Aus der französischen Bibel von 1705, die im Festtagsgottesdienst aufgelegt war, wurde sicher schon in den Gründerfamilien von Neuhengstett gelesen. Foto: Jeanette Tröger

Der Festtag zum Jubiläum 325 Jahre Neuhengstett markierte eindrücklich mit großem Zuspruch den Höhepunkt des Ereignisses.

Der offizielle Teil des Programms startete mit dem Gottesdienst in der Waldenserkirche, bevor sich die Jubiläumsgäste vor dem Waldenserensemble zu Grußworten und Ansprachen versammelten und der Gründung des Waldenserorts am 1. September 1700 gedachten.

 

Auf dem Altar lag zum Jubiläumsgottesdienst eine französische Bibel von 1705 aus Genf, sagte Pfarrer Jörg Schaber, und machte deutlich, was für die Waldenser, die Neuhengstett gegründet haben, damals die wichtigsten Botschaften daraus waren: die zehn Gebote und die Bergpredigt als Richtschnur für ihr Leben nach ihrem Glauben.

Wie ein brüllender Löwe

Zum Jubiläum war Diakonin Karola Stobäus aus Torre Pellice wieder nach Neuhengstett gekommen. Sie hielt die Predigt zu einem Text aus dem 1. Buch Petrus. Der Schreiber ruft darin die verunsicherten Gemeindeglieder auf, dem wie ein brüllender Löwe umherstreifenden Teufel, dem Trenner und Barrierenbauer, zu widerstehen, indem sie unbeirrt am Glauben festhalten und darauf vertrauen, das Gott sie dazu mit allem versehen wird, was nötig ist, sie im Glauben stärken, ihnen Kraft verleihen und ihre Füße auf festen Boden stellen wird.

Vertreibung, Verfolgung, Verhaftung

„Ihre Vorfahren waren bereit, sogar für ihren Glauben zu sterben, haben Verhaftungen, Verfolgungen, Vertreibungen und Folter erlebt und sind nicht vom Glauben abgefallen. Enorm, nicht wahr?“, so die Diakonin. „Wie ist der Gesundheitszustand Ihres Glaubens? Wie fest verwurzelt sind Sie?“, gab sie den Anwesenden Anstöße mit in den Festtag, sich dazu ernsthafte Gedanken zu machen.

Die Grüße der Deutschen Waldenservereinigung zum Jubiläum überbrachte deren Vorsitzender Stefan Mondon aus Pinache. „Ich habe liebe Freunde hier und eine besondere Verbindung zu Neuhengstett.“ Sein Vorfahr Daniel Mondon war der letzte Waldenserpfarrer in Neuhengstett, dem zusammen mit seinem Freund Jean Henry Perrot, dem Schulmeister des Ortes damals in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Integration der Waldenser durch Erlernen der deutschen Sprache sehr am Herzen lag.

Dekan Erich Hartmann erinnerte an die Ansiedlung der Waldenser auf Brachland zwischen den bestehenden Orten, „aus dem Nichts wurde ein Ort, aus Fremde wurde Heimat.“ Es sei „eine Freude zu sehen, wie der Ort sein Erbe bewahrt, Glaubensstärke, Zusammenhalt und Gastfreundschaft sind die Hüter dieses Erbes.“

Parallelen zur heutigen Integration

Auch Bürgermeister Rüdiger Klahm zog in seiner Ansprache Parallelen zur Ansiedlung von Fremden bei der Gründung Neuhengstetts mit den heutigen Aufgaben, wieder „Fremde“ unterbringen und integrieren zu müssen. Der Herzog damals könnte der heutige Ministerpräsident sein, die vom Herzog beauftragten Landvögte, die nach Ansiedlungsmöglichkeiten suchen mussten, wären die heutigen Landräte, die sich um die Gemeinschaftsunterkünfte zu kümmern haben.

Die Bevölkerung schließlich leistet damals wie heute die Integration vor Ort, damit alle gemeinsam als Nachbarn ein auskömmliches Leben führen können. Es hat vor 325 Jahren im heutigen Neuhengstett nicht so viel anders begonnen wie heute mit Flüchtlingen aus Syrien oder dem Irak, so der Bürgermeister.

Aufruf zu Offenheit und Toleranz

Die Bevölkerung war vor 325 Jahren stark und hat es geschafft, die Waldenser in die örtliche Gemeinschaft zu integrieren. Mittlerweile sind die Gräben überwunden, „wir sind eine Gemeinde mit unterschiedlichen Wurzeln, unterschiedlicher Herkunft und heute ist Neuhengstett aus der Gemeinde nicht mehr wegzudenken.“ Die Offenheit und Toleranz, die vor 325 Jahren den Waldensern entgegengebracht wurde, sollte auch heute weiterhin gelebt werden, warb Klahm.

Buntes geselliges Treiben rund ums Waldenserensemble schloss sich dem offiziellen Teil an.