dort wurde meine soziale Ader erst wirklich geweckt."

Erfolgreich als Fußball-Trainer

Harrer zog nach Hirrlingen, trainierte in den 80er Jahren den dortigen SV, wechselte nach Unterjessingen und nach Mössingen, stieg mit seinen Teams drei Mal auf und wurde drei Mal Bezirkspokalsieger. Schließlich landete er bei der TSG Tübingen. Mit 37 Jahren war der Dampf für den Leistungsfußball für den einstigen Meistertrainer raus. "Dort bin ich mit meiner Mannschaft sogar abgestiegen", erinnert er sich.

Doch das war nicht das Entscheidende: Harrer hatte mittlerweile sich und seine Einstellung als Fußballtrainer durch die soziale Arbeit mit den Kindern am Diasporahaus verändert. Seine Schüler hatten ihn längst gelehrt, dass nicht überall der Erfolg das Entscheidende ist. "Teilnahme ist wichtiger als der Sieg", hatte er längst als Essenz aus seiner pädagogischen Arbeit gezogen.

"Demut für das Leben"

"Die Kinder haben mich Demut für das Leben gelehrt", sagt er heute. Karlheinz Harrer hatte damit begonnen, nicht mehr den absoluten fußballerischen Erfolg, sondern die "Menschlichkeit" in den Vordergrund seines Schaffens zu stellen. Nur: "Als Fußballtrainer geht das gar nicht", ist er überzeugt. Zu oft stand der Pädagoge dem Erfolg im Weg, wie er es sagt. Also hörte er auf und agierte nur noch als Jugendtrainer, auch beim SV Rangendingen.

Und er begann, das Schachspiel am Diasporahaus zu etablieren. "Mit unseren Kindern funktioniert das nicht", hätten ihn seine Kollegen damals ausgelacht: Doch Erich Niethammer hielt zu ihm: "Harrer, mach’s", gab ihm der Direktor freie Hand. Und behielt Recht. Harrers Schachstunden wurden zu einer Erfolgsgeschichte des Diasporahauses.

Schach-Projekt wird zur "Win-Win-Situation"

Die DHB-Schachteams nahmen an Schul-Turnieren teil und verwiesen dort Gymnasialschachspieler auf die Plätze. "Ich konnte meine Schüler für das königliche Spiel begeistern", war Harrers Geheimrezept. Das Schachprojekt wurde auch für ihn zur "Win-Win-Situation", wie er sagt: "Was ich bin, daran haben meine Schüler und die Arbeit mit ihnen einen großen Anteil." Diese lernten Schach zu spielen, und beide, Schüler und Lehrer, lernten fürs Leben. Dass er derzeit wieder einmal zwei Schüler hat, die ihn schachmatt setzen, darauf ist er sogar stolz.

Seit 1989 wohnt der Jubilar in Bietenhausen. Zufrieden und vollkommen im Reinen mit sich, wie man ihm anmerkt. "Ich habe drei Kinder, sechs Enkel, eine Katze und einen Hund sowie ein liebe Frau", sagt er. Und er erinnert sich: "Wir waren die erste von auswärts kommende Familie, die hier im Ort einen Bauplatz bekommen hat."

41 Jahre mit "ganzer Seele" am Diasporahaus eingebracht

Über 41 Jahre hat er sich mit "ganzer Seele" am Diasporahaus eingebracht und dabei "unendlich viel zurückbekommen." Auch nach seiner Pension vor eineinhalb Jahren gibt er noch ehrenamtlich Schachunterricht an der Schule – und auch im Bietenhausener Lädle. Dass sie damals von Berlin "aufs Land" gezogen sind, haben die Harrers nie bereut. "Ich fühle mich hier sehr wohl – und das gilt auch für meine Frau."